Silbersammlung, die Gemalde alter russischer und europaischer Meister, darunter ein Rubens, ein Canaletto und ein Spitzweg. In einer besonderen Kiste hatte man einen Gobelin aus Flandern aus dem Jahre 1580 verstaut, ein Riesengewebe von 4,52x3,50 Metern. Diese Kiste trug, mit Pinsel und schwarzer Farbe aufgemalt, den Vermerk: M-D-Vo? und — in einem gezeichneten Dreieck — den Buchstaben B. Ein Gobelin, der unter» Fuhrervorbehalt «fiel. M-D-Vo? war die Abkurzung fur den Beauftragten des Sonderauftrages» Linz«, den in Dresden lebenden Museumsdirektor Vo?, und das B im Dreieck lie? die Deutungen Berlin, Berchtesgaden oder Bormann zu.

Das hatte jetzt alles wenig Bedeutung. Was mit den Rote-Kreuz-Wagen abtransportiert wurde, galt als» Sammlung Gauleiter Koch«.

Noch einmal versuchte Dr. Findling, mit Koch zu sprechen. Es war funf Uhr morgens, das Artilleriefeuer an der Front von Wehlau war deutlich zu horen. Aber Koch war nicht zu erreichen. Er hatte zur Uberraschung aller seinen GauleiterSonderzug den in geballten Massen am Hafen und Bahnhof wartenden Fluchtlingen zur Verfugung gestellt. Militar und Parteifunktionare regelten, so gut es ging, das Chaos, als Tausende den Zug sturmten. Der Befehl» Frauen und Kinder zuerst «war vollig sinnlos geworden, um einen Platz im Zug wurde getreten und geboxt, niedergerannt und zusammengeschlagen. Im Hafen war es nicht anders. Der Sturm auf die wenigen noch zur Verfugung stehenden Schiffe war ein Kampf auf Leben oder Tod. Die Zange um Ostpreu?en schlo? sich von Stunde zu Stunde mehr, die sowjetischen Armeen von Tschernjakowskij und Rokossowskij drangen unaufhaltsam vor.

Am Apparat erreichte Dr. Findling nur Bruno Wellenschlag, dessen Stimme vor Angst gebrochen schien.

«Ja, Doktor, ja! Hauen Sie ab!«rief Wellenschlag ins Telefon,»Die Russen sto?en auf Elbing zu und werden uns abschneiden. Dann ist fur Sie der Ofen aus! Sie mussen den Landweg noch schaffen! Umladestation ist Berlin, von dort bringt ein Zug die Ladung nach Reinhardsbrunn. Der Gauleiter hat mit dem Gauleiter von Thuringen Sauckel alles durchgesprochen, von Schlo? Reinhardsbrunn geht es weiter in ein Salzbergwerk. Reinhardsbrunn wird wahrscheinlich das neue Fuhrerhauptquartier werden und den Namen >Wolfsturm< erhalten. Sicherer geht es nicht. Mann, hauen Sie endlich ab!«

Er legte auf. Hauptmann Leyser, der neben Dr. Findling stand und alles mitbekommen hatte, sah Findling betroffen an.»Das klingt nicht nach Endsieg — «, sagte er dann sarkastisch.»Also dann los! Sie bleiben hier?«

«Ich mu?!«

«Dann — ein Uberleben. Das ist alles, was ich Ihnen wunschen kann. «Sie gaben sich die Hand und gingen dann hinunter in den Hof des zerstorten Schlosses.

An den abfahrbereiten Lkws warteten neben den Fahrern mit der Rote-Kreuz-Binde auch Michael Wachter und eine junge Krankenschwester. Sie hatte einen Sanitatskoffer an einem Lederriemen uber der linken Schulter hangen. Dr. Findling bekam einen Schreck, aber er besa? genug Beherrschung, es nicht zu zeigen. Michael, was tun Sie da? Die nachsten Minuten sind Ihr Todesurteil!

Hauptmann Leyser blickte erstaunt auf die beiden und kam schnell naher. Wachter kannte er vom Beladen der Lastwagen, die Rote-Kreuz-Schwester war ihm neu.

«Ja bitte?«fragte er knapp.»Sie wunschen?«

«Ich bin bereit«, antwortete Wachter.

«Wozu?«

«Zur Begleitung des Sonderkommandos, Herr Hauptmann.«»Sie? Davon wei? ich nichts. «Leysers Verbluffung war gro?.»Ich habe Ihren Namen nicht auf der Transportliste.«

«Ich komme im personlichen Auftrag des Herrn Gauleiters mit. Gewisserma?en in seiner Vertretung. Hier ist meine Anweisung, Herr Hauptmann.«

Wachter hielt Hauptmann Leyser den Brief vor, den Koch ihm nach dem verheerenden Luftangriff auf Konigsberg geschrieben hatte.

«… dem Michael Wachter ist jede Hilfe zu gewahren. Er ist berechtigt, in meinem Namen im Zusammenhang mit den Kunstschatzen im Konigsberger Schlo? notwendige Anordnungen zu treffen…«

Hauptmann Leyser lie? den Brief sinken. Dr. Findling starrte Wachter angstlich an. Ein eiskalter Hund sind Sie, Wachter, dachte er. Himmel, was wagen Sie da! Der Brief ist doch jetzt nichts mehr wert.

«Das ist kein Marschbefehl, Herr Wachter«, sagte Leyser prompt.»Zwar eine Vollmacht, aber — «

«In den Kisten befinden sich die gro?ten Kunstschatze europaischer Kultur, Herr Hauptmann. Mein Auftrag vom Gauleiter lautet, sie nicht aus den Augen zu lassen und sie uberallhin zu begleiten. Es gabe ungeheure Komplikationen, wenn ich diesen Auftrag nicht erfullen konnte. Sie haben es gelesen, da? ich zu notwendigen Anordnungen berechtigt bin.«

«Ohne Marschbefehl — «, sagte Leyser wieder, aber nun zogernder.

«Fur die Ausstellung einer solchen Formalitat ist es jetzt zu spat«, mischte sich Dr. Findling ein und blinzelte Wachter zu.»Sie haben gerade selbst am Telefon gehort: Der Transport mu? sofort abgehen.«

«Dann also, gut. Steigen Sie ein!«Er wandte sich zu Jana um und betrachtete sie, wie jeder Mann, von oben bis unten mit einem interessierten Blick.»Und Sie?«

«Ich bin als Krankenschwester und Sanitaterin zugeteilt«, sagte sie mit einem forschen Augenaufschlag.»Der Herr Gaulei-ter ist der Ansicht, da? zu einer Sanitatskolonne auch eine Krankenschwester gehort. Und sei's zur Tarnung. Ich habe den Befehl zur Begleitung erhalten.«

«Naturlich in der Eile auch ohne Marschbefehl.«

«Nein, Herr Hauptmann… hier ist er. «Sie holte aus der Manteltasche das Formular. Marschbefehl fur Schwester Jana Rogowskij fur Sonderkommando Gauleiter Koch. Konigsberg, den 21. Januar 1945. Unterschrift: Stabsarzt Dr. Pankratz.

«In Ordnung. «Leyser gab Jana das Papier zuruck. Dr. Findling starrte sie fassungslos an.»Fahren Sie in meinem Kubel mit, Schwester Jana?«

«Wenn ich darf, Herr Hauptmann.«»Es wird mir eine Freude sein. «Leyser trat zwei Schritte zuruck und hob den rechten Arm.»Aufsitzen!«brullte er zu den vor ihren Wagen angetretenen Fahrern.»Wagenabstand drei?ig Meter! Kolonne — los!«Zum letzten Mal gaben sich Dr. Findling und Wachter die Hand.

«Michael, Sie sind ein verdammt mutiger Kerl! Machen Sie's gut.«

«Sie auch, Doktor. Auf Wiedersehen — «

«Glauben Sie daran?«

«Ich will es glauben. Gott mit Ihnen, Doktor.«

Plotzlich fielen sie sich in die Arme und umarmten sich. Der erste Wagen fuhr schon an, Jana und Hauptmann Leyser liefen zu dem Kubelwagen, wo der Stabsgefreite Hasselmann wartete.

«Ich habe noch eine gro?e Hoffnung«, sagte Dr. Findling leise.»Koch wird mich in seinen Stab nehmen, und Koch will uberleben. An seiner Seite komme ich hier heraus… das ist meine einzige Chance…«

Wachter ri? sich los, rannte zum Wagen neun, mit dessen Fahrer, dem Unteroffizier Josef Selch, er bereits gesprochen hatte, und kletterte ins Fahrerhaus. Dr. Findling winkte ihnen nach, aber nur kurz… er drehte sich um, senkte den Kopf und ging zuruck in seinen Keller neben dem» Blutgericht«.

Durch den eisigen Morgen ratterte die Lastwagenkolonne durch die zerstorte Stadt zur einzigen Stra?e, die noch nach

Westen fuhrte. Heiligenbeil — Braunsberg — Elbing… und dann freier Weg nach Berlin.

Am Morgen, als Frieda Wilhelmi in ihr Buro kam, wunderte sie sich, da? Jana nicht, wie immer seit fast vier Jahren, schon hinter der Schreibmaschine sa?. Verschlafen hat sie sich, dachte sie. Ist das denn ein Wunder? Wie hat sie in den letzten Wochen arbeiten mussen, bis tief in die Nachte hinein. Einmal braucht auch der Korper Ruhe.

Aber um neun Uhr war Jana noch immer nicht gekommen. Frieda sah auf die Uhr, schuttelte den Kopf und rief in Janas Zimmer an. Sie meldete sich nicht. Uiruhig, besorgt um ihre» Tochter«, walzte sich Frieda uber den Gang zu Janas Zimmer, klopfte an und ri? gleichzeitig die Tur auf. Wehe, wenn bei ihr im Bett ein Mann liegt! Wer's auch sein mag, und wenn es der Chef selbst ist — mit Ohrfeigen jage ich ihn davon. Und sie, Jana, bekommt auch ihre Prugel. Da gibt es gar kein Pardon.

Aber das Bett war leer, unberuhrt, mit militarischer Exaktheit hergerichtet,»gebaut «nennt es der Landser. Frieda Wilhelmi blieb in der Tur stehen, den Blick in sich gekehrt, im Herzen die plotzliche Schwere: Sie ist bei einem Mann uber Nacht geblieben. Nein, denk nicht an so etwas! Sie hat bei ihrer Freundin Sylvie geschlafen und nicht mehr die Stra?enbahn bekommen. Bei Sylvie kann man nicht anrufen, sie hat kein Telefon… aber in ein paar Minuten wird Jana kommen, ausschimpfen werde ich sie, das ist notig, aber dann werde ich ihr einen Riegel

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