«Ich werde die Nacht uber wach liegen, wenn ich daran denke, Signora.«

Sie lachte wieder. Es waren Kaskaden, die uber silberne Steine herabperlten.»Dann, gute Nacht, Signore Ferro.«

Ferro-Bornemeyer horte, wie sie in ihr Bett stieg. Eine Hand klopfte die Federn. Jetzt wuhlt sie ihren blonden Lockenkopf in die Kissen. Oh!

Ferro stand an der spanischen Wand und suchte noch einmal verzweifelt nach einem Loch in dem Stoff. Das Taschenmesser hielt er in der Hand wie ein Morder.

«Nicht doch, nicht doch, Signore Ferro!«sagte die Stimme. Es war, als schuttele die Dame dabei den Kopf.»Die Wand hat keinen Fehler. Ich kann Ihren Schatten sehen.«

Resignierend trat Ferro an sein Bett zuruck und knopfte sein Oberhemd auf. Wie alt mag sie sein, grubelte er. Wenn sie nun ha?lich wie eine Wurzel ist?

«Wenn ich Sie wiedersehen soll, Signora«, sagte er tief atmend,»ware es herrlich, wenn Sie Ihre Anonymitat luften wurden und mir Ihren Namen nennen.«

«Ach! Das hat die Direktion nicht getan?«Sie zogerte ein wenig. Jetzt denkt sie nach. Ferro stieg aus seiner Hose. Er hatte sich an die Wand gestellt, damit sie im Schattenbild nicht den hoseaus-ziehenden Mann sah.»Eigentlich ist das ja kein Geheimnis, wo wir jetzt sogar zusammen schlafen. Also: Ich bin eine Deutsche, komme aus dem Westen und bin verheiratet.«

«Eine besonders wurzige Mischung. «Ferro entledigte sich seiner Unterhose.»Und Ihr Name, Signora?«

«Sabine Sacher.«

Hinter der spanischen Wand klirrte etwas. Glas zerbrach auf dem Boden. Aus Ferros Auge war das Monokel gefallen. Entsetzt, starr, unglaubig und zitternd sa? er auf seinem Bett. Vollige Hilflosigkeit

uberfiel ihn.

Das ist doch unmoglich, dachte er. Das kann doch nur absoluter Wahnsinn sein. Eine Halluzination. Ich schlafe mit einer Frau, die ich bewachen soll. Das Problem wurde brennend. Er war ausgeschickt worden, ein ehewidriges Verhalten der Frau Sacher zu berichten, und jetzt wurde er selbst ehewidrig. Diese Erkenntnis machte ihn wehrlos und kopfscheu.

«Sabine Sacher«, sagte er mit letzter Kraft.»Danke. Danke bestens. Ich bin entzuckt. «Oh, dachte er dabei. Oh, armer Bornemeyer!» Bis morgen fruh also. Gute Nacht.«

Er kroch in sein Bett, rollte sich wie ein Igel zusammen und merkte, da? er fror, obgleich vom Meer her ein warmer Wind ins Zimmer wehte. Er fror erbarmlich. Er zitterte, weil er sich selbst leid tat.

Beim Schein der Nachttischlampe nahm er sein kleines Notizbuch, schaute auf die Armbanduhr und trug mit bebender Hand gewissenhaft ein:

>12. -23, Uhr. Schlafe mit Sabine Sacher zusammen. Gesprach sehr charmant. Verabredung fur morgen fruh zum Kaffee.<

Dann warf er das Buch in eine Ecke und knipste die Lampe aus. Hinter der spanischen Wand horte er die leisen, regelma?igen Atemzuge Sabine Sachers. Sie schlief schon. Naturlich schlief sie. Wer so sorglos von der Ehe Ferien macht, hat ein Recht auf Mudigkeit.

Ferro-Bornemeyer lag noch lange wach und starrte an die Decke. Sein Pech gebar selbstzerfleischende Gedanken. Immer war das Schicksal gegen ihn. Immer wurde er getreten. Fur sein Schicksal mu?te er einen doppelten Hintern haben.

Drau?en rauschte das Meer an den Strand. Hochflut. Lachen klang durch die Nacht. In den Strandkorben sa?en die Liebespaare und bewunderten den Mond. Ferne Tanzmusik verwebte sich mit dem muden Kreischen einiger spater Mowen.

Ferro-Bornemeyer schlief ein, als es dammerte.

Er traumte unruhig. Wenigstens der Traum entschadigte ihn fur die Wirklichkeit.

Die Fahrt durch Paris war schon und langweilig zugleich. Zwar tat der franzosisch-berlinische Chauffeur alles, um Peter Sacher die Kostbarkeiten der Stadt zu zeigen und auch in jene Gebiete zu fahren, wo beim Einbruch der Dammerung das Leben erst beginnt. Aber alles dieses zu sehen vom Rucksitz eines Autos aus, allein, mi?mutig und gedanklich zwischen Sabine auf Borkum und Coucou auf der Couch hin und her pendelnd, hinterla?t nicht mehr als eine gro?e Leere.

Vor einem kleinen Restaurant in der Rue Etienne lie? Peter sich deshalb absetzen, bezahlte den Fahrer mit einem dicken Trinkgeld und versprach, die Telefonnummer, die der Chauffeur ihm gab, bestimmt anzurufen, wenn er Hilfe und fachmannischen Rat fur das Pariser Nachtleben brauchte.

«Ick kenne die tollsten Puppen!«sagte der Chauffeur.»Jerade, wo Sie Architekt sind, da kennen Se doch wat von Formen und Korperbau, wat?«

Peter Sacher nickte und ging in das Restaurant. Er a? zu Mittag, studierte die Mittagszeitungen und las etwas von einem Galopprennen auf dem Pariser Rennplatz Longchamps.

Longchamps, dachte er. Das hat einen Namen unter den europaischen Turfplatzen. Dort trifft sich die Eleganz von Paris. Dort sieht man schone Pferde und Frauen. Dort mu? etwas los sein, was die truben Gedanken verscheucht.

Wer Laie im Pferdesport ist, wer es nur kennt aus den Wochenschauen und Filmen, hat schnell einen etwas verschrobenen Eindruck von diesem Sport. Auch Peter Sacher machte darin keine Ausnahme. Er las noch einmal die gro?e Anzeige in der Zeitung und legte sie dann zur Seite.

Was braucht man alles fur Longchamps, uberlegte er.

Zuerst einen grauen Zylinder.

Das ist das markanteste auf den Rennplatzen, wie es im Film immer gezeigt wird: grauer Zylinder, hellgrauer Cut, wei?e Gamaschen. Dazu ein Fernglas. Eine dicke Starterliste. Totozettel, Buchmacheradressen und eine dicke Brieftasche voller Geld. Die dazugehorigen schonen Frauen stellen sich dann von selbst ein.

So dachte Peter Sacher. Man sieht, er war ein Laie des Pferdesports. Au?erdem stand es so in der Zeitung, die er in der Hand hielt. Ein gro?es Werbebild war neben dem Text: Es zeigte einige sehr vornehme Herren im grauen Cut mit Zylinder und herrlich schone Frauen in luftigen Sommerkleidern und breiten, aus Nylon hingehauchten Huten.

Es stand au?er Zweifel, da? ein Rennen in Longchamps zu den gro?en gesellschaftlichen Ereignissen gehorte und dazu auch den au?eren Rahmen verlangte.

Er bezahlte und trat hinaus auf die sonnenhei?e Rue Etienne. An der Ecke zur Avenue de l'Opera parkte eine Taxe. Es war der fran-zosisierte Berliner. Von der Sonnenglut erschlafft, sa? er auf dem Fahrersitz, den Kopf zuruckgelehnt und schlief. Sein Schnarchen, das aus dem offenen Mund entwich, war gewaltig, der Anblick nicht gerade asthetisch.

Peter druckte auf die Hupe. Grell schrie sie auf. Der Chauffeur fuhr empor, mit stieren Augen boxte er um sich.»Alarm!«schrie er.»Alarm!«Dann wurde sein Gehirn klar, und er erkannte seinen deutschen Fahrgast.

«Det is'n Ding!«schrie er.»Ick schlafe ein, traum von die Mad-cher, und Se wecken mir, als ich jrade zujreifen will. Sacre bleu! Wat is, Landsmann? Noch mal en bi?chen durch Paris, oder zur Tagesabsteige, wat?«

Peter Sacher setzte sich wieder auf seinen Rucksitz.»Hinaus nach Longchamps — was halten Sie von der Idee?«

«Schon. Da sind die dicken Brocken. Die kosten aber Jeld, Herr Architekt! Die haben alle ihre eijene Wohnung.«

«Pferde will ich sehen! Sonst nichts. Ich brauche aber dazu noch einige Kleinigkeiten. Vor allem die notige Kleidung.«

Der Berliner lachte breit.»Vastehe! Grauer Bibi, wat? Graue Schwalbenschwanze und wei?e Treter. Sie, ich wee? 'n Geschaft, die so 'n Dreh verleihen. Kleene Kaution und pro Tag 1.500 Franken. Det is billiger, als sich die Klamotten zu koofen! Ick fahr Se hin, wat?!«

Er fuhr los, kreuz und quer durch Paris. In einer dunklen Gegend in der Nahe der Rue Riquet hielten sie vor einem kleinen, dusteren, schmutzigen Kleiderladen. In seiner blinden Schaufensterscheibe spiegelten sich der Schmutz der Stra?e und die grauen Fassaden der Hauser. Hinter dieser Scheibe sah man lange Stander mit gebrauchten Anzugen aller Farben und Formen. Selbst Uniformen hingen da aus vier Jahrhunderten. Der Fundus eines Trodlers.

«Hier?«fragte Peter Sacher gedehnt und rieb sich die Nase.

«Ja.«

Вы читаете Bittersusses 7. Jahr
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×