hockte Noah mit nachdenklichem Gesicht hinter seinem Lenkrad und kaute auf seinem Gummi.

«Alles okay?«fragte Joe. Noah schuttelte den Kopf.

«No…«

«Wo fehlt's denn?«

«Joe, das ist doch ein krummes Ding, was wir hier machen.«»Unser Bibeljunge wacht auf!«Williams lachte. Er wartete, bis Noah aus dem Truck gesprungen war. Er war ein gro?er, athletischer Neger mit riesigen Armmuskeln, der einen Weltmeister im Boxen abgegeben hatte, wenn er nicht Angst vor Schlagen an den Kopf gehabt hatte. Als Kind hatten ihm wei?e Jungen einen Stein an den Kopf geworfen, vier Wochen lag er im Hospital. Seitdem lie? er nichts mehr an seinen Kopf heran, auch wenn ihm Trainer und Manager vorrechneten, da? er Millionen Dollar verdienen konnte mit seinen Muskeln und seiner Bullenstarke.

«Ich wei? nicht, was ihr vorhabt«, sagte Noah bedachtig.»Ihr habt mich da hineingezogen, ich bin an allem mitschuldig… also steht mir auch ein Drittel von allem zu. Egal, was.«»Unser Blackyboy kann rechnen. «Williams lachte wieder, aber es klang jetzt etwas rauher, mit einem gefahrlichen Untertan.»Pa? mal auf, Kleiner. Das hier ist ein Sonderkommando. Das >Special of Joe Williams<. Verstehst du?«

«No.«

«Ist auch nicht notig. Fur uns, Blacky, ist der Krieg zu Ende, wir sind vermi?t, gehen eine Zeitlang in Deckung und tauchen irgendwann mal irgendwo wieder auf, wenn uns alle vergessen haben.«

«Ich will nach dem Krieg nach Hause!«sagte Noah laut.»Joe, ich will nicht tot sein, wenn auch nur so.«

«Okay, daruber reden wir noch. «Williams stie? Brooks verstohlen an. Der verstand den Rippensto? nicht und hob nur die Augenbrauen.»Du bist noch vor uns bei deiner Mami…«»Meine Mom ist tot.«

«Na ja. War nur so 'ne Redensart.«

«Und was wird aus den Trucks?«

«Da fallt mir noch was ein. «Joe grinste breit.»Mir fallt zur Zeit uberhaupt viel ein. Los, fahren wir weiter.«

Noah hielt seine breite Hand hin und sah Williams fordernd an.»Ein Drittel, Joe. Garantiert.«

«Du erhaltst, was dir zusteht, Blacky. «Williams schlug in die Pranke ein.»Verla? dich drauf.«

Sie fuhren die ganze Nacht durch, sehr vorsichtig und nur auf kleinen Nebenstra?en, die eine feste Decke hatten und deshalb keine Spuren aufnahmen. Es regnete sogar eine Stunde, als helfe ihnen auch noch die Natur, spurlos zu verschwinden. Beim Morgengrauen kamen sie in das Gebiet des Naturschutzgebietes Vogelsberg, bogen in einen befestigten Waldweg ab und hielten am Fu? des 772 Meter hohen Berges Taufstein an. Dichter Wald umgab sie.

Den ganzen nachsten Tag kletterten sie auf dem Taufstein herum und suchten.»Wo ein Berg ist, gibt's auch Hohlen!«hatte Joe gesagt.»Wir werden doch wohl noch zwanzig Kisten unterbringen konnen…«

Den ganzen Tag lang kreisten uber ihnen Hubschrauber und ein Aufklarungsflugzeug, sonst storte sie niemand.»Sie suchen uns«, sagte Larry einmal. Sie lagen im Wald unter den Baumen, flach auf den Boden gedruckt, bis der Hubschrauber weiterknatterte.

«Sie werden uns noch monate-, noch jahrelang suchen, Larry. «Williams setzte sich und holte eine Zigarette aus der Tasche. Er trug seinen Stahlhelm, wohl berechnend, da? sich jeder» Kraut«, wenn er in die Nahe kam, beim Anblick des amerikanischen Stahlhelms schnell aus dem Staub machte. Noch war ja Krieg, noch waren die US-Truppen Feinde, noch durften sie auf alles schie?en, was verdachtig war. Die Ruhe im eroberten Land war so lange trugerisch, wie es noch keine Kapitulation der deutschen Wehrmacht gab. Die Heeresgruppe B unter Generalfeldmarschall Model hatte sich zwischen Rhein, Ruhr und Lippe eingeigelt und den» Ruhrkessel «geschaffen. Am 14. April uberrannten die 9. US-Armee und die 1. US-Armee die deutschen Truppen und Model erscho? sich selbst. Zur gleichen Zeit stie?en die Russen nach Berlin vor, im Norden Deutschlands sammelten sich die letzten deutschen Divisionen, abgeschnitten von allem, von Munition, Nachschub und Verpflegung. Aber der gro?e, ersehnte Befehl: Das Ganze halt. Helm ab. Gott, wir danken dir… war noch nicht gekommen. Joe Williams hatte schon recht. Ein amerikanischer Stahlhelm verscheuchte jetzt noch die» Krauts«.

Es war ausgerechnet Noah, der eine Hohle fand. Dichtes Gebusch verdeckte den Eingang, der gerade hoch genug war, da? man die Kisten durchschieben konnte. Ein schmaler Gang kam zuerst, dann die Hohle selbst, uneben, zerkluftet, feucht, glitschig, aber gro? genug, um die zwanzig Kisten aufzunehmen.

«Bernstein rostet nicht«, sagte Joe, nachdem er die Hohle besichtigt hatte.»Und die Kisten haben eine Schutzschicht gegen Feuchtigkeit. Jungs, hier konnen sie eine Zeitlang stehen, bis die Welt anders aussieht. Los, spuckt in die Hande. «Nur muhsam kamen sie mit den Trucks bis in die Nahe der Hohle heran, und dann begann eine Knochenarbeit mit Schleppen, Heben und Drucken, Meter um Meter, bis sie alle zwanzig Kisten in die Hohle gezwangt hatten. Sogar drei junge

Baume hatten sie gefallt, um die Stamme als Rollen zu benutzen, und es zeigte sich, da? Noahs Bullenkrafte unbezahlbar waren. Er spannte sich wie ein Stier in die Seile und zog die Kisten den schragen Weg zur Hohle hinauf. Larry und Joe druckten von hinten, keuchend, achzend und mit Flimmern vor den Augen. Am Nachmittag hatten sie es geschafft.

«Und nun?«fragte Noah. Mit blo?em Oberkorper, schwei?bedeckt, sa? er auf dem Trittbrett seines Trucks und loffelte aus einer Dose kaltes Huhn.»Die Kisten hatten wir weg. Was wird aus uns?«

«Daruber denke ich nach. «Joe Williams nahm einen Schluck Whiskey aus der Flasche.»Zuerst sprengen wir den Eingang zur Hohle zu.«

«Womit?«fragte Larry.

«Larry-Boy, Joe denkt an alles. Ich habe eine Stange Sprengstoff mitgenommen. Die reicht. Brauchen ja nur den Eingang zu verschutten. Und dann? Alles schon der Reihe nach.«

Joe kannte sich aus, es gab keine laute, weithin horbare Explosion, als die Ladung hochging und der Hohleneingang verschuttet wurde. Zufrieden besichtigten er und Larry das Ergebnis und druckten sich die Hande.

«Das ist perfekt!«sagte Larry.»Da findet niemand mehr die kleinste Spur.«

«Und nun zum nachsten. «Joe Williams wirkte ausgesprochen heiter.»Jetzt machen wir eine kleine Spazierfahrt mit zwei Trucks.«

Noah fragte nicht lange, als er horte, da? Williams sich die Gegend ansehen wollte, wo man die Trucks verstecken konnte. Wieder uber einsame Wege fuhren sie zuruck in Richtung Alsfeld, bis Williams an einem Waldrand zwischen den Flussen Antrift und Schwalm plotzlich anhielt.»Hier — «sagte er zu Larry, der neben ihm sa?. Hinter ihnen bremste Noah.»Das ist eine gute Stelle.«

«Wozu?«fragte Larry verwundert.

«Zum ersten Schritt in die Zukunft, Baby. «Joes Stimme hatte sich auf einmal verandert. Sie klang kalt und metallhart.»Wir steigen aus, du nimmst deine Pistole und schie?t Noah ein schones Loch in die Stirn.«

«Nein, Joe!«Larry zuckte zusammen und duckte sich wie eine Katze zum Sprung.»Das kannst du nicht verlangen! Das mache ich nicht. Du bist total verruckt, Joel«

«Verruckt bist du, Larry. «Williams sah Brooks mit einem kalten Blick an.»Du bist auf der Leiter, Millionar zu werden. Nur noch ein paar Stufen, und du bist ganz oben! Der Junge aus den Slums.«

«Nicht fur einen Mord!«schrie Larry.»Warum tust du es nicht?!«

«Ich will mir sicher sein. «Joes Kalte lie? Brooks frieren.»Ich mu? wissen, da? du mich nicht verratst, mir nicht in den Rucken fallst, mich nicht betrugst.«

«Ich bin doch dein Freund, Joe — «

«Freundschaften konnen bei Millionen Dollar sterben. Wenn du Noah in seinen Himmel schickst, wei? ich, da? du immer zu mir haltst.«

«Das schwore ich dir, Joe.«

«Dann nimm die Pistole und geh zu Noah…«

«Joe — «

«Ja oder nein? Auch Schwure kann man vergessen, aber ein Killer vergi?t nie! Wir sind jetzt Au?enseiter, Larry, Vogelfreie… da gelten andere Gesetze. Wir beide bauen uns ein neues Leben auf. La? nicht einen Balken auf dich runtersturzen.«

Brooks verstand. Er warf noch einen verzweifelten Blick auf Williams, stieg aus dem Truck und ging nach hinten. Noah war ebenfalls ausgestiegen und sah ihm entgegen. Er hatte seine Jacke nur uber die Schulter geworfen, der breite Brustkorb war blo?, er schwitzte noch immer. Je naher Larry zu ihm kam, um so langsamer ging er. Seine rechte Hand lag auf dem Koppel, nicht weit von seinem Pistolenhalfter entfernt.

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