Kanonendonner, Glockengelaut, Tedeum, Schiffsparade, Musik und

Tanz und dem gro?ten Feuerwerk, das die Welt gesehen hat!«»Sollen wir Trauerkleidung tragen?«

«Nein! Warum?«Der Zar sah Wachter strafend an.»Der Zarewitsch ist schuldig gestorben!«

Er lie? Wachter stehen, ging an ihm mit drohnendem Schritt vorbei, und auf der Treppe horte man ihn kurz danach schreien, die Lakaien beschimpfen und die Wartenden wegscheuchen.

Und die Feier fand statt, wie Peter befohlen. Man tafelte uppig in der Wandelhalle des Sommergartens, das gesamte Diplomatische Korps war anwesend, nachdenklich und wortkarg sa? die Zarin am Tisch, wahrend Peter nach allen Seiten scherzte und bester Laune war. Der Sekretar des Zaren, Menschikow, schrieb in sein Tagebuch:»Nach dem Essen ging man in den Garten Seiner Majestat hinunter, wo man sich sehr gut unterhielt.«

Am klaren, sommerlichen Nachthimmel von Petersburg zerplatzten die Raketen und Feuerrader, die Sternenregen und Lichtergarben. Feurige Kaskaden sturzten aus dem Himmel, von allen Seiten donnerte und blitzte es, das gro?te Feuerwerk, das Peter je gegeben hatte… und zur gleichen Zeit wurde in der Trubezkoj- Bastei die Leiche des Zarewitsch gewaschen, angekleidet und in einen mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Sarg gelegt.

Ein Pope uberwachte die Tatigkeit und betete um Vergebung, wahrend die Raketen knallten und ganz Petersburg lachte und tanzte.

«Der Horizont hat sich erhellt!«rief der Zar und schwenkte sein Glas, und alle jubelten ihm zu. Nicht einer wagte es, ein ernstes, trauriges Gesicht zu machen.

Nur Wachter sa? mit seiner Frau Adele und seinem Sohn Julius in einer Ecke der offenen Wandelhalle und sagte bedruckt:»Mich friert's, wenn ich sehe, wozu Menschen fahig sind…«Dann schlo? er die Augen. Er konnte das Feuerwerk nicht mehr sehen, es genugte, wenn er es horte.

Es war so, wie es Wachter gesagt hatte: Die kommenden Jahre sahen das Aufsteigen Ru?lands zur Weltmacht, niemand sprach mehr von dem Zarewitsch Alexej. Peters Reformen, mit eiserner Hand, ja Terror durchgesetzt, veranderten das Weltbild. Katharina war offiziell zur Zarin gekront worden, Gymnasien und Universitaten wurden gegrundet, das Heer wuchs zu einer gigantischen Macht, es gab keine europaische Politik mehr ohne Ru?lands Wort. Die Schweden waren besiegt, die Turkei und die Sultanate hatten mit Peter Frieden geschlossen, und Petersburg reihte sich ein unter die schonsten Stadte Europas. Aus Baren und Barbaren — wie man bisher de Russen nannte — waren Bundnispartner und soziale Vorkampfer geworden, und wenn auch das Volk unter Steuern und Knute litt… ein anderes Leben war's als die Jahrhunderte vorher. Ein Leben in die Zukunft hinein.

Peter I., nun nicht nur wegen seiner Zwei-Meter-Gro?e, sondern auch als Herrscher und Staatsmann» der Gro?e «genannt, war auf der Hohe seiner Macht ein kranker Mann geworden. Ein hohler Riese, der immer ofter das Bett huten mu?te, der zu Kuren fuhr, der sich in seinen Krampfen wand, der unma?ig essen und saufen konnte, um dann wieder wie ein einfacher Bauer zu leben, der die Matressen wechselte wie seine Hemden, aber nur eine Frau wirklich liebte, seine Katharina. Sie hatte ihm zwolf Kinder geboren, sechs Jungen und sechs Madchen, von denen nur die Tochter Elisabeth noch lebte, neben Anna, der alteren Tochter, die nun mit dem Deutschen Karl Friedrich von Holstein-Gottorp verheiratet war.

Ein Zar wie aus einem Marchen, aus der Ferne betrachtet. In Ru?land selbst aber traumte man von einem Zaren, der gutig und vaterlich war und seinen Weg zum Erfolg nicht mit Galgen, Radern, Pfahlen und Kopfen saumte. Aber wann hatte es in Ru?land jemals einen solchen Zaren gegeben? Noch jeder Herrscher uber das Riesenreich war vom Volk geha?t worden, von den Millionen Bauern und Leibeigenen, Handwerkern und Gewerblern. Mit Peter I. hatte man endlich eine Art Lichtgestalt, die jeder» Vaterchen «nannte, weil er Vater eines neuen Ru?land war.

Friedrich Theodor Wachter und seine Frau Adele bekamen in diesen Jahren noch drei Kinder; zwei starben kurz nach der Geburt, das dritte, ein Madchen, ertrank an einem warmen Sommertag 1723 in der Newa, weil niemand sich um die Hilfeschreie kummerte und jeder am Ufer vorbeiging. Hineinspringen? In die Newa? Welch ein Gedanke! Wer in diesem Wasser schwamm, war selbst schuld an seinem Ungluck. So blieb den Wachters also nur Julius, der Erstgeborene, und oft sagte der Zar zu seinem heimlichen Vertrauten:

«Fjodor Fjodorowitsch, pa? Er gut auf Seinen Sohn auf! Denk Er an das Erbe. Ein kluger Junge ist's, nicht wahr? Nur Gutes hort man von ihm.«

«Ein Medicus will er werden.«

«Verboten! Er gehort zum Bernsteinzimmer!«

«Gesagt hab ich's ihm… aber er hat andere Plane, Majestat.«»Ein Arzt!«Peter hatte abgewinkt und dabei sein Gesicht verzogen.»Wei? Er, was ich von Arzten halte? Schwatzer alle, Lateinschei?er, Scharlatane, Besserwisser ohne Wissen, Quacksalber. Wieviel Arzte habe ich um mich, wei? Er das? Ich wei? es nicht… aber sie wimmeln um mich herum wie die Ameisen. Deutsche Arzte, Englander, Franzosen, Russen, Hollander, Osterreicher, sogar ein Perser ist dabei! Aber helfen sie mir? Lindern sie meine Schmerzen? Von Heilung spreche ich schon gar nicht! Nur Geld kosten sie mich, Tausende von Rubel, und dafur stehen sie um mein Bett herum, glotzen mich an, und jeder hat eine andere Meinung von meiner Krankheit! Jeder braut sein eigenes Saftchen. In Wirklichkeit wissen sie gar nichts. Wachterowskij, Sein Sohn wird kein Medicus!«

Nun, im Jahre 1725, nach einem Weihnachtsfest voller Freude, an dem der Zar zusammen mit seinen Freunden die Tradition der Weihnachtssinger fortfuhrte, ein Umzug von Haus zu Haus der vornehmen Petersburger Gesellschaft, wo Peter I. mit dem Hut in der Hand die Rubel einsammelte, die man ihm naturlich reichlich gab, war Julius Wachter neunzehn Jahre alt. Er hatte sich in die Tochter des Kammerherrn Kondratin M-chajlowitsch Kurakin, die schone Sofja Kondratinowna, verliebt, studierte heimlich bei dem Leibarzt des Zaren, dem

Deutschen Dr. Blumentrost, Anatomie, die Kunst des Schneidens und das Erkennen von Krankheiten, das man Diagnose nennt, und wurde gleichzeitig von seinem Vater in die Pflege des Bernsteinzimmers eingewiesen.

«Warum, Vater — «sagte Julius eines Tages,»- kann ein Arzt nicht auch ein Zimmer bewachen? Dazu bleibt Zeit genug.«»Warum kann ein Zimmerwachter kein Arzt sein?«antwortete Wachter.»Weil man nur einem richtig dienen kann… der Medizin oder dem Bernstein! Beides zusammen hei?t, in jedem nur die Halfte zu tun. Und die Halfte, mein Sohn, ist fur das Bernsteinzimmer zu wenig…«

Das Neujahrsfest endete mit einem der prachtigen Feuerwerke, die der Zar so liebte. Am Dreikonigstag stand er zur Wasserweihe auf der zugefrorenen Newa… aber es war nicht mehr der Zar, der Silberteller aufrollen konnte oder in der Schmiede den Hammer schwang oder auf seinem kleinen schnellen Boot hinaus in die Ostsee fuhr und gegen den Sturm anschrie, wenn dieser uber sein Schiff herfiel. Ein kranker Mann stand da, der nichts von Krankheit wissen wollte, der sich gegen alles stemmte, was ihn angriff, der jetzt, vielleicht von Ahnungen geplagt, Fest um Fest feierte, fast jeden Tag eins, der eimerweise Wodka, Whisky und Branntwein soff, und der unma?ig das Fleisch von Baren, Hirschen, Bullen und Hasen in sich hineinschlang. Bei der von ihm erfundenen» Saufsynode«, einem alkoholischen Gegenstuck zu Friedrich Wilhelms preu?ischem Tabakkollegium, lie? er als Abschlu? einer geheimen» Sauf-Papst«-Wahl sogar gebratene Wolfe, Fuchse, Katzen und Ratten auffahren, die jeder in der Runde essen mu?te… der Zar als Voresser!

Ein Rausch war's, der die Wahrheit uberdeckte. Sie wurde offenbar, als sich Peter I. am 16. Januar ins Bett legte, das er nicht mehr verlassen sollte.

Seine Krankheit hatte Dr. Blumentrost schon lange erkannt, ohne viel Hilfe leisten zu konnen. Da war zunachst die Infektion der Harnwege, die zum ersten Mal richtig zum Ausbruch gekommen war beim persischen Feldzug im Sommer 1722, der eine morderische Hitze mit sich brachte. Vier Arzte erklar-ten die Krankheit mit Harnsteinen und Harnzwang als eine Entzundung der Harnrohre und als Folge der mehrfachen Trippererkrankungen, die sich der Zar bei seinen wilden Lustspielen mit den Matressen, vom Bauernmadchen bis zur Hofdame, geholt hatte. Im Sommer 1724 warfen die Schmerzen in der Blase den Zaren buchstablich um. Er schrie, Krampfe schuttelten ihn, kaum noch denken konnte er, die Welt um ihn herum war ein einziges Leiden.

Dr. Blumentrost, niedergedruckt von seiner Verantwortung als Leibarzt, hilflos wie auch sein Kollege Benjamin van Rhijn, rief den englischen Chirurgen Dr. Horn nach Petersburg, der den Zaren grundlich untersuchte.

«Wir kommen nicht daran vorbei«, sagte Dr. Horn und sah den Zaren dabei voll Anteilnahme an.»Wir mussen einen Katheter einfuhren, um der Blase einen Durchgang zu schaffen. Der Abflu? des Harns ist im Moment das Wichtigste.«

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