la?t.

Erst als Wachter wieder durchatmen konnte, lie? er Jana los, und sie konnte sagen:

«Vaterchen, eine gute Stelle habe ich. Hier, im Stadtischen Krankenhaus. Bin die Sekretarin der Oberschwester. Eine ehrenhafte Stelle. Habe ein eigenes Zimmer, bekomme ein Gehalt und freies Essen, werde von der Oberschwester Frieda beschutzt wie eine Ikonensammlung, lerne Schreibmaschine, kann mich uberall frei bewegen, kann in ein Kino gehen, ins Theater, in ein Cafe, ein Restaurant- wie ein normaler deutscher Burger lebe ich… und ich trage eine Uniform, die mich vor allen Kontrollen schutzt. Eine eigene Uniform, Vaterchen, keine gestohlene wie die erste, und einen Ausweis habe ich, eine Kennkarte, Lebensmittelkarten, Tabakkarten, Sonderzuteilungen — «sie breitete die Arme aus und drehte sich um sich selbst —»ich bin ein vollgultiger Mensch! Und du, Vaterchen?«»Der Gauleiter und der Museumsdirektor Dr. Findling haben mich fur das Bernsteinzimmer angestellt. Ich bewache und betreue es weiter.«

«Dann hat sich ja nichts geandert!«

«Nur der Ort, Tochterchen. Der Ort… und das ist eine Anderung, die uns noch viel zu schaffen machen wird. Wer wei?, wie der Krieg ausgeht?! Alle hier reden vom Sieg der Deutschen…«»Du bist doch ein Deutscher, Vaterchen.«

«Ja, das bin ich. Ein Preu?e bin ich, wie meine Ahnen… aber ich bin nicht ein Deutscher wie die vielen heute, die sich Deutsche nennen. Die Endsiegglauber, die Heilrufer, die Hitlerhorigen, die Ubermenschen, vor denen alle anderen nur Untermenschen sind, vor allem ihr, die Slawen, die Volker des Ostens. Was ich in den letzten Tagen alles gehort habe. Tochterchen, man mu?te sich schamen, ein Deutscher zu sein und zu ihnen zu gehoren.«

Einen Augenblick dachte Jana an Julius Paschke und schuttelte den Kopf.

«Auch andere gibt es, Vaterchen. Vielleicht viele andere. Wir kennen noch zu wenig.«

«Aber fast alle glauben an den Sieg. An die Vernichtung Ru?lands. Vor Moskau stehen sie, vor Leningrad, die Krim haben sie erobert, marschieren durch den Kaukasus…«

«Und der Winter wird kommen… den kennen sie noch nicht. Und der Ural liegt vor ihnen, dann das unendliche Sibirien, der Amur, der Ussuri, Chinas Grenze, Kamtschatka, die Gebiete um Wladiwostok und am Pazifik… niemand, auch die Deutschen nicht, kann Ru?land erobern. Unser weites Land ist unser ewiges Leben.«

«Wie klug du redest, Tochterchen. Lassen wir uns uberraschen vom General Winter.«

Noch viel, o wieviel hatten sie miteinander zu reden, aber es wurde verdachtig werden, wenn Wachter nicht bald in das Bernsteinzimmer zuruckkam. Vorsichtig offnete er die Tur einen Spalt, spahte in den Flur und zog dann Jana Petrowna aus dem Liebermann-Zimmer. Er brachte sie bis zur Treppe, nickte ihr zu, wartete, bis se die Stufen hinabsprang, und kehrte dann ins Bernsteinzimmer zuruck.

Dr. Findling, Dr. Runnefeldt und Dr. Wollters hatten ihn nicht vermi?t. Sie standen diskutierend vor der gro?en, auf dem Boden liegenden zusammengesetzten Wandtafel und verglichen sie mit Fotos aus alten Museumskatalogen des Katharinen-Palastes. Dr. Findlings Gesicht war von einer gro?en Betroffenheit gezeichnet.

«Wenn alle Tafeln so sind wie diese«- sagte er gerade —»na, dann Prost. Es fehlen der nach oben abschlie?ende Wandfries, de Ornamentverzierungen — zwischen dem Wandfries und dem Deckengemalde, das ja in Puschkin geblieben ist, und eine ganze Menge der Mosaiksteinchen der Tafel. Mir ist das ratselhaft. Das war doch alles noch vorhanden, als Sie das Zimmer ausbauten, meine Herren! Oder nicht?«

«Ich hab's nicht in der Tasche!«antwortete Dr. Wollters beleidigt.»Wir haben das ausgebaut, was vorhanden war.«

«Der uber ein Meter hohe Wandfries war da! Das Bernsteinzimmer stand komplett im Saal. «Dr. Runnefeldt ging einmal um die ajsgelegte Tafel herum.»Nichts fehlte! Das kann ich beschworen! Das ware uns doch aufgefallen… rundum eine kahle Wand von einem Meter Hohe! Und die Ornamente zwischen Fries und Deckengemalde hatten ja auch Lucken hinterlassen, wenn sie nicht mehr dagewesen waren! Nein, das Zimmer war bis auf kleine Schaden unversehrt.«»Fragen wir Wachter. Wenn einer etwas wei?, dann er…«

Bei dieser Lage der Dinge war Wachter zuruckgekommen und hatte die letzten Worte noch gehort.

«Sie haben gehaust wie die Hunnen«, sagte er laut.

«Wer?«Dr. Findling fuhr herum, er hatte Wachter nicht zuruckkommen gehort.

«Die Soldaten…«

«Da haben wir es. Diese sowjetische Soldateska…«Dr. Wollters ballte die Fauste.»Nichts ist ihr heilig…«

«Es waren deutsche Soldaten, Herr Rittmeister«, sagte Wachter.

Jetzt fuhr Dr. Wollters herum, als habe ihn der Museumsdirektor in die Kniekehlen getreten.»Eine Unverschamtheit ist das!«schrie er mit hochrotem Gesicht.»Mann, was Sie da behaupten, ist Wehrkraftzersetzung! Darauf steht die Todesstrafe, wenn ich das melde. Wenn ich das melde! Der deutsche Soldat ist ein Kulturtrager, begreifen Sie das?!«»Schwer — «

«Sie… Sie Volksverrater!«Dr. Wollters japste nach Luft.»Sie bezichtigen unsere tapfer kampfende Truppe des Vandalismus?! Ich… ich finde keine Worte mehr!«

«Eine Anzeige ware sehr interessant. «Wachter ubersah, da? ihm sowohl Dr. Findling wie auch Dr. Runnefeldt warnend zublinzelten. Maul halten, Wachter! Um Himmels willen, seien Sie doch still! Sie wissen ja gar nicht, was Sie da anrichten! Wenn Wollters wild wird, konnen wir Ihnen nicht mehr helfen. Keiner kann das dann mehr… selbst Gauleiter Koch nicht.»Ware sie das?«bellte Wollters.»Das Vergnugen konnen Sie haben!«

«Ich kann einen Zeugen vorweisen, Herr Rittmeister, dem wird man glauben: General von Kortte. Er hat es selbst gesehen, wie die Soldaten im Bernsteinzimmer gehaust haben. Mit ver-dreckten Stiefeln, voller Lehmklumpen, lagen sie auf den wertvollen Polstermobeln, mit Seitengewehren haben sie Mosaike und ganze Schnitzereien aus den Wanden gebrochen, zur Erinnerung und um die Andenken an ihre Frauen zu schicken, mit ihren Nagelstiefeln haben sie das unersetzliche Intarsienparkett zertreten. Ich wollte sie von der Zerstorung abhal- ten…was haben sie getan? Mich niedergeschlagen haben sie, fast getotet, eine Horde von…«

«Jetzt reicht's!«brullte Wollters au?er sich.»Bezeichnet unsere heldenhaften Soldaten als marode Horde… Meine Herren, Sie haben es gehort! Sie sind meine Zeugen!«

«Wir konnen bezeugen, da? Herr Wachter, als wir in Puschkin ankamen, noch einen Kopfverband trug, und da? wir von Herrn General von Kortte erfahren haben, da? er das Bernsteinzimmer sofort nach diesem Vorfall raumen lie? und die Truppe andere Quartiere erhielt. «Dr. Runnefeldt hob die Schultern.»Leider ist das alles wahr, lieber Kollege… und Sie wissen es auch. Sie waren ja immer dabei. Unsere Soldaten haben das Bernsteinzimmer wie einen Steinbruch benutzt.«»Nun ubertreiben Sie nicht, Runnefeldt!«Dr. Wollters ging ein paarmal um die zusammengesetzte Wandtafel auf dem Boden herum.»Ich habe kaum etwas bemerkt.«

«Ich um so mehr. «Wachter lie? sich durch nichts mehr einschuchtern. Er war im Recht, und er hatte zeit seines Lebens untadelig gelebt und war ein aufrechter Mann.»Ich war ja dabei, wollte es verhindern und wurde dafur fast ermordet.«»Unsere Landser haben doch nicht den ganzen Wandfries geklaut.«

«Nein.«

«Und um den geht es jetzt, nicht um ein paar herausgebrochene Steinchen. Der Wandfries war unbeschadigt. Stimmt das?«

«Ja.«

«Also, dann halten Sie den Mund, Wachter, und spielen Sie nicht kleine Einzelverfehlungen zu einer Diffamierung deutscher Soldaten hoch! Das klingt ja so, als ob unsere gesamte Wehrmacht nur aus Kunstraubern bestunde!«

«Nein… das sind nur einzelne, Herr Rittmeister. Nur eine kleine Gruppe…«

«Na also! Wer wird aus einem Furz schon einen Elefanten machen? Vergessen wir Ihr Gejammer…«

Da? er mit festem Schritt in eine Falle marschiert war, bemerkte Wollters nicht. Dr. Findling und Dr. Runnefeldt begriffen sofort den Doppelsinn der Worte und fuhlten sich unmittelbar angesprochen. Mit betroffenem Blick sahen sie Michael Wachter an, und Runnefeldt atmete erlost auf, als er feststellte, da? der Rittmeister den Tiefschlag gar nicht bemerkt hatte.

«Lassen wir dieses Thema doch fallen, meine Herren«, schlug Runnefeldt vor.»Wir mussen uns mit dem abgeben und begnugen, was wir als Bernsteinzimmer aus Puschkin bekommen haben. Au?erdem sind ja noch nicht alle Kisten ausgepackt.«

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