wenigen Minuten sollten die Manner eintreffen, von denen die ganze Welt sprach: Die US-Generale Bradley, Patton — und Eisenhower. Der kleine thuringische Ort Merkers wurde zur Sensation.

Larry Brooks, aufgewachsen in einem Armenviertel von Brooklyn als Sohn eines Leichenwaschers in einem gro?en Beerdigungsinstitut, wahrend die Mutter von sechs Uhr abends bis zwei Uhr in der Fruhe als Klofrau im gekachelten Keller eines Mittelklasse-Hotels dazuverdiente, um sechs Kinder nicht hungern zu lassen, hatte als Jungster der Brooks-Familie das fur ihn einzig Richtige getan: Er hatte sich zur Army gemeldet. Sie wurde sein Zuhause, die Kameraden waren seine Familie. Er hatte ein Bett zu jeder Jahreszeit, er bekam ein gutes Essen, der Lohn reichte aus fur Zigaretten, Whiskey und einen Puff-Besuch einmal pro Woche, und selbst die gesamte Kleidung stellte die Army, von den Socken bis zum Schlips. Es war ein herrliches Leben, auch wenn man dauernd angebrullt wurde, strammstehen mu?te und sadistische Ausbilder einen durch Sandgruben oder Schlammlocher hetzten. Kein Lohn ohne Arbeit, sagte sich Larry. Aber gegen das, was mein Alter seit Jahrzehnten machte, immer nur Tote schrubben, rasieren, anziehen und schminken, bis sie aussahen wie die ondulierten Leichen in den Hollywood-Filmen — komischerweise gefiel das den Hinterbliebenen, und sie waren von Al Brooks Leistungen begeistert —, war der Militardienst eine saubere, reelle Sache. Als er dann Sergeant wurde und selbst kommandieren konnte, wurde die Army wirklich seine Heimat. Der Krieg gegen die Germans, die man» Krauts «nannte, weil in Amerika Sauerkraut mit Eisbein als Inbegriff alles Deutschen galt, die Invasion in Italien, der Vormarsch auf Monte Cassino, die Versetzung zur 3. Armee des sagenumwobenen Generals Patton, die Eroberung Deutschlands… das alles war ein verdammt harter und blutiger Job gewesen, aber eben nur ein Job fur Larry, weiter nichts. Es galt nicht, die Freiheit der USA zu verteidigen, sondern den gro?enwahnsinnigen» Krauts «in den Arsch zu treten und diesen kleinen Schnurrbart, diesen Hitler zu beseitigen. Fur die ungeheuren Massen von Material, das man aus den USA nach Europa warf, fuhr er einen schweren dreiachsigen Truck und hatte darauf schon alles transportiert, was man verladen konnte: von Granaten bis zu beschlagnahmten Kuhen, von Werkstattkisten bis zu schlichten Holzsargen.

Bei der 3. Armee, Transportbataillon II, lernte er Joe Williams kennen.

Williams war ein vollig anderer Mensch als Larry. Er war in einem guten Elternhaus aufgewachsen, zwei Jahre alter als er, und wenn Joe Bilder zeigte, waren das Fotos von einer gro?en wei?en Villa in einem weiten Park, von einem Cadillac und Reitpferden, einem gemutlichen, dcklichen Vater, einer schlanken Mama von mexikanischem Aussehen und einer Schwester, die Hollywood auf den Kopf hatte stellen konnen, wenn sie sich bei den Filmbossen gemeldet hatte. Aber das hatte sie nicht notig, Geld schien bei den Williams keine Rolle zu spielen.

Joe, einziger Sohn und damit Erbe des Riesenvermogens, das der alte Williams mit Baumwolle und Erdnussen verdient haben wollte, mu?te Whitesands, so hie? der Besitz am Meer, fruhzeitig verlassen. Nicht um zu studieren, wie man schadliche Kafer von Erdnussen fernhalt, sondern um zunachst fur zwei Jahre auf Weltreise zu gehen! Grund: Zehn Meilen von Whitesands entfernt war die Leiche eines jungen schwangeren Madchens angeschwemmt worden, von dem man nur wu?te, da? es ofter mit Joe gesehen worden war.

O nein, ein Verdacht fiel nie auf Joe. Sein Daddy unterstutzte eine Partei, finanzierte den Wahlkampf des Oberstaatsanwalts, der gerne Gouverneur werden wollte, stiftete einen Kindergarten, sponserte eine Football- Mannschaft und lie? eine schone Kirche bauen. Die Unbekannte wurde begraben, die Akten geschlossen, aber auf freundschaftliches Anraten des Oberstaatsanwalts schickte der alte Williams seinen Joe erst einmal nach Europa.

Dort geschah in diesen zwei Jahren Merkwurdiges. In London wurde ein Juwelier uberfallen und zum Kruppel geschossen. In Rom verblutete ein Bankdirektor neben seinem geoffneten Tresor. In Berlin fand man im Grunewald einen Mann mit durchschnittener Kehle. Ein ratselhafter Mord, bis die Spezialisten der Kriminalzentrale am Werderschen Markt entdeckten, da? der Tote mit Kokain gehandelt hatte. In Budapest entdeckte das Zimmermadchen auf der 2. Etage des Hotels Metropol die Sangerin Ilona Varanady nackt auf ihrem Bett.

Einen gro?en Blumenstrau? hielt sie in den gefalteten Handen, zwischen die uppigen Bruste gedruckt, nur war leider auch ihre Kehle durchschnitten. Da? in Whitesands Ansichtskarten von Joe aus London, Berlin, Rom und Budapest eintrafen, war bestimmt nur ein Zufall.

Joe sprach nie daruber, wie er zur Army gekommen war. Er war jedenfalls da, hatte es bis zum Master- Sergeanten gebracht und kommandierte die 1. Gruppe der Truck-Kolonne, zu der auch Larry gehorte. Joe war ein guter Vorgesetzter, hielt nicht viel vom Herumbrullen, war ein guter Kamerad und bei allen beliebt. Nur ab und zu benahm er sich etwas merkwurdig. In den Nachten mit Neumond sa? er mit finsterer Miene herum, gab kaum Antworten, war bla? im Gesicht, und einmal beobachtete Larry in solch einer Nacht zufallig, wie Joe aus dem Stall eines Bauern vier Huhner holte, sie an den Beinen hoch in die Luft hielt und ihnen mit einem ungemein scharfen Messer die Kehle durchschnitt, ja ihnen die Kopfe abhieb.

Larry behielt diese Beobachtung fur sich. Der Krieg hatte sie zu Freunden gemacht, und dabei sollte es bleiben. Nach dem Sieg sah ja alles anders aus: Larry wurde nach New York zuruckkehren, und Joe wurde am eigenen Badestrand am Meer, irgendwo im Suden, schwimmen. Nach ein paar Briefen hin und her wurde dann die Freundschaft einschlafen. Wie das so ist…

An diesem 12. April 1945 standen sie vor ihren Trucks und warteten auf Eisenhower und seine Generale. Wie immer war Joe Williams bestens unterrichtet und hatte zu Larry gesagt:»Da unter der Erde haben sie 'ne tolle Sache entdeckt. Ich habe gehort, da? in den Salzstollen Millionen liegen sollen.«»Tote?«fragte Larry ahnungslos.

«Dollar, du Idiot. «Wenn Joe Idiot sagte, war das wie eine Zartlichkeit.

«Da unten? Wieso das denn?«

«Noch keiner wei? was Genaueres. Jedenfalls kriechen da unten Kunstexperten rum und sollen sich wie Kokssuchtige benehmen. Glaubst du, Eisenhower kommt sonst in dieses Nest, wenn da unten nicht eine Sensation liegt? Mensch, Larry, denk doch an die Bergwerke, die wir schon hinter uns haben! Gemalde, Teppiche, Silber, Bucher, Porzellan, Gobelins, Ikonen, Statuen, Patentakten… Kunstschatze aus allen Jahrhunderten und Landern, aus China, Agypten, Ru?land, Mesopotamien, Persien… ganze Museen! Aber das hier mu? das Tollste sein. Wenn Eisenhower sich sogar personlich auf die Socken macht — «

«Na und?«Larry Brooks hob die Schultern.»Man wird alles raufholen und zu dem anderen tun.«

«Und in die Staaten bringen, Larry!«

«Klar. Wir haben ja den Krieg gewonnen… kann nicht mehr lange dauern.«

«Wir haben ihn gewonnen. Das hast du richtig gesehen. Wir! Also auch du und ich.«

«Wenn man's so sieht… stimmt.«

«Nun denk einmal nach, Larry-Boy!«Williams hatte sich neben Brooks an den Truck-Kuhler gelehnt.»Von all den Millionen — sagen wir ruhig Milliarden Dollar, die man jetzt uberall wegschleppt —, was sehen wir davon? Nichts! Keinen Dreck unterm Daumen. Das geht alles in die gro?e Tasche von Washington. Siegerbeute! Aber wir, Larry, wir sind ja auch die Sieger. Was bleibt in unseren Taschen hangen? Ein paar zerquetschte Chesterfields! Soll das alles sein, was wir Mami mitbringen? Dafur haben wir Kopf und Arsch hingehalten… fur nichts?«

«Ich komm da nicht mit, Joe. «Brooks hatte den Kopf geschuttelt.»Was soll das alles? Wulste in eurem Schlo? am Meer ein Privatmuseum aufmachen? Und dafur Bilder oder sonstwas klauen?«

«Sicherstellen, Larry. Sicherstellen. Fur alle Zeiten…«

«Joe, du hast'n Knall. «Brooks hatte den Kopf zum wiederholten Male geschuttelt.»Wie willst du die Dinge ruber in die Staaten bringen?!«

«Das ist alles nur eine Frage der Organisation. Wenn Schiffsladungen von Kunstgutern uber den Teich schwimmen, ist auch 'ne Ecke fur uns dabei. Eine kleine Ecke im gro?en Schiff… Larry, in ein paar Jahren sitzt du in Florida unterm

Sonnenschirm, die su?e Dolly neben dir, eine Suite hast du im besten Hotel und bezahlst das alles aus der linken Hosentasche.«

«Das kannst du dir doch schon alles leisten, Joe.«

«Aber du nicht, Larry-Boy! Ein paar Bildchen nur, und du hast ein neues Leben, bist ein anderer Mensch… und hast dir nichts anderes genommen, als was dir als Sieger uber die >Krauts< zusteht. Uberleg mal.«

«Und wie soll das gehen, Joe?«

«Warten wir ab, was sie da unten entdeckt haben. Und dann spielen wir Huhnchen und picken uns ein paar goldene Kornchen heraus.«

«Und dann?«

«Warten wir weiter ab. «Joe Williams lachte und klopfte Larry auf die Schulter.»Selbst Gott brauchte fur die

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