«Wir haben die Spur der zwanzig Kisten von Konigsberg uber Berlin, Weimar, Friedrichroda und Schlo? Reinhardsbrunn verfolgt. Von dort hat man auf Lastwagen mit dem Roten Kreuz und mit Schweizer Autonummern das Bernsteinzimmer weitertransportiert.«

«Das stimmt. «Silverman tappte blind in die Falle.»Und als wir die Kaligrube von Merkers durchsuchten, stand ich vor den Kisten.«

Es war das erste Mal, da? Wachter und Jana den Namen

Merkers horten. Keiner hatte ihnen je etwas davon gesagt, nur Andeutungen hatte es gegeben. In Saalfeld war einmal ein amerikanischer Offizier mit der Bemerkung herausgeruckt:»Hier in Thuringen haben Millionenschatze ubereinander gelegen. «Wo, das hatte auch er verschwiegen.

Merkers. Wo liegt Merkers? Eine Kaligrube…

Weder Wachter noch Jana lie?en sich anmerken, welch ein Aufruhr in ihnen ausgebrochen war. Als wu?ten sie das alles, sahen sie Silverman nickend an. Der Captain starrte zur Seite hinaus aus dem Fenster. Eine warme Fruhlingssonne lag uber dem Park von Schlo? Kiessheim, uber den Wegen, Buschen, Beeten und Steinfiguren. Ein richtiger Friedenstag mit einem weiten blauen Himmel.

«Dann wissen Sie, wo das Bernsteinzimmer ist?«fragte Wachter.

«Naturlich.«

Durch Wachter zuckte ein hei?er Stich.»Wo?«

«Es hat sich aufgelost in Luft. «Silvermans Stimme bebte in der Erinnerung vor Erregung.»Es ist ganz einfach verschwunden.«

«Das gibt es nicht«, sagte Jana laut.»Zwanzig gro?e Kisten… ein paar Lastwagen voll!«

«Genau drei Armee-Trucks. Wir haben auf Befehl Eisenhowers alle in der Schachtanlage Kaiseroda II/III gefundenen Kunstschatze und Geldsacke mit zwei Transporten nach Frankfurt gebracht. Am 14. und am 17. April. Konvois unter gro?ter Bewachung. Trotzdem verschwanden von dem ersten Transport am 16. April die drei Trucks mit dem Bernsteinzimmer. Die Trucks fand man spater wieder und einen der Fahrer, Noah Rawlings. Erschossen. In seine Brust war ein Hakenkreuz eingeritzt. Daraus folgerten wir: Der deutsche >Werwolf< hat die Trucks entfuhrt. Nur, wie er das so lautlos fertiggebracht hat, ist uns ein Ratsel geblieben.«

«Und die anderen Fahrer?«fragte Wachter.

«Sind nie wieder aufgetaucht und werden vielleicht einmal durch Zufall als Gerippe im Wald entdeckt. «Silverman wandte sich ihnen wieder zu.»Sie suchen im Auftrag der sowjetischen

Regierung das Bernsteinzimmer. Ich habe mir selbst den Auftrag gegeben. Wir sollten uns zusammentun…«Er atmete tief durch.»Mein Gesuch auf Entlassung aus dem OSS liegt bereits in Washington auf dem Tisch. Dort halt man mich anscheinend fur verruckt…«

«Wir sind auch Verruckte, Captain«, sagte Wachter sarkastisch.»Nur so werden wir durchhalten. Eine bittere Frage: Ist es moglich, da? man das Bernsteinzimmer bewu?t hat verschwinden lassen, um es dann heimlich in die USA zu bringen?«

«Wie denn? Und wer denn? Herr Wachter, Sie bezichtigen US-Offiziere des Kunstraubes?!«

«Es war nur so eine verruckte Idee, Captain«, sagte Wachter schnell.»Ich habe in diesen Tagen gehort, da? in einem Bergwerk bei Grasleben, wo uber 6000 Kisten Kunstschatze versteckt gewesen waren, die Halfte davon aufgebrochen war, bevor Grasleben von den Englandern ubernommen wurde. Es waren Amerikaner… das CIO und Angehorige der 50. US-Armee.«

«Davon wei? ich nichts. «Silverman richtete sich steif hoch.»So vieles ist noch Hetze!«

«Und in Merkers war das nicht moglich?«

«Nein. Da war ich und pa?te auf. Auf gar keinen Fall konnten zwanzig Kisten dieser Gro?enordnung heimlich verschwinden.«

«Wir sollten noch einmal in Merkers mit der Spurensuche beginnen, Captain.«

«Dann mussen Sie sich beeilen. «Silverman lehnte sich in seinem Stuhl weit zuruck. Er schurzte die Lippen und druckte damit aus, fur wie absurd er das alles hielt.»Aufgrund der alliierten Beschlusse und der Einteilung Deutschlands in Besatzungszonen hat General Eisenhower befohlen, Sachsen und Thuringen zu raumen und den Sowjets zu ubergeben.«»Was?!«Wachter zuckte zusammen, aber es war nicht aus Entsetzen, sondern aus Freude.»Unsere Soldaten kommen nach Thuringen?«

«Ich denke, Sie sind Deutscher?«fragte Silverman befremdet.

«Dann ist Merkers russisch?«rief Jana Petrowna.

«Nein… russisch besetzt. Das ist ein Unterschied. Wir bleiben in Bayern, aber deswegen ist Bayern nicht amerikanisch, sondern bleibt Deutschland. Wie das alles in den nachsten Jahren aussieht — wer wei? das?«

«Wenn Merkers russisch besetzt wird, konnen wir dort ungestort arbeiten. «Wachter schlo? kurz die Augen. Das Deutschland, das er bisher nur von der Landkarte kannte, gab es nicht mehr. Es war zerschlagen und zerteilt worden. Durch die Stra?en Berlins, der Heimat seiner Vorvater, marschierten sowjetische Truppen.»Daruber freue ich mich: Die sowjetischen Behorden werden uns bei unserer Suche nach dem Bernsteinzimmer uberall unterstutzen.«

«Die amerikanischen auch«, sagte Silverman fast beleidigt.»Aber weder Ihre Behorden noch meine sind Magier, die das Bernsteinzimmer herbeizaubern konnen, «Silverman lie? seinen Stuhl wieder nach vorn kippen.»Uberhaupt, was wollen Sie in Merkers suchen? Da ist nichts mehr… die Grube ist leergeraumt. Die drei Trucks sind in Alsfeld verschwunden. In Hessen.«

«In Alsfeld…«sagte Wachter gedehnt. Das war eine vollig neue Spur, von Hessen war nie gesprochen worden. Alle bisher theoretisch moglichen Wege einer Verlagerung der zwanzig Kisten aus Reinhardsbrunn wiesen in Richtung Gottingen, Westsachsen oder Mecklenburg (wenn das Bernsteinzimmer wieder in die Nahe Berlins gebracht worden war) und in die allgemeine Richtung Suden, vor allem zur» Alpenfestung «und nach Osterreich. Aber Hessen lag vollig au?erhalb aller Mutma?ungen.»Man hat also doch eine Spur — «

«Wenn Sie es so nennen wollen, jawohl. Seit Wochen wird dort gesucht.«

«Ware es moglich, da? die Kisten von Alsfeld weiter nach Suden oder nach Nordwesten gebracht worden sind?«

«Moglich ist alles. «Silverman machte eine weite Handbewegung.»Die Welt ist gro?… aber ich konnte schworen, das Bernsteinzimmer ist noch in Deutschland.«

«Dann finden wir es auch!«sagte Wachter voller Zuversicht.

«Captain Silverman, wollen wir gemeinsam suchen?«

«Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund. «Silverman erhob sich von seinem Stuhl.»Fur mich ist die Suche aber erst dann moglich, wenn ich meine Entlassung aus dem OSS erhalten habe und auch die Army auf mich verzichtet. Ich mu? auf Washington warten. «Er zeigte aus dem Fenster in den Park von Schlo? Kiessheim.»Wollen Sie hier mit mir warten? Im Schlo? ist Platz genug. Ist es nicht wundervoll? Der Blick uber Salzburg, hinuber zur Veste, das Panorama der Berge, die Seen des Salzkammergutes vor der Tur. Hier konnte ich leben. Sie wissen, da? ich ein deutscher Jude bin?«

«Ich habe es angenommen, Captain.«

«Zwolf Jahre lang habe ich Heimweh gehabt nach diesem Deutschland. Nach diesem schrecklichen Deutschland! Vierzehn Verwandte sind in Buchenwald, Flossenburg und Mauthausen umgekommen, erschlagen, zu Tode gequalt, in der Gaskammer, als Opfer von medizinischen Versuchen. Und trotzdem hatte ich Heimweh, verstehen Sie das?«

«Ja. Janaschka und ich… wir haben auch Heimweh nach Puschkin… aber nur mit dem Bernsteinzimmer.«

«Vielleicht bleibe ich wirklich hier in Osterreich. Vielleicht kann man mich als Kunsthistoriker gerade hier in Salzburg gebrauchen. Hier atmet Kunst aus jedem Stein. «Silverman schuttelte den Kopf und lachelte schwach.»Plane… der gro?te Krieg aller Zeiten ist zu Ende, und wir machen schon. Plane. Wie sieht die Zukunft aus, Herr Wachter?«

«Ich kenne nur ein Ziel: das Bernsteinzimmer.«

«Und wenn Sie dadurch zum ewigen Wanderer werden?«»Dann mu? es so sein, Captain«, sagte Wachter in fast feierlichem Ton.»Dann ist es Gottes Wille.«

Die Entlassung Captain Silvermans zog sich hin. So einfach kann man nicht vom Geheimdienst abspringen, vor allem nicht, wenn man so viel wu?te wie Fred Silverman und seine von ihm geleitete Einsatzgruppe ORION fur Kunst und Kulturguter im deutschen Reichsgebiet. Au?erdem leitete er eine Abteilung der T- Forces, eine Spezialeinheit, die nach Auswertung der Geheimberichte nicht nur verborgene Schatze,

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