«So ist es. «Dr. Findling hatte Gauleiter Koch schon auf dem Weg zur dritten Etage beruhigt, aber jetzt erst atmete Koch sichtbar auf.»Aber man soll sich nie auf das Gluck verlassen. Ich wei? nicht, wer es gesagt hat, aber der Mann hatte recht: Das Gluck ist eine Hure!«

«Das konnte von mir sein!«Koch lachte kurz auf.»Was wollen Sie damit andeuten, Dr. Findling?«

«Deutschland befindet sich nach einem Angriffskrieg im Abwehrkampf…«

«Findling, hoffen Sie nicht darauf, da? meine Ohren Ihnen gegenuber immer taub bleiben. «Koch sah Dr. Findling freundlich, aber tadelnd an.»In einem Krieg geht es hin und her… bis zum Endsieg! Denken Sie an Friedrich den Gro?en. Nach der Niederlage bei Kunersdorf gab keiner mehr einen Heller fur ihn, Preu?en schien am Ende. Und was kam dann? Leuthen! Und Preu?en strahlte heller denn je! Warum? Weil Friedrich nie aufgab! Und so ist auch der Fuhrer… er gibt nicht auf, Ruckschlage machen ihn nur starker, und eines Tages haben wir unser Leuthen: den Endsieg!«

«Immerhin ware es moglich, Gauleiter, da? sich die Luftangriffe auf den Westen auch nach Ostpreu?en ausdehnen«, sagte Findling vorsichtig.

«Sollen sie kommen! Wir holen sie vom Himmel!«

«Aber Bomben konnen sie trotzdem werfen. Und wenn nur eine Bombe das Schlo? trifft, hier diesen Flugel, die dritte Etage…«

Koch starrte Dr. Findling an. Er verstand ihn sofort, und er begriff auch sofort das Unvorstellbare, das dann geschehen wurde. Auch Wachter war plotzlich wie erstarrt und spurte ein Wurgen im Hals.

«Das Bernsteinzimmer — «sagte Koch leise.

«Und alle Gemalde.«

«Unersetzbar.«

«Wenn wir sie nicht retten, Gauleiter.«

«Was schlagen Sie vor, Findling?«

«Ich mochte das Bernsteinzimmer wieder abbauen, in Kisten verpacken und in den sicheren Keller des Sudflugels einlagern. Nach dem Endsieg-«, Dr. Findling machte eine bedeutungsvolle Sprechpause,»- nach dem Endsieg kann es dann leicht wieder aufgebaut werden, wenn es nicht nach Linz transportiert wird in das Fuhrer- Museum.«

«Es bleibt hier!«Koch zeigte mit beiden Handen auf den Fu?boden.»Hier in Konigsberg. Ich werde das bei Bormann und dem Fuhrer durchboxen. «Er sah sich um, drehte sich einmal um sich selbst, und man sah, wie seine Augen vor Stolz leuchteten.»Ausbauen also, Findling?«

«Ja. Alle Wandtafeln sind jetzt so angebracht, da? man sie ohne Schwierigkeiten abnehmen kann. Bei den Girlanden und Sockeln ist es das gleiche. Der Ausbau in Puschkin war wesentlich schwieriger. Rastrelli hatte sie mit der Wand fest verbunden.«

Koch wandte sich zur Seite und streckte den Zeigefinger nach Wachter aus.

«Und was ist Ihre Meinung, Wachter? Sie sind ja fast selbst ein Stuck Bernstein… wurden Sie sich in einen Keller einschlie?en lassen?«

«Um zu uberleben… jederzeit, Herr Gauleiter.«

«Dann halten wir es so. Dr. Findling, Sie haben meine Genehmigung, das Bernsteinzimmer in Sicherheit zu bringen, wo immer Sie es fur sicher halten.«

Das war ein kluges Wort gewesen.

In aller Eile wurden die herrlichen Vertafelungen, Schnitzereien, Sockel, Figuren, Masken, Mosaiken, Engelskopfe und Friese herausgenommen und in 25 Kisten verpackt. Wachter hatte die Verantwortung ubernommen, da? nichts beschadigt wurde, aber trotzdem war Dr. Findling jeden Tag mehrere Stunden im Saal, um diesen Kunstschatz zu uberwachen. Dabei sagte er einmal:»Die Schaden, die das Zimmer in Puschkin durch unsere Truppen bekommen hat, haben wir alle ausgebessert, Michael. «Im Laufe der Monate hatte er sich angewohnt, zu Wachter Michael und Sie zu sagen, eine Vertrautheit, die beweisen sollte, welch eine gro?e Meinung er von Wachter hatte und wie eng er ihm verbunden war in ihrer gemeinsamen Liebe zum Bernsteinzimmer.»Sie wissen, da? wir uns furchterlich geargert haben uber diesen, sagen wir es offen unter uns, Vandalismus deutscher Soldaten. Man konnte schamrot werden. Aber eins geht mir nicht aus dem Kopf, und wir haben seltsamerweise nie daruber gesprochen: Aus der vierten Wandtafel war ein kleiner Engelskopf herausgebrochen. Erinnern Sie sich, Michael? Und wenn ich alte Fotos mit der Lupe betrachte, diese kleine kahle Stelle war immer zu sehen, war immer vorhanden. Nie hat jemand versucht, den Engelskopf neu zu schnitzen und einzusetzen. Auch Sie nicht, Michael. Und auch Ihr Vater nicht. Haben Sie dafur eine Erklarung?«

«Er wurde nie ersetzt, Doktor. Und als ich sah, da? Sie den Engelskopf nachschnitzen lie?en und in die leere Stelle einsetzten, habe ich nichts gesagt, aber ich war wie gelahmt.«»Michael! Was ist denn mit Ihnen?!«Dr. Findling blickte Wachter verwirrt an.»Sie werden ja ganz bleich.«

«Dieses kleine Loch in der vierten Tafel war fur uns wie eine Reliquie. Fur uns Wachters, nur fur uns. Mein Vorfahr Friedrich Theodor Wachter, der erste Betreuer des Bernsteinzimmers, hatte den Engelskopf herausgebrochen, um ihn dem Zar Peter dem Gro?en in den Sarg zu legen. Das war am 28. Januar 1725 in St. Petersburg. Es war einer der letzten Wunsche des Zaren: Ein Stuck vom Bernsteinzimmer auf seiner Brust, um es mitzunehmen in die Ewigkeit. Er starb, bevor mein Vorfahr ihm den Engelskopf bringen konnte. Er hat ihn zwei Tage nach der Beerdigung am Ufer der Newa eingegraben, an der Stelle, wo der Zar am liebsten stand und uber seine herrliche Stadt blicken konnte.«

Wachter senkte den Kopf, und auch Dr. Findling war erschuttert. Sie schwiegen eine ganze Weile, bis Findling sagte:»Michael, das hat niemand gewu?t. Ich verspreche Ihnen: Wenn wir das Bernsteinzimmer wieder aufstellen, entferne ich den nachgemachten Engelskopf. Der >Zarenfleck<, nennen wir ihn so, soll bleiben.«

«Danke. «Wachter wischte sich mit beiden Handen uber die Augen.»Danke, Dr. Findling. Sie sind einer der wenigen, die das verstehen.«

Wie notig der Abbau des Bernsteinzimmers war, erkannte man in der Nacht vom 29. zum 30. August 1944. Bombergeschwader der anglo-amerikanischen Luftwaffe erschienen uber Konigsberg. Ein verheerendes Bombardement begann, die Stadt ging in Flammen auf, Flak und Nachtjager schossen vergeblich in diesen dichten Schwarm hinein. Ais dem Nachthimmel regnete es Tod und Zerstorung. Sprengbomben, Luftminen, Brandbomben und Phosphorbomben entfachten eine Glutholle. Am Morgen des 30. August 1944 gab es das alte Konigsberg nicht mehr.

Das Schlo? der Ordensritter, der Stolz der Stadt, war in einer einzigen Nacht fast vollig zerstort worden. Rauchende Ruinen blieben zuruck, zerplatzte Mauern, eingesturzte Turme, zerfetzte Gebaudeflugel… das Schlo? von Konigsberg war ein Haufen geschwarzter, verkohlter, zerfetzter Trummer.

Der Wehrmachtsbericht lautete:

«30. 8. 1944.

In der Nacht fuhrte die britische Luftwaffe erneut unter Verletzung schwedischen Hoheitsgebietes Terrorangriffe gegen Stettin und Konigsberg.

Luftverteidigungskrafte schossen bei diesen Angriffen 82 viermotorige Terrorbomber ab…«

Das war alles. Ein paar allgemeine Satze uber die Vernichtung einer Stadt, das Elend von Tausenden, den Tod von Frauen, Kindern und Greisen, uber aufgerissene Leiber und Menschen, die in den Kellern erstickten, die verbrannten oder an Lungenri? jammerlich krepierten.

Gauleiter Koch, aus seinem sicheren Bunker hervorgekrochen, lie? sich sofort zum Schlo? fahren, zum Sudflugel, der vollig zerbombt war. Er suchte Findling und Wachter und fand sie im Hof des Schlosses, umgeben von Soldaten und polnischen Zwangsarbeitern.

«Das Bernsteinzimmer!«schrie Koch, als er aus dem Wagen sprang.»Was ist mit dem Bernsteinzimmer, Findling, sagen Sie mir die Wahrheit!«

Die Stadt brannte noch, Hauser sturzten in sich zusammen, Bergungstrupps wuhlten die Trummer nach Uberlebenden durch. In den Krankenhausern, in Schulen und Turnhallen lagen die Wimmernden und Sterbenden, arbeiteten die Arzte und Sanitater, die Schwestern und Freiwilligen und kampften um jedes Leben.

«Es ist unversehrt, Gauleiter. «Dr. Findling, mit ru?geschwarztem Gesicht, nickte Koch zu.»Die Keller haben gehalten.«

«Das ist Ihr Verdienst, Findling! Ich werde das nie vergessen. «Koch zogerte, dann streckte er Findling beide Hande hin.»Ich danke Ihnen.«

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