Bevor sie gingen, druckten sie Wachter eine Schriftrolle in die Hand, und Schafirow sagte:

«Ubergeb Er dies dem Zaren! Er wei?, was es ist, nach seinem Willen ist es geschrieben. Er moge es unterzeichnen. Es eilt.«

Wieder sa? Wachter bis gegen Morgen vor der Tur des Bernsteinzimmers auf seinem Hocker und wartete. Einmal kam Adele zu ihm, mit einem Korb voll Obst und kaltem Pfannkuchen, einem Krug mit Bier und einer Pfeife mit Tabak.

«Etwas essen mu?t du«, sagte sie leise.»Und sei vorsichtig, Fritz. Hat er seinen Sohn mit eigener Hand umgebracht?«

«Ich wei? es nicht.«

«Uberall in Petersburg flustert man es. Zu Tode gepeitscht soll er ihn haben und dann auch noch gekopft!«

«So viel wird erzahlt werden. Geh jetzt und la? mich mit dem Zaren allein. Einsam ist er im Herzen… nur niemand sieht es. «Der Morgen graute schon, als das Bernsteinzimmer aufgeschlossen wurde. Der Zar stie? die Tur auf, verkrummt von Schmerzen; mit wild zuckendem Gesicht und einem verzerrten Mund, aus dem der Speichel rann, stand er dort. Ein neuer Anfall hatte ihn gepackt, und er war so schwer, da? Peter in diesen Minuten an seinen Tod glaubte. Erst der Zarewitsch, jetzt er… Gott strafte Ru?land.

«Fjodor — «keuchte er, als er Wachter erkannte.»Fjodor, helf Er mir. Ich sterbe… ich sterbe… Gott hat mich verlassen… Mein armes Ru?land…«

Er stutzte sich auf Wachters Schulter, aber es war mehr ein Aufbaumen, ein Kampf gegen die Krankheit, und die ganze Last des Riesen lag auf Wachters Rucken. Er stemmte sich breitbeinig gegen das Gewicht, hatte das Gefuhl, kleiner zu werden unter dieser Last, zusammenzuschrumpfen, die Knochen schoben sich ineinander, und mit letzter Kraft gelang es ihm, den Zaren gegen die Wand zu lehnen und sich gegen ihn zu drucken wie ein stutzender Pfahl.

«Sie werden weiterleben, Majestat — «keuchte er dabei.»Warum? Warum mu? ich weiterleben?«

«Majestat haben noch so viele Plane, um aus Ru?land die starkste Macht der Welt zu machen. Das mussen Sie noch erfullen.«

«Und wenn ich es nicht mehr kann, Fjodor Fjodorowitsch?!«»Sie konnen es, Majestat. Sie sind wie ein Fels… auch der Tod des Zarewitsch spaltet Sie nicht.«

Der Druck auf Wachters Schulter lie? nach, der Zar richtete sich auf, der Anfall ebbte ab. Mit schwei?uberstromtem Gesicht, den Mund noch verzerrt, ein Zittern in den Handen schwankte er in das Bernsteinzimmer zuruck, tastete sich an der Wand entlang, Halt suchend, und erreichte muhsam den geschnitzten Sessel. Mit einem tiefen Seufzer lie? er sich auf den Sitz fallen und streckte die Beine weit von sich.

«Was wei? Er vom Tod meines Sohnes?«fragte Peter I.»Nichts… nur da? er tot ist.«

«Und Er fragt mich nicht?«

«Ich mochte — wie Sie — weiterleben, Majestat. «Er holte aus der Rocktasche die Schriftrolle und hielt sie dem Zaren hin.»Das haben mir Furst Menschikow und Kanzler Schafirow gegeben. Es bedarf noch Ihrer Unterschrift.«

«Menschikow. Schafirow! Sie waren hier?«

«Ja, ich habe sie weggewiesen. Ich wu?te, da? Majestat allein sein wollten, ganz allein…«

«Eine gute Tat war das. Ich werde es Ihm danken.«

Der Zar rollte das Schriftstuck auf und las den kunstvoll geschriebenen Text. Nicht mehr anzusehen war ihm der Anfall, die Krampfe hatten seinen Korper verlassen. Ruhig, als sei's ein Tag wie jeder andere, mit gerunzelter Stirn und etwas geschurzten Lippen beendete er die Lekture des Schreibens und blickte dann zu Wachter hoch.

«Er ist ein kluger Mensch, das wei? ich«, sagte der Zar.»Hor Er zu, was ich in aller Welt verbreiten lassen will:

>Bei der Verkundigung des Gerichtsurteils gegen Unseren Sohn schwankten Wir, sein Vater, zwischen dem naturgema?en Erbarmen einerseits und der Sorge um die Sicherung des Friedens im Reiche andererseits. Wir konnten in dieser so schmerzlichen und schwerwiegenden Angelegenheit keine Entscheidung treffen. Aber der allmachtige Gott wollte Uns in seiner Gute aus Unseren Zweifeln befreien und Unser Haus und Unser Land vor der Gefahr und der Schande schutzen. Er zerschnitt gestern, am 26. Juni, den Lebensfaden des Zarewitsch Alexej. Dieser erlag einer schweren Krankheit, die ihn bei der Verlesung des Todesurteils und der Liste seiner Verbrechen gegen Uns und den Staat befiel. Die

Krankheit begann mit einer Art Schlaganfall. Dann kam er wieder voll zu Bewu?tsein, beichtete, empfing die christlichen Sterbesakramente und bat Uns, ihn zu besuchen, was Wir auch, seine samtlichen Ubeltaten vergessend, begleitet von allen Unseren Ministern und Senatoren, taten. Er gestand aufrichtig seine Verbrechen gegen Uns, weinte viel und erhielt die Vergebung, die Wir ihm als Vater und Herrscher schuldeten. Am 26. Juni gegen sechs Uhr nachmittags starb er eines christlichen Todes.. <

Ist das gut so, Fjodor Fjodorowitsch?«

«Es ist klug aufgesetzt, Majestat… aber keiner wird es glauben.«

Der Kopf des Zaren schnellte hoch, seine Augen spruhten wieder das gefahrliche Feuer.

«Warum nicht?! Es ist die Wahrheit!«

«Wenn es die Wahrheit ist, will sie niemand glauben. Sie klingt zu einfach.«

«Ich habe geschrieben: >… er zerschnitt den Lebensfade<. Ich habe geschrieben: >…eine Art von Schlaganfall. < Und ich war bei ihm bis gegen elf Uhr morgens. Was ist da Luge?!«»Sie haben dem allmachtigen Gott alles zugeschoben. Er hat gerichtet, Sie von der Entscheidung befreit. Majestat, es klingt wie eine Flucht zu Gott.«

Der Zar starrte Wachter an, als sei er von ihm geschlagen worden. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde so mit ihm gesprochen, niemand hatte es je gewagt, ihn der Luge zu bezichtigen, und wer bisher etwas Schlechtes uber den Zaren gesagt hatte, war ausgepeitscht, gehangt, gekopft oder geradert worden. Der Zar hatte immer recht — was er auch tat, es war gottgewollt.

«Denkt so das Volk?«fragte er.

«Ich befurchte es, Majestat.«

«Und das sagt Er mir ins Gesicht?! Wachterowskij, hat Er keine Angst vor dem Pfahlen?!«

«Ich bin ganz in der Hand Ihrer Majestat. Urteilen Sie uber mich… ich habe Ihnen versprochen, immer die Wahrheit zu sagen.«

Der Zar lie? die Schriftrolle fallen und blickte auf die vom Kerzenschein erhellten Bernsteinwande. Das Zucken um seinen Mund begann wieder, aber neue Krampfe folgten nicht. Mit leiser, stumpfer Stimme sagte er nur:

«Sag Er, wird man mich vergleichen mit Iwan IV.? Iwan, den man den Schrecklichen nennt? Er erschlug seinen Sohn, den Zarewitsch Iwan, wirklich mit seinem eisenbeschlagenen Stock. Im Jahre 1582 war's… wird man nun sagen: Im Jahre 1718 wurde der Zar zu Peter dem Schrecklichen?«

«Man wird Sie immer Peter den Gro?en nennen — «

«Und wenn ich wirklich meinen Sohn getotet habe?!«schrie der Zar auf.

«Sie bleiben >der Gro?e<. Sie haben das alte Ru?land in die Neuzeit gefuhrt, und Sie werden Ru?land noch machtiger machen… wer wird da noch uber Alexej Petrowitsch sprechen? Der Weg der Volker zum Licht war immer blutig. Wie starb der Zarewitsch… Majestat, das mussen Sie allein in Ihrer Seele tragen. Da sind Sie jetzt wirklich allein. Nur Gott kennt Ihre Seele.«

«Er ist ein Philosoph… ein Volks-Philosoph. Welch ein Gluck, da? ich Ihn mag! Alles, was Er jetzt gesagt hat, ist hundert Tode wert. Fjodor Fjodorowitsch… ich konnte Ihn zum Grafen machen.«

«Was soll ich auf einem Gut, Majestat. «Wachter hob beide Hande, die Handflachen nach oben.»Erweisen Sie mir das Gluck und die Ehre, bei dem Bernsteinzimmer bleiben zu durfen und es zu pflegen. Was fange ich mit einem Grafen an ohne Bernsteinzimmer? Es gibt genug Bojaren, Grafen und Fursten in Ru?land, aber nur ein Bernsteinzimmer.«

«Dann gebe ich Ihm tausend Rubel… und mein Vertrauen.«»Ich danke Euer Majestat. «Wachter lie? die Hande sinken und verneigte sich.»Das ist mehr als Furst zu sein oder Metropolit.«

«Dann also an die Arbeit!«Der Zar erhob sich, riesig, barenstark.»Heute feiern wir den Sieg von Poltawa. Mit

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