einige Knopfe und Schalter waren, mit einem Kopfhorer, den sie ubergestulpt hatte. Angestrengt schien sie auf etwas zu lauschen, schaltete dann um und tippte mit dem Mittelfinger auf eine Taste. Es klapperte leise… kurz, lang, kurz, kurz… und irgendwo sa? jemand anderer und nahm die Zeichen auf.

«Guten Abend, Sylvie…«sagte Jana laut.

Sylvie fuhr entsetzt hoch, schaltete das Gerat aus, ri? den Kopfhorer herunter, griff zur Seite und lie? die Hand hochschnellen. Ihre Finger umklammerten eine Pistole, die sie jetzt auf Janas Brust richtete.

«Jana, mein Gott, Jana, das hattest du nicht tun durfen«, flusterte sie mit erstickter Stimme.»Jana… jetzt… jetzt mu? ich dich erschie?en… Ruhr dich nicht von der Stelle! Jana… warum hast du nicht angeklopft?«

«Ich wollte dich uberraschen. «Jana starrte auf die Pistole. Der Lauf zeigte genau auf ihr Herz.

«Das ist dir gelungen. Und… ich mu? dich toten. Ich mu?…«»Du hast ein Funkgerat, Sylvie…«

«Ja.«

«Du gibst Nachrichten durch…«

«Ja.«

«Du bist eine Spionin…«

«Ihr nennt es so… Ich kampfe gegen dein Deutschland, gegen den Faschismus, gegen den Krieg, gegen euren verdammten Fuhrer… ich kampfe fur Freiheit und Frieden.. «

«Und du… du hei?t auch nicht Sylvie Aarenlund…«

«Doch. Das ist mein richtiger Name. Aber was sind Namen?«Sie hielt die Pistole immer noch auf Janas Brust, den Finger am Abzug leicht gekrummt. Nur eine winzige Krummung mehr, und es gab Jana Petrowna nicht mehr.»Wir sind eine kleine Gruppe von Antifaschisten. Ich melde ihnen, was ich hier sehe, und sie unterrichten mich, was sie aus Ru?land horen. Uber unsere Gruppe lauft ein direkter Kontakt zum NKWD in Leningrad. «Sie atmete tief durch, hob die Pistole hoher und zielte.»Jetzt wei?t du alles, Jana… ich mu? schie?en. Versteh mich… ich mu?!«

«Du erschie?t eine Freundin, Sylvie — «

«Ich mu?!« rief Sylvie voller Qual.»Ich kann jetzt doch nicht anders. Ich darf keinen Mitwisser haben!«

«Aber eine Mitkampferin… ist das auch verboten?«Jana kam ins Zimmer und sah, da? der Lauf der Pistole jeder ihrer Bewegungen folgte.»Sieh mich nicht so unglaubig an, Sylvie. Du hattest dein Geheimnis, ich habe mein Geheimnis… beide bedeuten den Tod! Ich bin keine Rote-Kreuz-Schwester.«

«Das sagst du jetzt nur!«Sylvie hielt die Pistole in Augenhohe, wahrend Jana mit beiden Handen durch ihr Haar fuhr. Die Schwesternhaube hatte sie vom Kopf gerissen und auf den Boden geschleudert.»Damit kannst du dich nicht mehr retten,«

«Ich bin auch nicht in Lyck geboren, sondern in Leningrad. Ich bin eine Russin und hei?e richtig Jana Petrowna Rogowska-ja.«

Ganz langsam lie? Sylvie ihre Waffe sinken.»Wie… wie willst du das beweisen?«sagte sie gepre?t.

«Kannst du russisch?«

«Ja.«

«Ich bin in der Uniform der Rote-Kreuz-Schwester bei Puschkin von den deutschen Truppen uberrollt worden und bin seitdem Deutsche«, sagte sie auf russisch.»Niemand hat mich gefragt… die Schwesterntracht allein genugte. Ich gehore zur Bewachung des Bernsteinzimmers… der Verwalter, Michael Wachter, ist mein zukunftiger Schwiegervater. Sein Sohn N-kolaus kampft in Leningrad gegen die Deutschen… Nikolaj Michajlowitsch Wachterowskij. Bei Beginn der Blockade war er in der Eremitage beschaftigt. Ich wei? nicht, ob er noch lebt, ob er die neunhundert Tage Hunger und Sterben uberlebt hat, neunhundert Tage Holle, bis unsere Rote Armee die deutschen Truppen zuruckdrangte und Leningrad befreite. Ich habe keine Nachricht von ihm, wie auch? Woher? Sylvie, ich lebe hier ein anderes Leben, genau wie du… Glaubst du mir?«»Ja. «Sylvie lie? die Pistole sinken.»Ich glaube dir. Mein Gott, ich hatte dich erschossen, erschie?en mussen… meine beste, einzige Freundin.«

«Ich verstehe es, Sylvie.«

«In welch einer gnadenlosen Zeit leben wir!«

Sie lie? das Funkgerat auf den Sessel gleiten, sprang auf, umarmte Jana, zog sie an sich und ku?te sie nach alter Russenart dreimal auf die Wangen. Und plotzlich weinte sie, die Nervenanspannung loste sich und wurde zum Schluchzen. Die Erkenntnis, da? sie Jana wirklich erschossen hatte, lie? sie fast zusammenbrechen.

Von diesem Tag an gab es nichts, was Sylvie und Jana hatte trennen konnen. Manchmal sa? Jana neben ihr, wenn sie mit ihrer Gruppe den Funkverkehr aufgenommen hatte und die Truppenteile durchgab, die Konigsberg verlie?en oder in Konigsberg einmarschierten. In Leningrad war man so uber alle Truppenbewegungen der deutschen Armeen unterrichtet, uber ihre Ausrustung, uber die Zahl von Artillerie und Panzer und uber die Zuge, die Verpflegung und Munition in die Stadt brachten. Jana half mit, indem sie wiedergab, was ihr die verwundeten Soldaten im Krankenhaus von der Front erzahlten, von Munitions- und Spritmangel, von der Stimmung in der Truppe, von den herumgeisternden Geruchten, die der Landser» Latrinenparolen «nannte und die doch immer ein Quentchen Wahrheit enthielten. Aus den von allen Seiten hereinkommenden Mosaiksteinchen an Informationen setzte man dann in Moskau das ganze Bild der deutschen Lage zusammen. Ein fast vollkommenes Bild… das langsame, aber unaufhaltsame Sterben des Gro?deutschen Reiches. Die Niederlage Hitlers. Das Ende der Naziherrschaft. In Moskau wu?te man mehr als der Gro?teil der deutschen Bevolkerung. Man kannte die Wahrheit… wer in Deutschland wu?te von ihr? Die Wahrheit uber Sylvie erfuhr ein paar Tage spater auch Wachter. Er nahm sie sehr vorsichtig auf, prufte das hubsche blonde Madchen, sprach mit ihr russisch, nahm einmal teil an dem Funkverkehr mit Schweden und las die Notizen, bevor Sylvie sie verbrannte.

«Sag ihnen — «, meinte eines Abends Wachter zu Sylvie,»-da? das Bernsteinzimmer unversehrt und gut bewacht ist. Sie sollen es nach Leningrad weitergeben, zum Direktor der Eremitage. Und eine gro?e Bitte habe ich«, er sprach jetzt wieder russisch,»die Bitte eines Vaters. Frag sie, ob sie mein Sohn-chen gesehen haben, ob sie wissen, ob er noch lebt oder ob er gefallen oder verhungert ist. Hat er an der Front gekampft, oder ist er auf der Stra?e erfroren wie all die Hunderttausenden in Leningrad. Lebt er noch… wo ist er dann? Sylvie, kannst du das fragen? Ein Vaterherz kannst du von vielen Zweifeln und gro?er Not befreien. Auch Jana zittert um Nikolaj. Frag sie… frag sie… bitte…«

Sylvie versprach es, aber in Leningrad schwieg man. Wochen gingen dahin, Monate, und immer hatte sie mit den Schultern gezuckt, wenn Jana fragte. Ein zermurbendes Warten war's, bis Wachter sagte:

«Sie finden ihn nicht… auch das ist eine Antwort. Tochterchen, seien wir gefa?t, belugen wir uns nicht selbst. Nikolaj gehort zu den Tausenden Unbekannten, die sie in Leningrad begraben haben. Er ist als Held gestorben… das sei unser Stolz.«

Er entzundete eine kleine runde Kerze in einem Metallschalchen, das die Deutschen» Hindenburglicht «nannten, stellte sie vor die aufgeklappte Reise-Ikone seines Vorfahren Friedrich Theodor und betete zusammen mit Jana Petrowna fur das Seelenheil Nikolajs. Jeden Tag erneuerte er die Kerze, lie? das flackernde Lichtchen nie ausgehen. Und als der gro?e Fluchtlingstreck uber Oslpreu?en hereinbrach, als Tausende Leiterwagen, zweiradrige Karren mit Frauen und alten Mannern als Zugtieren und voll bepackte Kinderwagen, Schlitten und sogar Flo?e aus Brettern uber die vereisten Stra?en nach Westen zogen, im Schneesturm steckenblieben, als Tausende am Stra?enrand erfroren und dort liegenblieben, weil es sinnlos und hindernd war, die Leichen mitzuschleppen, als von allen zuerst die Sauglinge und kleinen Kinder, die Schwachen und die Greise starben, besorgte sich Wachter kraft seines Gauleiter-Briefes aus der Zentrale fur Bombengeschadigte drei Kisten voll» Hindenburglichter«, weil Bruno Wellenschlag sie kontingentierte: Fur jede Familie pro Woche zwanzig

Stuck.

Drei Kisten… jetzt hatte er genug bis zum Ende des Krieges. Das Ende, das vor der Tur stand, an den Grenzen Ostpreu?ens und im Westen von Ungarn bis zur Nordseekuste. Eine riesige Zange, die Deutschland zusammenquetschte. Jetzt war es kein Krieg mehr, den Hitler fuhrte… es war ein millionenfacher Mord an seinem eigenen Volk.

Gauleiter Koch empfing alle wichtigen Manner seiner Stabe, alle Befehlshaber der vielfaltigen Organisationen, die Kommandierenden der Truppenteile in und um Konigsberg, auch Dr. Findling und sogar Wachter befahl er zu sich in den Saal der Gauleitung.

Vor einer riesigen, an der Wand aufgespannten Hakenkreuzfahne stand er dann in seiner ma?geschneiderten Uniform mit den breiten Breecheshosen, die Beine gespreizt, den Kopf in den Nacken

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