Noch sieben Huhner hatte er im Stall versteckt und bisher vor allen Deutschen gerettet. Welch ein Wunderwerk von Hosentragern…

«Ein paar Krumelchen werd ich noch zusammenkratzen«, sagte Trofim und lie? die Augen nicht von Wollters. Der hatte sich auf die Ofenbank gesetzt, lehnte den nassen Rucken gegen die wannen Steine und wunderte sich, da? es hier im Raum weder nach Schwei? noch nach saurer Milch roch. Praskowja stand an der Tur und wartete. Die Kinder hatten sich im Nebenraum versteckt, wo ein mit Stroh hoch gefulltes machtiges Holzbett stand. Hier mummelte sich Gro?vaterchen ein — so rustig war er mit seinem Rheuma nun doch nicht, um noch auf den Ofen klettern zu konnen, auf die Plattform, auf der die ganze Familie im Winter schlief.

Wachter nickte zufrieden.»Guck in alle Ecken, Vaterchen«, sagte er.»Es wird sich schon was finden.«

Trofim ri? sich von den Hosentragern los, schnalzte mit der Zunge und rieb mit der Oberlippe seine Nasenspitze.»Kann man tauschen?«fragte er und blinzelte Wachter zu.

«Was?«fragte Wachter verwundert.

«Gutes Essen gegen eine Leihgabe. Nur ein Viertelstundchen, das genugt. Ist ein guter Tausch, Genosse. Was ist schon ein Viertelstundchen im Leben eines Menschen. Mich wird's frohlich machen.«

«Was willst du tauschen, Vaterchen?«

«Einmal anziehen, Freundchen. «Gro?vaterchen zuckte listig mit den Augen.»Vom Gospodin Offizier die Hosentrager…«Ratlos warf Wachter einen schnellen Blick auf Dr. Wollters.

Der Rittmeister sa?, umgeben von molliger Warme, am Ofen und wartete auf den Fra?, den man ihnen vorsetzen wurde.»Alter, du bist verruckt!«sagte Wachter.»Ich kann doch den Herrn Rittmeister nicht bitten, dir seine Hosentrager zu leihen. Auch nicht fur ein Viertelstundchen. Unmoglich.«

«Frag ihn, Bruderchen. Kein Fleckchen wird drankommen, kein Staubchen.«

Wachter wischte sich mit beiden Handen uber das Gesicht und wandte sich herum zu Dr. Runnefeldt. Er stand in der» schonen Ecke «des Zimmers und betrachtete eine uralte Bauern-Ikone. Grob gemalt mit Eierfarben, schmale hohe Gestalten mit langgezogenen Gesichtern und gro?en runden Augen. Um etwa 1600 herum, dachte er. Das hat noch keiner erkannt, der hier im Zimmer gewesen ist. Ein kleines Juwel von Ikone. Man sollte es mitnehmen, so etwas gibt es kaum noch. Aber dann sah er Praskowjas Blicke und die Angst in ihnen. Diese Ikone war das einzige, was ihr von ihrem Glauben geblieben war. Das geschnitzte Kruzifix hatten Rotarmisten, die zur Stalin-Linie marschiert waren und bei ihnen rasteten, von der Wand gerissen und an der Hausmauer zersplittert. Und auch das Kerzchen, das ewige Licht, hatten sie ausgeblasen.»Da hangt ihr jetzt Stalin hin!«hatte ein Sergeant gebrullt.»Ihr christlichen Heuchler. «Aber die Ikone lie?en sie unberuhrt, sie zeigte Peter und Paul, und die Junger waren kostbar gekleidet wie Bojaren.

Sie bleibt hier, dachte Dr. Runnefeldt und wandte sich von der Ikone ab. Wir haben uber 500 Ikonen bei uns. Nehmen wir an, diese hier habe ich nie gesehen.

«Herr Doktor«, sagte Wachter leise, damit es Wollters nicht horte.»Der Alte verspricht uns ein gutes Essen, wenn er die Hosentrager von Dr. Wollters einmal anziehen darf. Nur ein paar Minuten…«

«Das ist doch ein Witz!«sagte Dr. Runnefeldt entgeistert.»Nein, Herr Doktor. Konnen Sie Dr. Wollters nicht fragen?«»Das ist doch lacherlich!«

«Ein kleiner Tausch: Gutes Essen gegen…«Er schluckte.»Sonst gibt's fur uns nur Essiggurken. Wir werden nie finden, wo sie ihre Vorrate versteckt haben.«

«So was Verrucktes gibt's nur einmal!«Dr. Runnefeldt ging hinuber zu Dr. Wollters und musterte die scheu?lichen Hosentrager. Wollters fuhlte sich wohl… er trocknete.

«Probleme?«fragte er.»Sag ich doch, das ist der reinste Schweinestall. Hier ruhre ich nichts an!«

«Verleihen Sie fur ein paar Minuten Ihre Hosentrager?«

«Wie bitte?«Wollters sah Dr. Runnefeldt fast entsetzt an.»Haben Sie ofters solche Anfalle?«

«Der Gro?vater mochte sie einmal tragen… dafur gibt es gutes Essen.«

«Das ist ja…«Wollters holte tief Luft.»Das ist unerhort!«Sein emporter Blick traf Gro?vaterchen. Trofim grinste ihn freundlich und erwartungsvoll an.»Und so einen Blodsinn sprechen Sie auch noch aus, Herr Runnefeldt!«

«Ich finde, das ist ein guter Tausch.«

«Kein Fleckchen, kein Staubchen wird drankommen — «warf Wachter ein.»Wenn es den alten Mann glucklich macht…«»Sind wir im Krieg, oder ziehen wir herum, um jeden glucklich zu machen?«bellte Wollters.

«Das letztere. «Dr. Runnefeldt setzte zum vernichtenden Schlag an.»Nach Ansicht des Fuhrers befreien wir hier den slawischen Menschen vom Bolschewismus. Also eine Art von Begluckung. Hier ist unsere Zukunft, das weite Land des Ostens. Die Ausdehnung des Gro?deutschen Reiches.«

Wortlos erhob sich Dr. Wollters von der warmen Ofenbank, schnallte seine Hosentrager ab und warf sie Trofim zu. Gro?vaterchen fing sie geschickt auf, wirbelte dann auf dem Absatz herum und verschwand so flott wie ein junger Bursch im Nebenzimmer.

Aber schon nach wenigen Minuten war er wieder da. Uber seiner blauen Bauernbluse zogen sich die bunten Trager und hielten seine alte, fleckige, dunkelgraue Hose fest. Mit verklartem Gesicht und stolzen Schritten ging er im Zimmer herum, stellte sich vor seine Schwiegertochter Praskowja, lie? zwischen den Daumen die Hosentrager schnalzen, wanderte mit hocherhobenem Haupt an allen Wanden der Stube entlang, und als sogar die Kinder sich blicken lie?en und Gro?vaterchen bestaunten, marschierte er mit durchgedruckten Knien paradierend einmal vom Ofen zur Tur und von der Tur zum Ofen. So glucklich und ergriffen war der Alte, da? er bei dieser Parade nichts mehr von seinem Rheuma spurte.

Mit gleicher Wurde verlie? er darauf das Zimmer, verschwand hinter der Tur zu seinem Schlafraum, offnete einen breiten Schrank und schlupfte durch ihn und eine Holztur in den angrenzenden Stall. Frohlich gackerten seine sieben Huhnchen bei seinem Anblick und reckten die Halse vor. Gab es jetzt schon Kornerchen?

«So ist nun mal das Leben, ihr Lieben!«sagte Trofim feierlich.»Versprochen hab ich's, und ein Grimaljuk halt sein Versprechen. «Er musterte die Huhnerchen, entschied sich fur ein fettes, rundes Exemplar und hob die Schultern.»Lydia, eine mu? es sein. Warst ein braves Tierchen.«

Ein Beil nahm er von der Wand, packte Lydia ruckzuck bei den Flugeln, trug das schreiende Tier zu einem Holzblock und hieb ihm den Kopf ab. Weit von sich weghaltend, damit kein Spritzerchen an die Hosentrager kam, lie? er es ausbluten und kehrte dann durch den Schrank zuruck.

Dr. Wollters sa? auf der Ofenbank und blickte auf seine Armbanduhr.»Die Zeit ist um!«sagte er scharf.»Es ist unerhort, was man hier mit mir macht. Warum haben Sie Ihre Hosentrager nicht abgeschnallt, Herr Runnefeldt?!«

«Erstens habe ich keine so bunten wie Sie, und zweitens trage ich nur Gurtel. Ah, da kommt ja Gro?vater wieder.«

Trofim erschien in der Stube, in der Rechten die Hosentrager, in der Linken das geschlachtete Huhn. Praskowja stie? einen langen Seufzer aus. Ausgerechnet Lydia, die beste Eierlegerin! Gro?vaterchens Verstand war auch nicht mehr wie fruher. Dr. Wollters nahm seine Hosentrager entgegen und legte sie sofort wieder an.

«Der Kerl hat doch tatsachlich ein Huhn gekopft!«sagte er.»Der Tausch. «Dr. Runnefeldt nickte dem Alten ermunternd zu.»Wenn das kein Geschaft war, Herr Wollters. Wir bedanken uns alle bei Ihnen fur das kommende fulminante Essen…«

Eine gro?e Betriebsamkeit entstand in dem Bauernhaus. Praskowja nahm das Huhn aus, die Kinder rupften es, Trofim bot Tabak an, den grob geschnittenen Machorka, den nur eine Kehle aus Blech vertragen konnte, und zauberte unter einer losen Dielenplanke eine Flasche mit Stachelbeerwein hervor.»Sagen Sie der Bauerin — «wandte sich Dr. Runnefeldt an Wachter — «da? das Huhn fur 40 Personen reichen mu?. Wir drei, der Fahrer und 36 Mann von der Kolonne. Wird zwar sehr dunn werden, die Suppe, aber bei dem Sauwetter tut sie allen gut.«

Praskowja stellte also einen riesigen Kessel auf den eisernen Herd, fullte ihn voll Wasser und lie? es kochen. Da? es ein Kessel war, in dem man sonst das Schweinefutter zubereitete, wu?te keiner. Nur Wachter, und der hielt den Mund.

Aber die Suppe wurde nicht dunn, im Gegenteil, Praskowja schuttete, nachdem sie das Huhn in kleine Stucke zerteilt hatte, ein paar Hande voll Grutze in das brodelnde Wasser, dazu noch vier gro?e Zwiebeln, und so wurde es mehr ein Brei als ein Suppchen. Trofim schnupperte in die Luft wie ein Ferkel-chen, sagte mit glanzenden Augen:»Riecht wie bei meinem Mutterchen!«, und wenn das ein uber siebzig Jahre alter Mann sagt, mu?te das stimmen und war ein gro?es Lob.

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