neuen Fuhrerhauptquartiers» Wolfsturm «gebracht werden sollten oder nach Saalfeld. Dort hatte Gauleiter Koch nach seiner Flucht aus Konigsberg uber Pillau sein neues eigenes Hauptquartier aufschlagen wollen… einerseits, um in der Nahe seines Fuhrers zu sein und damit in Bormanns Nahe, andererseits, um» sein «Bernsteinzimmer nicht aus den Augen zu verlieren. Hitlers und Kochs Plane wurden durch den schnellen Vormarsch der Amerikaner und der Russen vereitelt — die unterirdischen Anlagen wurden nie bezogen. Aber die zwanzig Kisten, so erzahlte die Kochin, waren noch da gewesen, im Bogengang. Dann kamen zwei gro?e Lastwagen mit dem Roten Kreuz und der Rote-Kreuz-Fahne, luden die Kisten auf und fuhren davon. Wohin, das wu?te sie nicht, das wu?te niemand. Auffallig war nur, da? die Rote-Kreuz-Wagen von SS-Offizieren gefahren wurden. Hohen Offizieren, sagte die Kochin. Sie habe gehort, wie ein Soldat, stramm stehend, gerufen hatte:»Jawoll, Herr Standartenfuhrer. «Wachter und Jana waren sofort nach Saalfeld gefahren, aber in Saalfeld waren die Kisten nie angekommen. Die Spur verrann wie ein Wassertropfen in der Wuste.

«Es ist in der Nahe«, hatte Wachter zu dem Ortskommandanten von Friedrichroda, zu dem Schlo? Reinhardsbrunn gehorte, gesagt.»Ich wittere es wie ein Wolf! Es ist hier… im weiten Umkreis… aber es ist da! Irgendwo haben sie es versteckt.«

Der Kommandant, ein Oberstleutnant der 3. US-Armee, sah an Wachter und Jana vorbei an die Wand, an der ein Bild des seit kurzem zum US-Prasidenten gewahlten Harry S. Truman hing. Jana, die ihn aufmerksam beobachtete und in seinem Gesicht zu lesen schien, sagte plotzlich:

«Sie wissen mehr, als Sie uns sagen. Was wissen Sie mehr?«Sie sprachen deutsch miteinander, und trotz der zwolf Jahre, die zwischen der Auswanderung und der Ruckkehr des Oberstleutnants lagen, horte man noch den schwabischen Zungenschlag heraus.»Ich habe Ihnen nichts zu sagen…«

«Das mag sein… aber Sie wissen mehr. «Wachter griff in seine Rocktasche. Der viel zu weite Anzug schlotterte um seinen Korper. Ein Papier holte er heraus, das in vier Sprachen abgefa?t war… in deutsch, englisch, franzosisch und russisch. Es bat alle Besatzungsmachte, dem Michail Wachterowskij bei der Suche nach dem Bernsteinzimmer mit allen Mitteln behilflich zu sein. Dann folgte eine Beschreibung, was das Bernsteinzimmer uberhaupt war und da? es die Nazis aus Puschkin gestohlen hatten. Der US-Oberstleutnant winkte ab und nahm das Schreiben gar nicht in die Hand.

«Ich kenne es ja«, sagte er.»Sie haben mir's schon zweimal gezeigt. «Er zogerte und fugte dann hinzu:»Wenden Sie sich an das OSS beim Stab der 3. Armee. Verlangen Sie Captain Fred Silverman. Aber verraten Sie blo? nicht, von wem Sie den Tip bekommen haben! Ehrenwort.«

«Sie haben es. «Wachter druckte ihm die Hand.»Und was wei? dieser Silverman?«

«Das mussen Sie ihn selbst fragen. Viel Gluck.«

«Auch das mu? ich suchen. «Wachters Antwort klang wie ein Hilferuf. Er legte den linken, noch immer schmerzenden Arm um Janas Schulter und ging hinaus.

Am nachsten Morgen verlie?en sie Friedrichroda mit einem zur Verfugung gestellten Beutewagen, in einem alten Adler, in dessen Turen noch Maschinengewehrkugeln steckten.

Es war ein weiter Weg, bis sie Captain Silverman fanden.

Da ihnen, trotz des uberall vorgezeigten Schreibens, keiner der US-Kommandeure sagen wollte, wo sich gegenwartig das Hauptquartier der 3. US-Armee und General Patton befand, schickte man sie nach Nurnberg zu einer Dienststelle des Geheimdienstes. In der fast vollig zerstorten Stadt bekamen sie ein Barackenzimmer bei einer amerikanischen Pioniereinheit, wurden von der Kompaniekuche verpflegt und warteten. Viermal wehrte Jana Petrowna in diesen Tagen zudringliche Soldaten ab. Ein schwarzer GI versuchte sogar, erst durchs Fenster zu klettern und nachher die Tur aufzubrechen, aber das bekam ihm nicht gut, denn Jana hatte seit Wochen immer ein Stuck Eisenrohr bei sich, wie man es fur eine Wasserleitung verwendet. Sie hatte es durchbohren lassen, hatte einen Strick durch das Loch gezogen und trug das Eisenrohr jetzt am Gurtel ihres Kleides.

Es war schon oft nutzlich gewesen, so wie auch jetzt, wo der liebestolle GI nach Aufbrechen der Tur schon beim ersten Schritt uber die Schwelle einen so kraftigen Hieb uber den Kopf bekam, da? er lautlos zu Boden ging und besinnungslos blieb, bis ihn zwei MPs abholten.

«Ich mochte den Kompaniechef sprechen!«rief Wachter e-regt.»Das ist das vierte Mal, da? wir belastigt werden. Ist das etwa das sogenannte freie amerikanische Leben?«

Die MPs verstanden kein Deutsch. Sie starrten Jana nur an und grinsten anzuglich.

«Sei still, Vaterchen«, sagte sie da auf russisch.»Was bringt's? Es ist eine bose Zeit, konnen wir sie andern? Sieh doch, ich kann mich wehren.«

Zwei Wochen warteten sie in Nurnberg. Zwei verlorene Wochen, wie Wachter meinte. Durch die zerstorten Stra?en gingen sie, sahen Frauen und Kinder in den Ruinen wuhlen und Ziegelsteine abklopfen, ob man sie noch verwenden konnte. Keller wurden ausgegraben, zerborstene Wande geflickt und die mit Trummern verstopften Stra?en freigeschaufelt. An den

Lebensmittelausgabestellen stauten sich die Menschenschlangen ebenso wie an den Hydranten, wo man eimerweise das Wasser holen konnte. De deutschen Verwaltungsdienststellen hatten unter amerikanischer Aufsicht wieder mit der Arbeit begonnen und versuchten, Ordnung in das Chaos zu bringen. Der Krieg war ja nun seit dem 9. Mai zu Ende, es gab nicht mehr Freund und Feind, sondern nur noch Sieger und Besiegte. Und uberall, am Bahnhof, auf den Platzen, am Fu?e der Burg, an der alten Stadtmauer und den turmen begann, zunachst zaghaft, der Schwarzmarkt. Endlich, in der dritten Woche, kam ein Offizier zu Wachter und Jana und lehnte sich in den Turrahmen. In einem gebrochenen Deutsch sagte er:»Telefon… hin und her… Jetzt alles okay! Captain Silverman ist in Austria. In Salzburg. Okay?«

Er gru?te und verlie? das Zimmer.

«In Salzburg«, sagte Wachter und setzte sich an den Tisch.»Jana, wir mussen nach Salzburg. Silverman ist vielleicht der einzige, der uns weiterhelfen kann.«

«Aber dort ist nicht das Bernsteinzimmer, Vaterchen.«

«Wissen wir's? Die Amerikaner haben ein riesiges unterirdisches Lager mit Kunstschatzen in Alt-Aussee entdeckt. Hitlers personlicher Schatz soll es sein, haben sie uns erzahlt. Das ganze Lager ist noch gar nicht erfa?t… vielleicht sind die zwanzig Kisten aus Konigsberg darunter. Jana, an jeden Hoffnungsstrahl mussen wir uns klammern.«

Sie fuhren mit dem klapprigen, zerschossenen Adler-Wagen nach Salzburg und erfuhren im Hauptquartier des 15. US-Armeekorps, da? Captain Silverman mit seinem OSS-Buro auf Schlo? Kiessheim einquartiert war. Am nachsten Morgen dann, endlich, endlich, standen sie vor Silverman, lie?en ihn ihre Legitimation lesen und warteten auf seine Reaktion. Silverman legte das Schreiben in den vier Sprachen und mit den vielen Stempeln vor sich auf den Schreibtisch und blickte zu Wachter und Jana Petrowna auf. Jetzt sind die Russen auch da, dachte er. Naturlich, ihnen gehort ja das Bernsteinzimmer, wenn man historisch denkt. Historisch dachten auch die Deutschen und sagten: Es gehort uns. Es ist heimgekehrt.

Und wenn wir als Sieger denken, kann es hei?en: Es gehort den USA, denn wir haben es erobert. Es ist Kriegsbeute. Das ist rechtlich nicht haltbar, aber was gilt Recht im Krieg? Wem das Bernsteinzimmer letztendlich auch gehort… es ist weg. Es gibt keine Probleme mehr… bis man es wiederfindet.

«Sie sprechen deutsch?«fragte er.

«Ja«, antwortete Wachter.»Ich bin Deutscher.«

«In Ihrer Vollmacht steht: Wachterowskij. Russe.«

«Ich war und bin in russischen Diensten. Seit fast 230 Jahren.«

«Dafur haben Sie sich gut gehalten. So alt sehen Sie wirklich nicht aus.«

Der alte, dumme Witz. Wachter lachelte schwach.

«Ich hoffe, da? meine Nachkommen auch weitere 230 Jahre das Bernsteinzimmer betreuen konnen.«

«Wenn es da ist.«

«Deswegen sind wir zu Ihnen gekommen, Captain Silverman.«

Silverman hob beide Arme hoch, als richte Wachter eine Waffe auf ihn.

«Bitte, uberzeugen Sie sich — «sagte er mit Bitterkeit in der Stimme, — »ich habe es nicht in der Tasche.«

«Aber Sie haben es gesehen, Captain.«

«Wer hat Ihnen das gesagt?«

«Wir haben Informationen gesammelt — waren wir sonst bei Ihnen?«

Silverman fiel auf den Bluff herein. Er lie? die Arme sinken und blickte Jana erstaunt an, die jetzt sagte:

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