«Darauf kann ich gut verzichten. Wecken Sie einen schlafenden Lowen?«

«Nee.«

Dr. Phillip lie? noch eine Stunde verstreichen, fand das alles au?erst merkwurdig und ratselhaft und entdeckte in sich den Mut eines Helden: Er verlie? die Chirurgie und machte sich auf den Weg zur Verwaltung und zu Oberschwester Frieda Wilhelmi. Fragen durfte man ja schlie?lich, wo die neue Mitarbeiterin blieb.

Der Rothaarige im Buro wu?te gar nichts, hatte die hubsche Schwester nicht wiedergesehen und fand das Verschwinden auch sehr merkwurdig.

«Vielleicht hat die Kleine doch nicht die Klippe Frieda umschiffen konnen«, meinte er vorsichtig.»Da genugt nur ein dummer Satz, und schon ist der Ofen aus.«

«Ist das nicht eine Schande fur uns alle, da? wir uns das gefallen lassen?!«

«Andern Sie's mal, Herr Doktor. «Der Rothaarige grinste verlegen.»Machen Sie mal einen Versuch. Damals in Frankreich, wenn die Panzer angriffen, da hab ich im Graben gestanden und keine Angst gehabt, da hab ich gewartet, bis ich im toten Winkel war, und dann raus aus'm Graben, die Hafthohlladung an den Panzerturm geklebt, abgezogen und wieder in Deckung, und dann flog der Turm weg… aber wenn Frieda dort durch die Tur kommt, bekomme ich Herzklopfen.«

Dr. Phillip befahl sich, kein Feigling zu sein, ging hinuber zu den Raumen der Oberschwester, klopfte an die Tur und trat ein. Frieda Wilhelmi thronte hinter ihrem Schreibtisch, las in einem Aktenstuck und warf einen durchdringenden Blick auf den Arzt. Am Schreibmaschinentisch sa? eine junge, schwarzhaarige Rote-Kreuz- Schwester und schrieb mit zwei Fingern aus der Kladde etwas ab.

Das mu? sie sein, dachte Dr. Phillip sofort. Genau, wie Robert sie geschildert hatte. Das Hubscheste, was ich seit langem gesehen habe. Ein Juwel von Madchen. Was macht es hier bei Frieda an der Schreibmaschine? Sein Jungengesicht unter den blonden Locken glanzte. Siegfried, der strahlende Held, kam furchtlos naher.

«Was ist los?«fragte Frieda Wilhelmi und klappte die Akte zu. Erstaunt blickte Jana Petrowna hoch. Die Stimme hatte sich vollig verandert, der warme, mutterliche Ton hatte sich in eine kalte, durchdringende Trompete verwandelt. Dr. Phillip schien nur diesen Ton gewohnt zu sein. Er blieb stehen.»Oberschwester, man hat der Chirurgie eine neue Mitarbeiterin angekundigt. Sie hat sich noch nicht gemeldet. Ist irgend etwas nicht in Ordnung?«fragte er.

«Ich habe umdisponiert. Das ist alles.«

«Es ware gut, wenn das auch die Chirurgie erfahren wurde.«»Ist Stabsarzt Dr. Pankratz schon da?«

«Nein.«

«Dann halten Sie den Mund!«Das klang wie ein Kanonenschu?. Dr. Phillip empfand es wie eine schallende Ohrfeige. Die hubsche kleine Schwester blickte von ihrer Schreibmaschine auf. Nur eine Sekunde lang kreuzten sich ihre Blicke. Aber es reichte aus, um in Dr. Phillip ein Kribbeln zu erzeugen.»Ich werde dem Chef berichten.«»Oberschwester Frieda — «

«Was wollen Sie noch?!«

Jedes Wort war ein Schlag. Jeder Ton traf Dr. Phillip geradezu schmerzhaft. Er wollte ebenso scharf antworten, aber was hatte das bewirkt? Gegen diese Masse Machtbewu?tsein kam niemand an. Selbst Dr. Pankratz hatte es zu Anfang seiner Tatigkeit versucht, mit dem Ergebnis, da? Frieda Wilhelmi die Chirurgie ubersah und zugunsten der Inneren und der Gynakologie Schwestern abzog und jeden Protest kalt von sich wegschob. Das ging so lange, bis Dr. Pankratz zu Frieda kam und sich mit gewundenen Satzen, die nicht gleich wie eine Entschuldigung klingen sollten, entschuldigte. Frieda nahm die versteckte Kapitulation an, und von diesem Tag an lief der Betrieb in der Chirurgie wieder im normalen Gleis.

«Ist die Frage erlaubt, ob wir in Kurze mit der neuen Mitarbeiterin rechnen konnen?«fragte Dr. Phillip gepre?t. Es fiel ihm schwer, seine Wut uber diese Erniedrigung zu verbergen.»Nein! Rechnen Sie nicht damit. Haben Sie nicht gehort: Ich habe umdisponiert.«

Dr. Phillip begriff, da? er hiermit die Aufforderung erhalten hatte, das Zimmer zu verlassen. Er drehte sich um, warf noch einen Blick auf Jana, deren gro?e schwarze Augen ihn musterten, und verlie? dann gru?los das Zimmer. Hinter sich lie? er die Tur laut ins Schlo? fallen, als sei sie ihm aus der Hand geglitten.

«Flegel!«sagte Frieda drohnend. Dr. Phillip mu?te es drau?en im Flur noch gehort haben.

«Wer war denn das?«fragte Jana Petrowna und lachelte verlegen. Sie begriff nun, was der Sanitater Bludecker gesagt hatte und da? alle im Haus Angst vor Frieda Wilhelmi hatten.»Das war Dr. Phillip. Der beruchtigte. Der Bursche, der in dem Wahn lebt, der Mann sei die Krone der Schopfung. «Frieda klappte die Akte wieder auf.»Ube weiter, mein Kind. Kummere dich nicht um ihn. Und wenn er dir auflauert, sag es mir sofort. Alles, was einen Rock tragt, ist nicht sicher vor ihm.«

Jana Petrowna nickte und schrieb weiter, suchte die Buchstaben und klapperte muhsam den Ubungstext ab. Die Gefahr, die von Dr. Phillip ausging, erkannte sie klar. Sie ahnte, da? er ab jetzt ihre Nahe suchen wurde, da? er sie beobachtete und ihr nachging, da? er alles versuchen wurde, um mit ihr in Kontakt zu kommen. Von heute an war sie nur sicher im Umkreis von Frieda Wilhelmi, und sie wu?te jetzt, da? alles, was noch kommen konnte, abhangig war von dem unerwarteten mutterlichen Wohlwollen und der ratselhaften Zuneigung von Oberschwester Wilhelmi. Es war ihr, als sei sie ein Tier, das in eine warme schutzende Hohle gekrochen war, um zu uberleben. Sie hatte nun ein Bett, einen Schrank, einen Stuhl, einen Tisch und eine Stehlampe nebenan im Magazin. Sie hatte zu essen und zu trinken, sie hatte Warme, wenn es Winter wurde, und sie hatte eine Beschutzerin. Blieb alles so, wie es jetzt war, konnte man sicher das Ende des Krieges erwarten.

Und in ein paar Tagen sah sie Vaterchen wieder. Im Schlo? war er jetzt, bei seinem Bernsteinzimmer, treu dem Schwur, den sein Urahne vor seinem Konig geleistet hatte: Wo das Bernsteinzimmer ist, wird auch ein Wachter sein.

Gott im Himmel, la? Nikolaj Michajlowitsch in Leningrad uberleben. Und einen Sohn zeugen mussen wir auch. Solange es das Bernsteinzimmer gibt, mu? es auch einen Wachter geben.»Woran denkst du, Kind?«Friedas Stimme schreckte sie aus ihren Gedanken auf.

«Ich mag diesen Dr. Phillip nicht, Oberschwester.«»Sag dir das immer vor. «Frieda Wilhelmi blickte auf die Uhr an der Wand. Das Mittagessen wurde in Kurze ausgetragen, eine sehr wichtige Stunde fur sie und alle Menschen im Krankenhaus.»Und denk nicht mehr an ihn… er ist wirklich keinen Gedanken wert.«

Bereits am nachsten Tag, um zehn Uhr vormittags, fand die erste Besprechung zwischen Gauleiter Koch, Dr. Findling, Dr. Runnefeldt und Dr. Wollters statt. Wie immer war auch Bruno Wellenschlag anwesend, sa? mit am Tisch und horte schweigend zu. Ein Zeuge, den Koch bewu?t hinzugezogen hatte, um spater gegenuber Hitler, Bormann, von Ribbentrop und Rosenberg abgesichert zu sein.

Zwar lag aus dem Fuhrerhauptquartier im voraus die Zusage vor, das Bernsteinzimmer in Konigsberg aufzubauen, aber es bedurfte nur eines Fingerzeiges von Bormann, und die Lage anderte sich grundsatzlich.

Dr. Findling erschien etwas bla? und sichtlich angeschlagen zu dieser Konferenz. Gro?vaters Salatol hatte zwar das Sodbrennen und die Ubelkeit ferngehalten, aber die Alkoholschwere im Kopf konnte es nicht besiegen. Den anderen Herren schien es ahnlich zu gehen, bis auf Koch, der so munter und frisch war, als hatte er zwolf oder mehr Stunden geschlafen und nur Wasser getrunken. Er hatte in seiner Wohnung im Schlo? ubernachtet und war nicht hinaus zu seiner prunkvollen Villa gefahren, einem Prachtbau, der den Unwillen der Bevolkerung herausgefordert hatte, einen stillen, stummen, unterdruckten Unwillen naturlich, denn Kritik am Gauleiter ware eine Bruskierung gewesen, die Koch sofort mit allen brutalen Mitteln bestraft hatte. Der» Konig von Ostpreu?en «duldete keinen Widerspruch.

Koch eroffnete die Besprechung mit einer grundsatzlichen Frage an Dr. Findling:»Wie lange brauchen Sie zum Aufbau des Bernsteinzimmers im Schlo?, Dr. Findling?«

Und Findling antwortete sofort:»Funf bis sechs Monate, Herr Gauleiter!«

Er war auf diese Frage vorbereitet, und auch die Reaktion Kochs hatte er vorausgesehen. So erschrak er nicht, als Koch ihn anstarrte, und duckte sich auch nicht, als Koch plotzlich schrie:

«Ja, sind Sie denn verruckt geworden?! Sechs Monate?! Sechs Wochen gebe ich Ihnen — «

«Unmoglich.«

«Nichts ist unmoglich! Dr. Runnefeldt, wie lange dauerte der Ausbau in Puschkin?«

«Sechs Tage. «Dr. Runnefeldt warf einen ermunternden Blick hinuber zu Dr. Findling.

«Und Sie, Findling, quatschen von sechs Monaten?«schrie Koch aufgebracht.»Sind sie noch besoffen?!«

«Ich mu? dem Kollegen Findling recht geben. «Dr. Runnefeldt, der keine Angst vor Koch hatte, zumal seine Auftraggeber Hitler, Bormann und das Au?enministerium waren, lie? sich von Kochs giftigen Blicken nicht beirren.»Ausbauen ist einfacher als aufbauen. Man kann ein Haus in wenigen Stunden niederrei?en, aber nicht neu

Вы читаете Das Bernsteinzimmer
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×