Lieber, Sie mussen ja vor Gluck platzen.«

«Dieser Tag ist wohl der schonste in meinem Leben, Gauleiter. «Findling trank mit Widerwillen das erste Glas Kognak und hatte das Gefuhl, Koch sofort vor die Stiefelspitzen kotzen zu mussen. Aber dann beruhigte sich sein Magen sehr schnell, das brennende Gefuhl, das er immer hinterher beim Schnapstrinken empfunden hatte, blieb aus. Gro?vaters Salatol schien eine gute Sache zu sein.

«Wir alle empfinden so… vor allem, weil wir diesen einmaligen Schatz Rosenberg vor der Nase weggeschnappt haben. Wo hatte Rosenberg das Zimmer unterbringen lassen? Hier, im Schlo? von Konigsberg, hier gehort es hin! Ich werde auch den Fuhrer davon uberzeugen: Was soll das Bernsteinzimmer in Linz an der Donau?! Bei uns an der Ostseekuste wird der Bernstein gefunden, der Sonnenstein, das deutsche Gold… und das gro?te Kunstwerk aus ihm mu? in Ostpreu?en bleiben. Wie konnte blo? ein preu?ischer Konig so ein Wunderwerk einem russischen Zaren schenken! Friedrich Wilhelm l mu? damals besoffen gewesen sein. Wir, Sie, Findling, und ich holen es nach Deutschland zuruck! Das Bernsteinzimmer ist in seine Heimat zuruckgekehrt. So werden wir das auch in der Presse bekanntgeben.«

«Vergessen Sie den >Fuhrervorbehalt< nicht, Gauleiter. «Dr. Findling setzte sich in einen der tiefen Sessel.»Bormann wird darauf bestehen, da? das Zimmer nach Linz kommt.«

«Mit Bormann werde ich sprechen. «Koch winkte ab, obwohl er wu?te, da? hier eine gro?e Auseinandersetzung bevorstand. Er mochte Bormann nicht, und es war bekannt, da? dies auf Gegenseitigkeit beruhte. Der» kleine Konig von Ostpreu?en «war Bormann zutiefst zuwider.

«Das wird ein schwerer Gang, Gauleiter«, sagte Wellenschlag ernst.

«Bormann ist logischen Argumenten immer zuganglich gewesen… im Notfall spreche ich mit dem Fuhrer selbst. Mich hat der Fuhrer immer angehort.«

Und dann begann das Warten. Das qualvolle Minuten-Zahlen. Die immer ungeduldiger werdende Frage: Verdammt, wo bleiben sie denn?! Warum bummeln sie so unverschamt? Ist unterwegs etwas passiert? Warum ruft Dr. Runnefeldt nicht an? Das ist doch nicht normal… schon halb eins, und Mitternacht wollten sie hier sein.

Die Unruhe von Koch ubertrug sich auch auf Dr. Findling und Wellenschlag. Sie standen am Fenster und starrten auf den Schlo?hof, liefen ins Treppenhaus und blickten die Auffahrt hinunter und kehrten dann achselzuckend zuruck. Koch lief in seinem Arbeitszimmer hin und her, die Hande auf dem Rucken, das Kinn angezogen, den Kopf tief zwischen den Schultern… ein Stier kurz vor dem Heraussturzen in die Arena.»Wenn ich was hasse, dann ist es Unpunktlichkeit!«rief er erregt.»Von Kauen bis Konigsberg ist es doch ein Klacks! Und die Stra?en sind gut, keine Schlammlocher wie in Ru?land. Da stimmt doch was nicht! Das ist doch nicht normal!«Jedoch, es war nichts geschehen, alles war vollig normal, bis auf den Aufenthalt am Hauptbahnhof. Da stie? Julius Paschke dem Gefreiten Doll in die Seite und sagte dumpf:»Halt mal an, Junge.«

«Warum denn?«

«Weil ick pissen mu?.«

«Hier? Vorm Bahnhof? Dat jibt nen Auflauf.«

«Jeder Bahnhof hat'n Lokus, du Arsch! Bis hierhin konnt ick mir's vakneifen, aba jetzt geht's nich mehr. Anhalten.«

Um seinen Worten Nachdruck zu geben, hieb er mit der Faust dreimal gegen die Ruckwand. Das Zeichen fur Jana. Steig aus, Madchen. Wir sind da. Mach's jut, Kleene. Ick werd vill an dir denken…

Er wartete noch eine Minute, lie? Doll den Lkw vor den Haupteingang rollen und sprang dann mit einem Satz aus der Fahrerkabine.

«Haste de Botz schon na??«fragte Doll fursorglich.

«Wat hab ich?«

«Die Hose na?…«

Paschke winkte ab und lief nach hinten. Die Plane war offen und flatterte etwas im Nachtwind. Leise rief er Janas Namen, aber sie antwortete nicht. Der Wagen war leer, sie hatte sich nach dem Klopfen sofort uber die Ladeklappe geschwungen. Verzweifelt sah sich Paschke um. Nur noch einmal sehen wollte er sie, und wenn's nur ihr weghuschender Schatten war, aber er konnte sie nirgendwo entdecken. Nur ein Haufen Landser und Zivilisten hasteten in und aus dem Bahnhof, und drei Feldjager, sogenannte Kettenhunde wegen ihrer blanken Brustschilde, die sie an einer Kette um den Hals trugen, standen am Eingang und machten Stichproben, hielten Landser an und kontrollierten die Ausweise, Urlaubsscheine oder Marschbefehle.

Langsam ging Paschke in den Bahnhof, suchte die Toiletten, stellte sich neben andere an die Pinkelrinne, druckte ein paar Tropfen ab und kam sich wie verlassen, wie in dunkler Einsamkeit vor. Als er zuruckkam zu seinem Wagen, stand der Kubelwagen schon bei ihm. Die ganze Kolonne wartete. Nach vorn war durchgegeben worden: Letzter Wagen mu? halten. Darauf stand der gesamte Transport still.

«Was ist denn los, Unteroffizier?«bellte Wollters aus dem Fenster des Kubels. Paschke nahm stramme Haltung an.

«Ick mu?te mal, Herr Rittmeister«, meldete er, gru?te stramm, stieg in die Fahrerkabine und sah Doll von der Seite an.»Weiterfahren…«

Doll lie? den Motor wieder anspringen.»Is se jut weg?«fragte er wie nebenbei.

«Wer?«

Paschke spurte ein Rumoren in seinem Bauch. Lauernd sah er Doll an.

«Dat Karbolmauschen. «Doll grinste breit.»Wor die flink…«»Wat haste jesehen, Doll?«

«Jul, isch han doch ne Ruckspiegel.«

«Du hast allet jewu?t?«

«Klar. Isch han doch kein Tomaten op de Aujen. Isch wor nur jespannt, wie dat sich alles auflost… Awwer su wor et jut…«»Du hast nix jesehen, Doll, janix! Vastehste mir?«

«Isch seh als Fahrer nur die Stro?, sonst nichts. «Doll grinste Paschke von neuem an und lie? den Lkw anrollen. An ihnen vorbei brauste der Kubelwagen wieder an die Spitze der Kolonne.»Awwer morjen, da krieje isch en Flasch Schaubau von dir…«

«Wat kriegst de?«

«Eine Flasche Schnaps, Kamerad.«

Paschke nickte und lehnte sich wieder zuruck. Er dachte an Jana, und es war ihm dabei elend zumute. Und bis jetzt verstand er noch immer nicht, warum sie diese tagelange Mistfahrt mitgemacht hatte und nicht mit dem Zug nach Konigsberg gefahren war.

Kurz vor ein Uhr passierte endlich der Kubelwagen die Wache am Konigsberger Schlo?. Der wachhabende Offizier, ein junger, in Polen verwundeter Leutnant, kontrollierte eingehend die Papiere, die ihm Wollters aus dem Fenster reichte. Seine Grundlichkeit regte Wollters auf.

«Glauben Sie, wir bringen mit 18 Lastwagen Dynamit ins Schlo?, um es in die Luft zu sprengen?«schnauzte er den Leutnant an.»Oder haben Sie Leseschwierigkeiten?«

«Inhalt der Lkws?«fragte der Offizier knapp.

«27 Kisten mit Parisern!«schrie Wollters au?er sich.»Himmel und Arsch, Herr Gauleiter Koch erwartet uns! Hat man Ihnen keine Order gegeben?«

«Es hie?: Einige Wagen kommen. Aber 18?«

«Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Herr Leutnant. «Wollters holte tief Atem.»Sie lassen uns durch, und ich mache uber Sie keine Meldung zur Frontbewahrung.«»Ich bin bereits HV geschrieben. Heimatverwendungsfahig. In Polen schwer verwundet. Lungensteckschu?. Waren Sie auch schon verwundet, Herr Rittmeister?«

Die Frage war von einem leichten Grinsen begleitet. Wollters ri? dem jungen Leutnant die Papiere aus der Hand, lehnte sich zuruck und verzichtete auf eine Antwort.

«Konnen wir jetzt ins Schlo?, Herr Leutnant?«fragte Dr. Runnefeldt sanft.

«Naturlich. «Er gru?te, trat zur Seite, die herausgetretene Wache gab die Einfahrt frei.»Ich tue nur meine Pflicht…«

Als der Kubelwagen ratternd in den Schlo?hof einfuhr, sagte Wellenschlag, der gerade am Fenster stand, gemutlich, als hatte er nicht seit Stunden gewartet:»Sie sind da.«

Gauleiter Koch und Dr. Findling schossen aus ihren Sesseln heraus, als habe man sie gestochen. Mit einem Griff hatte Koch seine Mutze ergriffen und stulpte sie uber seinen Kopf. Der nachste Griff galt seinem Koppel.

Wahrend er es sich umschnallte und dann den Uniformrock straff zog, an dessen linker Brustseite eine Reihe Ordensspangen im Licht des Kristallusters glitzerten, sagte er mit vor Erregung bebender Stimme:

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