«Nein, Sie denken falsch«, sagte er.»Ich bin kein gesuchter Verbrecher. Ich bin auch kein aus der Heilanstalt Entsprungener. Ich bin Assessor Bornemeyer, die rechte Hand von Dr. Portz.«

«Kenne ich«, sagte der Friseur aufatmend.

«Und ich bin lediglich verliebt. Das ist alles. Das Madchen mochte einen sudlandischen Typ.«

Wer hat mehr Verstandnis fur Verliebte als ein Dusseldorfer Friseur? Verliebte und Verruckte sind Zwillinge.

Der Friseur lachte zuruck und nickte.

«Ich werde aus Ihnen einen Italiener zaubern, wie er im Bilderbuch stehen konnte.«

Zwei Stunden hielt Bornemeyer die Prozedur aus. Er wurde gewaschen, geschnitten, gefarbt, unter Hei?lufthauben gesetzt, mit Lok-kenwicklern gespickt, massiert, wieder hei? beblasen, kurzum: Die Geburt des neuen Menschen ging durch das Fegefeuer der Geduld und Duldung.

Der Spiegel aber wurde zum Zauberkasten. Bornemeyer benotigte einige Zeit, um zu begreifen, da? er es war, dessen Verwandlung er betrachtete.

Das blasse Gesicht wurde sudlandisch braun.

Das strohige Haar glanzte pechschwarz in kleinen, geringelten Lok-ken.

Unter der Nase, sie war fast romisch, leuchtete ein schmales, flottes Bartchen.

Kaum begriff er das Phanomen, da? seine Augen leuchteten und

Blitze schossen.

«Wunderbar«, sagte er, ehrlich erschuttert.»Einfach wunderbar!«

Er kam sich fast unheimlich vor.

Die dicke Hornbrille, die er trug, verschwand in der Jackentasche. Ein glitzerndes Monokel warf die Strahlen der Lampe zuruck.

Ermano Ferro aus Genua erhob sich aus dem Friseurstuhl.

Der kleine Assessor Hubert Bornemeyer blieb in Dusseldorf zuruck.

Noch einmal warf Bornemeyer einen Blick in den Zauberspiegel. Dann reckte er sich. Sein Mund, unter dem flotten Schnurrbart, bekam ein malizioses Lacheln. Toll, dachte Bornemeyer. Einfach toll. Was solch ein Schnurrbart macht! Vielleicht liegt hier ein Geheimnis der nahen Vergangenheit.

«Exzellent«, sagte Bornemeyer-Ferro zu dem Friseur und bezahlte mit gro?er Geste.»Sie aben ganzes Arbeit geleistet. Isch binn Ihnen serr dankbarr.«

Der Friseur bog sich vor Lachen.»Arrivederci, signore«, rief er und hielt die Tur auf.

Wurdevoll verlie? Bornemeyer den Salon. Der Friseur starrte ihm nach, wie er mit durchgedrucktem Kreuz davonging.

«Es mu? auch solche geben!«sagte er zu sich.»Was ware das Leben ohne Idioten?«

Bornemeyer-Ferro ging uber die Graf-Adolf-Stra?e. Er sah wohlgefallig, wie die Madchen ihm nachblickten und tuschelnd die Kopfe zusammensteckten. Da wolbte er die Brust noch mehr hinaus, lachelte den Madchen zu und nahm mit seligem Herzen wahr, da? sie erroteten.

Ermano Ferro ging zum Bahnhof zuruck. Seine Umwandlung war vollendet. Im Wartesaal 1. Klasse lie? er die Kellner springen wie Kanguruhs. Es war eine Wonne, nur mit dem Finger zu winken, um zu sehen, wie Leben in die trage Masse Mensch kam.

Als Assessor Bornemeyer war man eine Null. Aber ein bi?chen brauner Teint, ein Menjoubartchen und die Haltung eines Menschen, dem Geld nur Ballast bedeutet — und die Welt liegt auf dem Bauch.

Der Schnellzug nach Emden lief ein. Ermano Ferro stieg in ein Abteil der 1. Klasse. Vorher hatte er auf dem Bahnsteig an einem Wagen eine Tute mit Weintrauben gekauft. Der Schaffner des Wagens trug ihm die Tute nach ins Abteil. Der Kellner stellte ihm nach einem fachkundigen Blick unaufgefordert eine Reiseflasche Chianti auf das Fenstertablett. Es war fast verwunderlich, da? sein Schlafwagenabteil nicht bekranzt war.

Drau?en auf dem Bahnsteig leuchtete das grune Schild des Aufsichtsbeamten auf. Sein Pfeifsignal durchschnitt die helle Sommernacht.

«Sitzen Sie bequem?«fragte der Schlafwagen-Schaffner besorgt. Er-mano Ferro nickte.

Weich fuhr der Zug an.

Die Lichter Dusseldorfs versanken in der Nacht. Die rheinische Tiefebene offnete sich.

Wie eine leuchtende Schlange raste der Zug dem fernen Meer entgegen.

Ermano Ferro lehnte sich zuruck, trank einen Schluck Chianti und fuhlte zogernd, ob sich der Schnurrbart nicht verschoben hatte.

Er fuhr einem Abenteuer entgegen, von dem der kleine Assessor Bornemeyer vor zehn Stunden nicht einmal zu traumen gewagt hatte.

Wie eine riesige, blankpolierte Muschel liegt die Insel im Meer.

Lang und gro? sind die Wellen, die ihre Nord- und Sudseite umbranden, denn sie kommen aus der Weite des Atlantik. Unzahlbar sind die Vogel und Mowen, die um die Spitze Hoge Horn im Osten kreischen; schaurig und erregend sind die Sagen um die Wolde-Dunen, wo Stortebeker, der gro?te Seerauber in deutschen Gewassern, seinen heimlichen Ruheplatz erwahlte.

Der Leuchtturm mit seinem Zaun aus Walfischkinnladen leuchtet weit uber die See. Wie traumende Schwane gleiten die Segeljachten durch die blaue Wasserschlange von Tu?kendoerkill. Durch die Dunen, zum Muschelfeld hin, vorbei am Jagerheim und Sturmeck jagt die Kavalkade ubermutiger Reiter. Auf den algengrunen, glitschigen Steinen der Buhnen hocken die Angler. Auf den Riffen und Sandbanken sonnen sich trage die grauen Leiber der Seehunde. Musik klingt aus den gro?en, wei?en Hotels uber die viertausend Meter lange Strandpromenade.

Es ist schon ein herrliches Stuckchen Erde, aber von all dem sieht man wenig, wenn das Schiff im Hafen anlegt. Auch der Baderdampfer >Frisia< mit seinen wie schwarze Trauben auf dem Deck zusammengeballten und zur Insel hinuberstarrenden Passagieren erfullte nur teilweise die Erwartungen der neuen Kurgaste. Von ferne hatten sie die Hotelpalaste gesehen, jetzt waren es nur Dunen und kleinere Hauser, eine schmucke Inselbahn und Fischerboote mit eingerollten Segeln, wie sie zu Hunderten auch im Hafen von Emden lagen.

Uber die Gangway schritt Sabine Sacher auf die Insel. Sie hatte sich auf dem Schiff umgezogen. In einem wei?en, tief ausgeschnittenen Leinenkleid mit wei?en flachen Schuhen, die schwarzen Haare mit einem Seidenband zusammengebunden und aus der Stirn hinausgehoben, so da? sie wie eine Krone um den Kopf lagen, sah sie unternehmungslustig und appetitlich jung aus.

An Land sah sie sich ein wenig hilflos um. Ihre Koffer wurden von einem Steward auf das Pflaster gesetzt, ein Heer von Gepacktragern machte Jagd auf Kunden. Hotelboys mit Schildern ihrer Hotels wan-derten an der Mole hin und her und sammelten ihre Gaste zu einem Hauflein. Die ersten Bekanntschaften wurden geschlossen. Die Erwartungsfreude machte freudig und redselig.

Von der Pension >Seeadler< war niemand gekommen. Sabine wartete, bis alle Gepacktrager und Boys besetzt waren, dann nahm sie ihre Koffer selbst und schleppte sie zum kleinen Bahnhof der Inselbahn, die bereits zum zweitenmal pfiff und zum Einsteigen aufforderte.

Eine Gruppe Pfadfinder zog mit Lauten und Harmonikas an ihr vorbei. Vor einem der Inselbahnwagen ku?te sich ein Ehepaar. Der Ehemann war gerade angekommen. Zwei Kinder, braun wie Mulatten, kamen herbeigelaufen und brullten» Vati! Vati! Vati!«Uberall war Gluck und Freude, nur sie war allein.

Bevor Sabine Sacher in die Inselbahn stieg, sah sie zuruck zum Schiff. Postwagen und Pferdefuhrwerke waren herangefahren, die Ruckladung wurde hineingetragen.

Umkehren, war ihr Gedanke. Mit dem gleichen Schiff zuruck zur Kuste und von dort nach Dusseldorf. Was sollte sie hier allein unter glucklichen Menschen? Niemand kannte sie, wie ausgesto?en stand sie abseits. Im >Seeadler< wurde es nicht anders sein. Sie schielte hinuber zu dem jungen Ehepaar. Er hatte sie untergefa?t. Ihre Augen leuchteten. Wie verliebt sie sind, durchfuhr es Sabine. Und zwei entzuckende Kinder haben sie. Wenn Peter hier ware.

Trotzig warf sie den Kopf in den Nacken. Er ist in Paris. Er langweilt sich bestimmt nicht. Man mu? eben das Abenteuer suchen, wenn es einem nicht entgegenkommt!

«Wo soll'n die Koffer hin?«fragte einer der Gepacktrager. Sabine war der letzte Gast, der noch nicht eingestiegen war. Die kleine Lok pfiff zum drittenmal. Mahnend, dringend.»Wohnen Sie in einem Insulanerhaus oder im Hotel? Wir mussen schnell machen, die Bahn fahrt gleich ab.«

«Pension >Seeadler<«, sagte Sabine leise. Wenn ich blo? nicht losheule, dachte sie. Ich bin nahe davor.

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