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Am Donnerstag vor Ostern 1946 heirateten Nikolaj und Jana

Petrowna in der Schlo?kapelle des Katharinen-Palastes nach griechisch-orthodoxem Ritus. Ganz altmodisch, obwohl Jana eine junge, gute Kommunistin war, aber die Liebe zu Kolka war starker als ihre Ideologie. Sie standen vor einem Popen im Festgewand, vor einer Ikonostase, ein Mannerchor von sechs Stimmen sang, und Wachter hielt uber Janas geschmucktes Haupt die kleine Krone, so wie es ublich war, und wahrend der Pope die Hochzeitssegnung vornahm, dachte er: Gewunscht hab ich es mir, diesen Tag im Bernsteinzimmer zu erleben. Auch Johann Friedrich Wachter, der Verwalter des Zimmers unter Zar Alexander II., hat dort seine Sophie geheiratet. Mein Gro?vater und meine Gro?mutter. Gott segne euch, meine Kinder… ein schoner Tag ist's und doch ein trauriger. Vier leere Wande verwalten wir, und keiner hort unsere Rufe. Er senkte den Kopf, als der Pope den Segen sprach.

Der Bericht, den Captain Fred Silverman seinem Hauptquartier des DSS zusammen mit der Bitte um Entlassung aus dem Dienst vorlegte, wurde aufmerksam gelesen… das A> schiedsgesuch weggelegt und in der Personalakte abgeheftet. General Allan Walker rief ihn nach sieben Wochen Warten in sein Buro, begru?te ihn mit Handschlag, deutete auf einen Ledersessel, lie? sich selbst in einen hineinfallen und schlug die Beine ubereinander.

«Sie wollen abhauen, Fred?«fragte er geradeheraus.

«Das ist nicht der richtige Ausdruck, Sir. «Silverman straffte sich in seinem Sessel.»Ich glaube, ich habe meine Aufgaben erfullt und mochte ins Zivilleben zuruck.«

«Das konnen Sie auch im Rahmen unserer Dienststelle, zum Beispiel als Botschaftsrat in einer unserer Botschaften. Nach Osten hin wird sich einiges tun. Noch spielen wir alle Ringelreihen und tun so, als seien die Beschlusse von Jalta bindend, aber jeder wei?, da? es vollig anders kommen wird. Ich konnte Sie fur die Botschaft in Ungarn vorschlagen, Fred/Spater dann geht's an die Speerspitze: US-Botschaft Moskau! Reizt Sie das nicht?«

«Nein, Sir.«»Die Madchen von Budapest… jeder andere wurde schon morgen hinfliegen.«

«Ich bin nicht jeder andere, Sir, ich bin ich. Ich bitte um nichts Unerfullbares: um meine Entlassung.«

«Sie sind Offizier, Fred. Captain… Ihre Beforderung zum Major liegt auf meinem Tisch.«

«Danke, Sir.«

«Die USA befinden sich in einer prekaren Situation. Wir haben mit Ru?land den Krieg gewonnen, aber wir mogen die Russen nicht. Gar nicht! Es wird zu gro?en Umwalzungen kommen, zu gro?ten Veranderungen der Weltpolitik. Das HitlerDeutschland ist wegradiert… Weltpolitik gibt es ab jetzt nur zwischen Washington und Moskau! Sie sind ein guter Mann, Fred, wir brauchen Sie noch. Ein US-Offizier verla?t nicht sein Kommando, wenn ihn das Vaterland noch braucht.«

General Walker sah Silverman aus grauen, forschenden Augen an.»Amerika ist doch Ihr Vaterland geworden, nicht wahr?«

Silvermans Rucken wurde noch steifer.»Ich verstehe die Frage nicht, Sir.«

«Sie sind doch ein deutscher Jude, Fred.«

«Seit 1934 bin ich US-Burger, Sir.«

«Im Pa?! Aber wie ist's mit dem Herzen?«

«Ich habe gegen Deutschland gekampft.«

«Gegen Nazi-Deutschland… das gibt es nun nicht mehr.«

«Fast meine gesamte Familie ist in den KZs ausgerottet worden.«

«Das ist schreckliche, unverge?liche, unsuhnbare Vergangenheit, Fred… wie aber sehen Sie die Zjkunft?«Walker beugte sich etwas zu Silverman vor.

«Sprechen wir miteinander wie zwei gute Freunde: Was haben Sie vor, wenn Sie das OSS verlassen haben und ein freier Zivilist sind?«

«Ich werde nach Deutschland zuruckkehren.«

«Aha, also doch. Als Friedrich Silbermann. «Walker lehnte sich wieder in den Ledersessel zuruck.»Wie ich aus den Akten sehe, wollen Sie intensiv nach dem verschwundenen

Bernsteinzimmer forschen.«

«Nicht nur, Sir. Ich mochte so viele Kunstguter wie moglich, die von den Nazis geraubt wurden, aufstobern und den rechtma?igen Besitzern zuruckgeben.«

«Das sind vor allem die Russen.«

«Es sieht so aus, Sir. Ich wei? viele Stellen, wo die Nazis die Kunstschatze versteckt hatten, und ich will den Weg zuruckverfolgen, wohin sie nach der Besetzung Deutschlands gekommen sind.«

«Ihr Wissen haben Sie als Angehoriger des OSS bekommen, und nun wollen Sie dieses Wissen gegen die USA verwerten!«Walkers Stimme hatte sich gehoben.»Finden Sie das nicht schabig, Fred?! Irgendwie verraterisch?! Ein Dolchsto? in den Rucken?«

«Hei?t das, da? alles, was die US-Armeen abtransportiert haben, jetzt US-Besitz ist?«

«Daruber entscheiden nicht Sie oder ich, sondern andere Stellen. Ihre Aufgabe war es, die Lagerstatten zu entdecken und auszuforschen, die Truppenfuhrer hinzubringen und die entdeckten Depots in ihrer Liste anzustreichen. Damit war Ihre Tatigkeit erfolgreich beendet. Haben Ihnen nicht Eisenhower, Patton und Bradley die Hand gedruckt und Sie gelobt?«

«Ja. In Merkers, einer Stadt in Thuringen. Wir hatten den gro?ten Schatzfund der Kriegsgeschichte gemacht. Aber wo sind diese Schatze jetzt?«

«Geht Sie das etwas an, Fred?«

«Gemalde von Rubens lagerten da, von Caravaggio, Tizian, Uccello, Masaccio, Rembrandts >Mann mit dem Goldhelm< und der Kopf der Nofretete… wo sind Sie hingekommen?«

«Da zuckt Ihr deutsches Herz, Friedrich Silbermann, nicht wahr?«Walker hob die Hand und winkte energisch ab, als Silverman etwas entgegnen wollte.»Ich soll Sie also entlassen, damit Sie unser Gegner werden?«

«Nein, Sir, ich will nur…«

«Einen Teufel werde ich tun, Fred. Ich befordere Sie zum Major, nagele Sie auf Ihren Eid als US-Offizier fest und damit hat es sich! Und wir schicken Sie als Kultur-Attache an die Botschaft von Neuseeland. Da konnen Sie kein Unheil anrichten und konnen die Kultur der Maoris studieren.«

«Sir — «

«Mein letztes Wort, Major Silverman!«Walker sprang auf, Silverman mu?te ihm folgen und nahm Haltung an.»Melden Sie sich im Au?enministerium. Dort wei? man schon Bescheid. Ihre Versetzung nach Wellington/Neuseeland wird bereits nachste Woche erfolgen. Viel Gluck, Fred… und werden Sie ein international angesehener Maori-Forscher.«

Walker nickte. Fur Silverman blieb nur der Ruckzug und der aufbrechende Gedanke: So lasse ich mich nicht behandeln! Ich decke doch keinen Kunstraub. Es mu? einen Weg geben, und ich werde ihn finden!

Am nachsten Tag schrieb er an Michael Wachter, KatharinenPalast, Puschkin bei Leningrad, UdSSR.

Der Brief kam nie an.

Die Lena flo? noch nicht in die Mongolei -

Das Jahr 1956 machte Michael Wachter zum Siebzigjahrigen. Welch ein Fest war das in Puschkin und im Katharinen-Palast! Wieder einmal wurde Michail Igorowitsch, der» Schlo?geist von Zarskoje Selo«, wie fixe Journalisten ihn tauften, zum Tagesthema der Zeitungen. Sie beschrieben sein Leben und das seiner Vorfahren, zeigten Fotos, wie der Burgermeister von Leningrad ihm eine Blutenkette um den Hals hangte, als sei man in der Sudsee, wie man ihm noch eine Medaille an den Rock heftete und der nun fast uberall im Gesicht gelb gewordene Kulturfunktionar Agajew eine kurze Laudatio hielt, die in dem gehustelten Satz endete:»Die Treue war fur ihn nicht nur Ma?stab, sondern Halt, aus ihr schopfte er Kraft, auch wenn er sein gro?es Ziel nicht erreichte, das Bernsteinzimmer nach Puschkin zuruckzuholen.«

Wachter empfand diesen Satz als eine Frechheit. Nikolaj und Jana Petrowna konnten ihn nur mit Muhe davon abbringen, in seiner Erwiderung zu sagen:

«Der Genosse Agajew hat gut zu bedauern. Wenn seine Behorde soviel Rubel fur das Bernsteinzimmer ausgeben wurde, wie sie fur unnutze Beamte ausgibt, konnten wir vielleicht schon langst vor diesem Wunderwerk stehen.«

Er sagte es also nicht, lie? sich feiern, lie? sich kussen, schuttelte unzahlige Hande und fuhr dann nach Puschkin zuruck, wo ein gro?es Abendessen vorbereitet war.

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