Wenn ich ein Mann ware, wurde ich mich in mich verlieben.

Es dammerte schon, als Sabine Sacher von einem Spaziergang uber die Strandpromenade und am Strand zuruckkehrte.

Ein Kellner wies ihr ihren Tischplatz an, den sie jetzt sechs Wochen lang behalten wurde. Eine Serviettentasche lag bereits auf ihrem Platz. S. Sacher stand darauf. Nicht Frau S. Sacher. Das beruhigte sie. Es war ja moglich, da? ein interessierter Mann schon die Aufschrift gelesen hatte.

Der Tisch stand an einem gro?en Fenster. Ungehindert ging der Blick uber das im Abendrot orangeflimmernde Meer. Als sie sich setzte, warf der Widerschein einen roten Schimmer auch auf ihr Haar.

Sabine schielte zu den anderen Tischen. Sie sah, wie man sie anblickte. Sie war die Neue, die Fremde, die Interessante, die noch vom Geheimnis der Anonymitat Umgebene. Ein Herr im mittleren Alter, der in der Ecke sa?, bewegte leicht nickend den Kopf. Die erste Annaherung, das erste Zeichen.

Lachelnd senkte Sabine Sacher den Blick. Der Kellner servierte das Gedeck. Im Radio am Bufett spielte ein kleines Streichorchester ein Menuett von Scarlatti.

Das Leben ist doch so einfach, dachte Sabine. Nur unsere dummen Gedanken komplizieren es so.

Um diese Stunde fuhr der letzte Baderdampfer des Tages im Hafen von Borkum ein. Es war die >Kaiser Wilhelm<, ein altes, aber immer noch tapferes Schiff, das durch die Abendflut schlingerte und keuchend festmachte.

An Deck stand der Italiener Ermano Ferro alias Assessor Bornemeyer. Er schwitzte reichlich und sah sehr zerknittert aus. Das rollende Meer war ihm nicht sympathisch. Um es sympathischer zu finden, hatte er getrunken und gegessen. Das wirkte sich jetzt nachteilig aus. Nicht, da? er seekrank war, aber das Gefuhl, uber etwas hinwegzufahren, das im Notfalle keine Balken hatte, erzeugte in seinem immer aufVorsicht eingestellten Gemut unangenehme Schau-er.

Auch die Inselbahn, die auffordernd pfiff, erweckte Mi?trauen in ihm. Sogar die Insel selbst kam ihm feindlich vor. Sie war dunkel, einsam, druckend.

Eingedenk seiner neuen gesellschaftlichen Stellung aber bewahrte er Haltung. Mit hochmutigem Nicken lie? er sein Gepack zum Zug tragen und geriet an den gleichen Trager, der von Sabine Sacher den Geldschein zugeworfen bekommen hatte. Da? ein so vornehmer Herr ihm nur zwanzig Pfennig Trinkgeld gab, begriff er gar nicht. Ehe er sich von diesem Schock seiner Menschenkenntnis erholt hatte, pfiff die Lok zum drittenmal und zog an.

Ermano Ferro hatte viel Platz im Zug. Nur wenige Gaste waren mit diesem letzten Schiff gekommen. Meistens wurden jetzt Konservenkisten, Postsacke, Bierkasten und Gemusekorbe befordert.

Der Schaffner leuchtete die Karte Ferros an und verbeugte sich leicht.

«Bitte, der Herr«, sagte er.»Prego, signore…«

Ferro nickte gnadig. Er lehnte sich an das Fenster und sah hinaus auf die Dunen, die dunkel und voller Geheimnisse an ihm vorbeiglitten. Seine bisher gehemmte Fantasie bluhte auf. Er dachte an Liebespaare an einsamen Stellen, an hei?e Kusse im Buschelgras, an Seufzer, die der warme Seewind wegtrug. Ihm wurde schwul unter der Kopfhaut. Er offnete das Fenster und steckte den Kopf in den Zugwind.

Wie wird es erst am Strand sein, grubelte er. Glanzende Strandfeste, schone Frauen in knappen Badeanzugen, wei?e Sandburgen mit lockenden Sirenen, Wind, Sonne, blaues Meer und eine Frau Sacher, die er bewachen mu?te.

Er nahm sich vor, von der Bewachung soviel Zeit abzuzweigen, um eigene Sehnsuchte im Rahmen des Erlaubten befriedigen zu konnen. Die Firma zahlte es ja. Solch eine Gelegenheit fallt einem Bornemeyer nur einmal in den Scho?.

Der Lichtfinger des Leuchtturmes glitt uber den Nachthimmel. Dort, wo der Strand mit den Luxushotels lag, war die Nacht fahl.

Tausendfaches Licht verscheuchte die Dunkelheit.

Ermano Ferro strich sich uber sein Menjoubartchen. Er fing die Blicke einiger Madchen auf, die mit ihm im Abteil sa?en und tuschelten. Als er sie anblickte, wurden sie rot und nestelten an Taschen, Rocksaumen, Haaren und taten sonstwas Dummes.

In Bornemeyer-Ferro bluhte eine Riesenblume auf. Die Blume des Selbstbewu?tseins. Ich mu? doch ein interessanter Mann sein, frohlockte er innerlich. An Abenteuern wird es nicht fehlen. Teufel auch, da? man das nicht fruher entdeckte!

Er blickte zur Seite auf die naherkommende Stadt Borkum. Zeit seines Lebens hatte er gehungert. Nie hatte er Freude gekannt, nie konnte er sagen: Ich bin glucklich. Das Studium hatte er sich muhsam durch Nachhilfestunden verdient. Seine Bude, ein Zimmerchen unter dem Dach, direkt unter den mit Zement verschmierten Dachpfannen, bezahlte eine Fabrik, in der er in den Semesterferien Schrauben drehte und Federn stanzte. Das war in Bonn so und auch in Heidelberg. Immer war er au?erhalb gestanden, sehnsuchtig zwar, aber sich abfindend mit dem Schicksal, der arme Sohn einer noch armeren Witwe zu sein. Nie hatte er feste Freunde, denn die wollten alle etwas erleben, nie konnte er einen Kommers besuchen, nur eins hatte er immer, und das verlie? ihn nicht bis zu dem Tage, an dem er auf Kosten seiner Firma nach Borkum fahren durfte: Er hatte Hunger, nach einem Braten, nach Schonheit, nach Geld, nach Leben, manchmal auch nach Liebe.

Nun aber war er Ermano Ferro, Autohandler aus Genua. Sein Bankkonto schien astronomisch zu sein. Er konnte alles haben, was sein Herz begehrte. Es gab keine Schranken mehr, hinter denen das Wunderland der erfullten Wunsche lag. Nur eine trube Wolke zog uber allem Gluck hinweg: Wieder, wie bei seiner armseligen Studentenbude, bezahlte es ein anderer. Zwar nur sechs Wochen lang. Aber seit siebzehn Jahren waren es immer nur Wochen, in denen er einmal durch die Gunst anderer frei von Sorgen sein durfte. Er kam sich wie ein Ausgehaltener vor, wie eine Dirne des Schicksals.

Die Kleinbahn hielt schnaufend am Kurmittelhaus. Ein Lichtermeer umfing Ermano Ferro. Das kannte er von Dusseldorf her, aber die gro?en Hotels, die lange glaserne Wandelhalle, die Cafes und Bars, das Spielkasino, das Kurtheater, die Strandpromenade und die wei?en Villen, dieser ganze konzentrierte Reichtum auf ein paar Quadratmetern, umfing Bornemeyer wie mit eisernen, hemmenden Klammern.

Nicht klein werden, sagte er zu sich. Nur nicht wieder zuruckfallen in die Welt subalterner Nickemanner. Einem Ermano Ferro imponiert dieser Reichtum gar nicht, er findet ihn hochstens fade.

Ein Boy der Pension >Seeschwalbe< nahm seinen Koffer in Empfang. Er fragte nicht lange, denn einen Ferro konnte man nicht ubersehen. Reichtum hat eine Ausstrahlung, die von einer 1.000-Watt-Birne nie erreicht wird.

Wahrend der Boy vor Ferro zur Pension trabte und sich ausrechnete, was er wohl von dem schwerreichen Italiener an Trinkgeld bekommen wurde und was man sich dafur kaufen sollte, wandelte Bornemeyer unter den sprechenden Blicken junger und alterer alleingehender Damen uber die erleuchteten Stra?en, ab und zu sein Bartchen streichelnd, mokant lachelnd und Abenteuerversprechungen ausstreuend.

Die >Seeschwalbe< war ein Zweigunternehmen des >Seeadlers<. Sie hatten den gleichen Besitzer, die gleichen Ansichtskarten, das gleiche burgerliche Essen< und die gleichen vornehmen Gepflogenheiten. Pension >Seeschwalbe< hatte dementsprechend auch eine besondere Kategorie von Stammgasten: Hohere Beamte, pensionierte Gerichtsrate, Prokuristen mittlerer Betriebe und Geschaftsleute mit Filialen.

In diese lautere Gesellschaft mit gediegenen Ansichten und moralischem Korsett trat nun ein Millionar! Das war eine Sensation, die die Direktion nicht nur zu wurdigen wu?te, sondern etwas aus der Fassung brachte.

Als vor einem Tag der italienische Millionar Ermano Ferro sich aus Dusseldorf anmeldete, auf Empfehlung eines Freundes, sagte er noch, hatte die Direktion der >Seeschwalbe< bedenkenlos zugesagt.

Ein solcher Fisch an der Angel wiegt mehr als drei verargerte Postinspektoren. Das ist nun mal so im Leben, da? mit dem Angebot die Moral abnimmt.

«Wir werden das schon regeln«, sagte die Direktion, als der Geschaftsfuhrer der >Seeschwalbe< handeringend den Ausverkauf des Hauses meldete.»Wir werden einen anderen Gast woanders unterbringen.«

«Aber wenn der Gast nicht will?«

«Er wird wollen! Wir werden ein besseres Zimmer anbieten, in einem Luxushotel! Wir schaffen es schon.«

Das dachte die Direktion. Um einen Renommiergast zu bekommen, mu? man Opfer bringen. Au?erdem wurde man alle Mehrausgaben auf sein Essen aufschlagen. Das war einfach. Der speziell zu seiner Bedienung

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