bauen. Es ist ja nicht damit getan, die Wandtafeln einfach aufzustellen. Das Zimmer mu? sachgema? rekonstruiert werden. Tafel fur Tafel, Figur fur Figur.

Und nun, wo wir es zerlegt vor uns haben, sollte es auch historisch-wissenschaftlich untersucht und katalogisiert werden. Verschiedene Epochen und Kunstler haben an ihm gearbeitet… vom Bernsteinschneider Gottfried Wolffram und den Danziger Meistern Ernst Schacht und Gottfried Turow im Jahre 1707 bis zu Rastrelli im Jahre 1760 in Zarskoje Selo, dem Jahr der endgultigen Aufstellung des Zimmers unter Zarin Elisabeth. Und auch dann noch, ab 1763, arbeiteten funf Konigsberger Bernsteinmeister am Aufbau und an Erganzungen der

Vertafelung weiter. Es waren Friedrich und Johann Roggenbuch, Clemens und Heinrich Wilhelm Friedrich und Johann Welpendorf. Das mussen wir alles sehr genau registrieren, bevor wir das Bernsteinzimmer wieder einbauen.«

«Unser Superfachmann!«Koch kratzte sich die Nase und strich dann uber seinen kurzen Schnurrbart.»Was sagen Sie dazu, Dr. Wollters?«

«Ich pflichte den Ausfuhrungen des Kollegen Findling bei, Herr Gauleiter«, antwortete der Rittmeister vorsichtig.»Wir haben jetzt die beste und ich glaube einmalige Gelegenheit, das Bernsteinzimmer genau zu untersuchen und kunsthistorisch auszuwerten.«

«Mit Wissenschaftlern zu arbeiten, ist eine Strafe!«Koch wandte sich wieder Dr. Findling zu.»Ich wunsche, da? alle diese Arbeiten so schnell wie moglich ausgefuhrt werden. Nicht, da? uns die Zeit uberrollt und der Krieg gewonnen ist, bevor das Bernsteinzimmer im Schlo? aufgebaut ist. Sie wissen doch, meine Herren, da? dann das Zimmer nach Linz, in die Ostmark, kommen konnte. Mein ganzes Trachten ist, diesen einmaligen Schatz hier im Schlo? zu lassen… fur alle Zeiten! Wenn es in Einzelteilen herumliegt, ist es leichter abzutransportieren, als wenn es wieder eingebaut ist und eventuell neuen Schaden ausgesetzt wird. Beeilung also, Dr. Findling. Ob nun eine geschnitzte Figur von Meister Popofax stammt oder eine Girlande von Meister Pipistrom, das ist doch im Grunde gleichgultig!«

«Nicht fur die Wissenschaft, Herr Gauleiter«, sagte Dr. Runnefeldt furchtlos.

«Ich sagte es ja: Ihr Wissenschaftler seid eine Strafe Gottes. «Koch hieb mit der Faust auf den Tisch, da? die von einer Ordonnanz servierten Kaffeetassen klirrten.»Wann darf ich wenigstens eine Tafel sehen? Ist das denn erlaubt?«

«Wir werden einige Kisten offnen und eine Tafel zusammensetzen. Allerdings nur liegend, Herr Gauleiter.«

«Wie gutig von Ihnen. «Koch erhob sich abrupt. Die erste Bernsteinzimmer-Konferenz war damit beendet. Die anderen Herren schnellten von ihren Stuhlen hoch.»Wann?«fragte

Koch.

«Ich werde versuchen, es heute Nachmittag zu bewerkstelligen.«

«Versuchen Sie es, Dr. Findling. «Dicker Spott lag in Kochs Stimme.»Wohin darf ich mich begeben?«

«Ich schlage vor, eine Tafel auf dem Boden des fur den Aufbau vorgesehenen Zimmers Nummer 37 auszulegen.«

«Und um welche Uhrzeit ware meine Anwesenheit genehm?«»Ich werde Sie benachrichtigen, Herr Gauleiter.«

«Zu gutig!«Koch ging zur Tur, gefolgt von seinem Schatten Bruno Wellenschlag.»Denken Sie daran, da? ich um neunzehn Uhr zu Abend esse…«

Er ri? die Tur auf und stampfte hinaus. Erst als die Tur zugefallen war, atmeten die Herren sichtbar auf. Dr. Runnefeldt sah zu Dr. Findling, der bleich an der Tischkante lehnte. Dr. Wollters kaute an seiner Unterlippe.

«Den haben Sie aber kraftig ins Kreuz getreten!«sagte Runnefeldt.»Naturlich sind Sie im Recht… aber befurchten Sie keine Repressalien von ihm?«

«Man hatte es diplomatischer ausdrucken sollen, nicht so direkt«, warf Dr. Wollters ein.»Wir kennen doch des Gauleiters Empfindlichkeit. Das wird Folgen haben, Dr. Findling.«

«Es geht nicht um mich, es geht um das Bernsteinzimmer. «Findling stie? sich von der Tischkante ab.»Auch ein Gauleiter mu? vor so einem Kunstwerk Geduld lernen. «Er trat an das Fenster, blickte hinunter zum Schlo?hof und auf die achtzehn Lkws. Sie wurden von funf Soldaten bewacht.»Wie lange bleiben Sie, Kollegen?«

«Ich werde ubermorgen nach Riga zuruckkehren mussen«, sagte Dr. Wollters.»Vermute, da? ich noch einmal nach Paw-lowsk mu?. Die Ausbeute an Kunstschatzen dort im Schlo? ist ja kaum zu uberblicken!«

Auf dem breiten Gang zum Treppenhaus blieb Koch kurz stehen und tippte Wellenschlag gegen die Brust.

«Hast du das gehort, Bruno?«fragte er.»Die studierten Kerle wollen mir die Hose ubern Hintern ziehen!«

«Eine Frechheit, Gauleiter. «Wellenschlag kannte wie kaum jemand anderes Kochs Charakter und Gemutsverfassung.»Aber…«

«Was aber? Diesen Findling werde ich hupfen lassen wie einen Frosch! Und du wirst der Storch sein, der ihm standig im Nacken sitzt!«

«Genaugenommen kann man ihm nichts vorwerfen, Gauleiter.«

«Quatsch nicht so blod, Bruno. «Koch stampfte weiter in Richtung Treppenhaus.»Du verstehst was vom Saufen, aber nichts von Menschenfuhrung. Auch Findling ist ein Lakai, alle um mich herum sind nur Lakaien, und ein Lakai hat zu tun, was ihm befohlen wird, und den Mund zu halten.«

Er stutzte und blieb stehen. Uber den Gang kam ihnen ein alterer Mann entgegen, den Koch irgendwo schon einmal gesehen hatte. Er uberlegte schnell, kam aber zu keinem Ergebnis. Ein Mann in einem schabigen Anzug, der au?erdem noch zu weit war. Wie kommt dieser Kerl in den abgesperrten Trakt des Schlosses?

Der Mann zogerte einen Augenblick, dann streckte er den rechten Arm hoch zum deutschen Gru?.»Heil Hitler, Herr Gauleiter!«sagte er sogar. Es klang nicht sehr frohlich.

«Wer sind Sie?«fragte Koch, ohne den Gru? zu erwidern.»Woher kenne ich Sie? Wir sind uns doch schon mal begegnet…«

«Heute morgen um ein Uhr, Herr Gauleiter. Mein Name ist Michael Wachter. Ich bin mit dem Bernsteinzimmer gekommen.«

«Der Warter!«rief Wellenschlag.»Der Museumsdiener aus Puschkin, Gauleiter. Der mit seinen 225-Jahren- Vorfahren.«»Richtig!«Koch kam noch einen Schritt naher und schaute Wacher durchdringend an.»Sie sind einer der wenigen, die das Bernsteinzimmer genau kennen?«

«Vielleicht der einzige, Herr Gauleiter. Ich kenne jedes Mosa-iksteinchen. Ich bin in dem Zimmer aufgewachsen, es gehort zu meinem Leben.«

«Kommen Sie mit!«Koch winkte herrisch.»Wir mussen uns daruber unterhalten. Was sind Ihre Plane?«»Plane?«fragte Wachter verstandnislos.

«Das Zimmer bleibt jetzt hier… was wollen Sie tun? Sie mussen doch eine Arbeit annehmen.«

«Ich habe gedacht, Herr Gauleiter, da? man mich hier brauchen kann. So wie bisher… als Wachter uber das Bernsteinzimmer. Als Museumsdiener. Es gibt keinen, der…«

«Ich wei?. Ich wei?! Das Bernsteinzimmer ersetzte Ihnen die Muttermilch.«

«Fast war es so, Herr Gauleiter.«

«Wie lange schatzen Sie die Aufbauten hier im Schlo??«»Einige Monate.«

«Der auch, Bruno!«Koch nickte zum Treppenhaus hin.»Kommen Sie mit, Wachter. Ich habe eine Menge Fragen an Sie. Und das mit Ihrer Ubernahme als Wachter uberlege ich mir. Ich brauche einen vertrauenswurdigen Mann fur das Bernsteinzimmer.«

«Danke, Herr Gauleiter. «Wachter schluckte. Ein Klo? im Hals beengte sein Atmen.»Es ware eine gro?e Ehre fur mich, im Schlo? arbeiten zu konnen.«

Sie gingen in ein weitlaufiges Zimmer, in dem eine Reihe von Ritterrustungen an den Wanden standen und in der Mitte einige Glasvitrinen mit historischen Waffen. Kurzschwerter, Stachelkugeln, Beile und Hellebardenkopfe. In der linken hinteren Ecke stand eine moderne Sitzgarnitur, die vollig fremd in dieser Umgebung aus dem Mittelalter ostpreu?ischer Geschichte wirkte.

Koch setzte sich und winkte Wachter zu, das gleiche zu tun.»Warum haben die Russen Sie nicht gezwungen, die deutsche Staatsburgerschaft aufzugeben?«begann er das Gesprach, das mehr einem Verhor glich.»Wieso ist ausgerechnet ein Deutscher der Bewacher des Bernsteinzimmers?«»Es ist durch einen Vertrag von 1716 geregelt,

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