ergaben sich die deutschen Truppen in Zell.

Der kleine, schone Ort am Attersee atmete auf. Der Krieg war fur sie vorbei, das Dorf war nicht zerstort, sogar die Neger waren freundlich und schenkten den Kindern Kekse, Fruchtstangen und Schokolade.

Ein schoner Maitag war's. In der Sonne leuchtete der See. Einige Fischerboote waren drau?en und fingen Saiblinge und Renken. In den Vorgarten bluhten Primeln, Tulpen und Stiefmutterchen. Vom Kirchturm lauteten die Glocken.

Es gab noch keinen Frieden, aber uber Nu?dorf lag er bereits. Am 9. Mai 1945 um 00.01 Uhr war der Krieg zu Ende.

In einem gewendeten amerikanischen Offiziersmantel, deutschen Kommi?stiefeln und einem viel zu weiten Anzug stand Michael Wachter am 10. Mai vor den Zinnenturmen am Eingang von Schlo? Reinhardsbrunn. In einem Jeep hinter ihm, neben einem kaugummikauenden GI, sa? Jana Petrowna. Ein dunnes, baumwollenes Kleid trug sie, daruber einen gro?en Schal wegen des Fahrtwindes. Das schwarze Haar hatte sie hochgesteckt und hielt es mit einem roten Band zusammen.

Wachter starrte auf das Schlo?, drehte sich dann um und ging zum Jeep zuruck. Er verzichtete darauf, das Gittertor zu offnen und zum Eingang zu gehen.

Der amerikanische Ortskommandant hatte es ihm schon gesagt: Zwanzig gro?e Kisten waren nicht im Schlo? gewesen, als man es besetzte. Eine Unmenge Material und andere Dinge, aber zwanzig Kisten… nein!

«Hier hort es auf!«sagte er. Seine linke Schulter hing etwas herab, vor allem, wenn er ging.»Niemand wei? etwas. Das Bernsteinzimmer ist verschwunden.«

«Wir finden es, Vaterchen. «Jana beugte sich uber ihn und streichelte seine Wange. Sie sprachen russisch, und der am e-rikanische Soldat am Steuer des Jeeps spuckte seinen zerkauten Gummi uber die Windschutzscheibe. Man hatte gemeinsam gesiegt, aber man mochte sich nicht.»Sei nicht traurig. Wie Wolfe werden wir sein und die Fahrte verfolgen.«»Es gibt hundert verschiedene Spuren, Tochterchen.«

«Und eine ist die richtige. Warte, bis Nikolaj zu uns kommt. Vaterchen, das Bernsteinzimmer wird bald wieder in Puschkin sein.«

Wachter nickte.»La? uns daran glauben, Janaschka. «Er stieg in den Jeep und setzte sich auf den metallenen Rucksitz.»Zum ersten Mal fallt mir das Glauben schwer-«Und zu dem GI sagte er:»Go on.«

Der Jeep ruckte an und fuhr die Schlo?stra?e hinab.

Wachter senkte den Kopf, stellte den Kragen seines Mantels hoch und schlo? die Augen. Wehmut druckte auf sein Herz. Und Trauer.

Gott, der du alles siehst und wei?t: Wo ist mein Bernsteinzimmer..?

Larry

Die Schachtanlagen der Kaligrube Kaiseroda II/III bei der kleinen Stadt Merkers in Thuringen waren von amerikanischen Panzern umstellt. Rund um das Salzbergwerk war Flak aufgestellt worden, alle Stra?en nach Merkers waren von amerikanischen Militarpolizisten gesperrt, uber der Schachtanlage kreisten zwei Hubschrauber, und ein Bataillon Infanterie stand in Paradeformation auf dem Platz vor dem Verwaltungsgebaude der Grube. Eine Menge von Jeeps und Trucks war aufgefahren, schwere Lastwagen mit kompletten Werkstatteinrichtungen, drei mittelschwere Krane standen vor den Schachteingangen, an denen Posten mit schu?bereiten Maschinenpistolen warteten.

Es war der 12. April 1945. Die 3. US-Armee unter General Patton hatte Thuringen erobert in einem Sturmlauf, der atemberaubend war. Als die ersten Panzerkolonnen und Kettenfahrzeuge durch Merkers rasselten, ein Captain das Gemeindeamt betrat, den Burgermeister und alle anderen Amtspersonen fur abgesetzt und vorlaufig unter Haft erklarte, war auch ein Jeep unter den Fahrzeugen, in dem Captain Fred Silverman und Lieutenant Bob Mulligan sa?en. Auch sie hielten beim Gemeindeamt, verlangten den Burgermeister und sprachen den verschuchterten Mann — wer ist nicht voller Angst, wenn er plotzlich verhaftet wird? — in einem einwandfreien Deutsch an. Silverman, als Friedrich Silbermann in Frankfurt am Main geboren, war im Februar 1933 uber London nach New York geflohen, zusammen mit seinen greisen Eltern und nur mit einem Koffer in der Hand. Der Captain gru?te kurz und fragte knapp:

«Wo geht es zur Kaligrube Kaiseroda II/III?«Der Burgermeister erklarte es ihm und wurde etwas bleich. Silverman bemerkte es, winkte Mulligan zu und setzte sich vor dem Verhafteten auf einen der Burostuhle.

«Ich sehe Ihnen an, Sie wissen, wonach ich frage. Spielen Sie jetzt nicht den Ahnungslosen!«sagte er scharf.»Bevor wir uns selbst darum kummern, beantworten Sie mir erst einige Fragen. Zunachst zu uns: Wir sind Mitglieder des OSS, das ist die Abkurzung von Office of Strategie Service! Das sagt Ihnen nichts?«

«Nein. Habe ich noch nie gehort. «Der Burgermeister schuttelte den Kopf.

«Es ist der Name des amerikanischen Geheimdienstes. Sie sollten ihn sich gut merken. Sie werden noch oft mit ihm sprechen. Die Einsatzgruppe fur Kunst- und Kulturguter im deutschen Reichsgebiet«, wir nennen sie ORION, hat seit 1944 uber Agenten, durch Geheimberichte und andere Quellen eine genaue Kenntnis uber die Auslagerungsstatten deutscher und geraubter Kunstschatze erhalten. Mein Kollege Mulligan und ich sind Kunsthistoriker, und wir wissen, genau wie Sie, welche Bedeutung Merkers hat. «Silverman machte eine Sprechpause und gab damit das Wort an Mulligan weiter.

Mulligan hielt sich nicht mit einer langen Vorrede auf.»Was befindet sich im Kalibergwerk?«fragte er schroff.

«Ich wei? es nicht, Herr Offizier.«

«Wann wurden die Lieferungen ausgefuhrt?«

«O Gott, das waren eine ganze Menge. Das begann schon 1944 und ging ab Januar 1945 erst richtig los. Laufend Transporte. Schwere Lastwagen und Eisenbahnwaggons von Weimar und Gotha… von allen Truppenteilen. Wehrmacht, Luftwaffe, SS… man hat gemunkelt, da? nach Reinhardsbrunn das neue Fuhrerhauptquartier kommen sollte.«

«Das wissen wir. «Mulligan winkte energisch ab.»Weiter.«»Der letzte Transport kam im Salzbergwerk am 10. April an. Lastwagen mit Schweizer Kennzeichen, Schweizer Flagge und dem Roten Kreuz. Aber da sa?en keine Schweizer drin, keine Zivilisten… SS war es… sogar hohe Offiziere. So wie SS-Obersturmbannfuhrer und SS- Standartenfuhrer. Ja, das war, soviel ich wei? — ich habe ja nicht alles gewu?t, ich wurde ja auch nie gefragt — der letzte Transport. Sie haben zwanzig Kisten, gro?e Kisten abgeladen. Holzkisten, zum Schutz mit Firnis gestrichen, und auf den Kisten stand >Wasserbaubehor-de Konigsbergs Ja, und alle hatten einen deutlichen roten Punkt. Mehr.wei? ich nicht.«

Mulligan und Silverman sahen sich kurz an.

«Kamen die Kisten von Schlo? Reinhardsbrunn?«

«Moglich. Ich wei? es nicht. Die Wagen kamen zweimal… am 9. und am 10. April.«

«Also vorgestern…«Silverman sprach nun weiter.»Und dann?«

«Dann stie?en Ihre Panzerspitzen vor, und der Spuk hatte ein Ende. Alle verschwanden uber Nacht.«

«Aus den Schachten ist nichts mehr mitgenommen worden?«»Unmoglich. Dazu blieb ja keine Zeit.«

«Es ist also alles noch drin? Sind die Eingange gesprengt?«»Nein. Das hei?t, ich wei? es nicht. Ich bin seit zwei Tagen kaum aus dem Haus gegangen. Da war die SS, wissen Sie, und KZ-Haftlinge mu?ten die Kisten und alles andere schleppen.«

«Und die SS hat die Haftlinge mitgenommen?«Silvermans Gesicht war schmal und kantig geworden.

«Ja. «Der Burgermeister senkte den Kopf.»Wir konnen doch nichts dafur, Herr Offizier.«

Silverman erhob sich abrupt, auch Mulligan sprang auf.»Fahren wir zum Bergwerk, Bob«, sagte Silverman mit belegter Stimme.»Alle sind sie unschuldig, alle. Aber drei Onkel, drei Tanten, zwei Cousinen und ihre Ehemanner sind in Buchenwald und Dachau verscharrt worden. Darunter drei Kinder, Bob! Aber alle Deutschen sind unschuldig… sie haben nur alle geschrien >Fuhrer, wir folgen dir!< so wie man eben schreit als sei's ein Football-Spiel…«

Sie verlie?en das Gemeindeamt, sprangen unten in ihren Jeep und fuhren sehr schnell in Richtung Kalibergwerk ab.

Jetzt, um funf Uhr nachmittags, war die Schachtanlage Kaiseroda II/III zu einer Art Festung geworden. In

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