hatte.

Nach wenigen Zeilen legte er sie wieder zuruck. Seine Nerven zitterten. Woher soll ein Mann die Ruhe zur Lekture nehmen, wenn gleich nebenan eine Frau sich auszuziehen beginnt? Nervos fingerte er sich eine Zigarette aus der Schachtel, die er sonst nur fur Mandanten dabeihatte, und paffte vor sich hin.

Ferro-Bornemeyer bekam einen erotischen Komplex. Er traumte, er malte sich die Zukunft aus, als sei er ein Toulouse-Lautrec. Er schwelgte in Bildern und ubertraf Rubens'sche Frauenideale.

Sie soll hubsch sein, dachte er selig. Vielleicht ist sie blond, blond war schon immer seine stille Sehnsucht. Als Student wohnte er einmal bei einem Bierausfahrer, der eine blonde Tochter hatte. Sie hatte ihn nie beachtet, weil er arm und bla? war. Aber das Blond ihres Haares hatte ihn zu heimlichen Gedichten angeregt und blieb in ihm haften.

Gleich wird sie hinter der spanischen Wand sein, traumte er weiter, und sich ausziehen. Es wird rascheln, erst das Kleid, dann die seidenen Dessous, leise wird das flordunne Nachthemd rauschen, ein Hauch von Bluten wird durch das Zimmer schweben, su?, betorend, lockend, ihr Parfum, sie wird sich die Haare kammen, ein jeder Strich des Kammes durch die Locken wird knistern vor Elektrizitat und Temperament, dann wird das Bett knarren, vielleicht seufzt sie auch einmal, sehnsuchtsvoll, begehrend, und dann loscht sie das Licht und schlaft.

Oder, Ferro zog die Stirn in Falten, sie wird sich die Zahne putzen, gurgeln, da? es rasselt, wird ins Waschbecken spucken wie ein Kutscher, sich hinlegen und schnarchen, da? die spanische Wand sich blaht.

Eines wird es auf jeden Fall sein: ein Abenteuer.

Um seine Gedanken nicht ganz entgleiten zu lassen, griff er wieder zur Zeitung und zwang sich, zu lesen. Mitten in einem Artikel uber die Konjunktur von mageren Schlachtschweinen klappte die Zimmertur. Er horte, wie leichte Schritte den einen Teil des Zimmers durchquerten.

Ferro-Bornemeyer warf die Zeitung weit weg.

Sie!

Im Zimmer!

Sie war gekommen!

Ferro hielt den Atem an. Es kam ihm vor, als bliese er mit sei-nen Bronchien Posaune.

Zunachst geschah nichts. Gar nichts.

Sie ging zum Schrank, offnete die Schranktur und hangte etwas uber einen Bugel.

Dann war es still. Ferro schnaufte die angehaltene Luft aus. Jetzt, dachte er, jetzt! Da? der Schlafpartner schon im Raume war, wu?te sie, denn das Licht brannte ja. Au?erdem lag der Rauch seiner Zigarette su?lich im Zimmer. Regte dieser mannliche Geruch sie nicht auf?

Ferro konstatierte einen Anknupfungspunkt. Er sorgte fur eine Gerauschkulisse. Er erhob sich aus seinem Sessel und lie? ihn laut knarren. Die Dame hinter der spanischen Wand lachelte leicht. Das konnte er nicht sehen. Es war uberhaupt gut, da? er nichts sah.

Ferro streckte den Kopf witternd vor. Nichts! Die Dame sprach nicht das erste Wort. Statt dessen ging sie zum Waschbecken und wusch sich die Hande. Man horte es am Knirschen der Fingergelenke. Der Duft von einem starken Eau de Cologne verfeinerte die Atmosphare. Ferro-Bornemeyer schnupperte wie ein kleiner Hund hinter einem gro?eren Bruder und murmelte halblaut:»Ahh!«Dann knitterte er die Zeitung zusammen, beugte sich uber das Bett und lie? eine Matratze knarren.

Nichts.

Stille.

Da! Seide raschelte.

Sie zieht sich aus! Wonne, Wonne, sie zieht sich bereits aus!

Ferro-Bornemeyer fuhlte plotzlich einen dicken Klo? im Hals. Er wollte ihn hinunterschlucken, aber der Klo? war eigensinnig und klammerte sich in der Speiserohre fest. Ferro fuhr sich mit beiden Handen in die gefarbten Haare und raufte sie sich. Seine an sich schon durch das Warten uberzuchtete Fantasie schlug Kapriolen. Bilder unerhorter Lebensnahe drangten sich ihm auf und zerfetzten sein Gehirn.

Wieder raschelte es. Leiser, dezenter.

Ferro hielt sich die Ohren zu. Sein verzweifeltes Rauspern, das er gegen die spanische Wand schickte, klang wie ein Stohnen.

Zwei nackte Fu?e tappten zum Fenster. Ein schlanker, wei?er, nackter Arm tauchte fur Sekunden auf und offnete das Fenster wieder, das Ferro geschlossen hatte. Dann trippelten die nackten Fu?e zuruck, tapp, tapp, tapp.

«Ich kann Tabakqualm im Schlafzimmer nicht vertragen.«

Ferro-Bornemeyer zuckte empor, als sei er angestochen. Ihre Stimme! Ihr erstes Wort! Und welch eine Stimme! Energisch und doch voller Melodie! Was sie gesagt hatte, wu?te Ferro in diesem Augenblick schon nicht mehr. In ihm schwang allein nur der Klang wieder.

«Gnadige Frau.«

Ferro klapperte fast mit den Zahnen. Er stand an der spanischen Wand. Mut und Erregung trieben ihm den Schwei? auf die Stirn.

«Bitte?«

«Ich mu? Sie tausendfach um Entschuldigung bitten, da? ich Ihnen solche Unannehmlichkeiten mache. Aber die Hotelleitung, diabolo, Signora, hatte mir mein eigenes Zimmer versprochen und dieses Versprechen gebrochen! Welche Freveltat. Versprechungen sind dazu da, da? man sie halt!«Ferro-Bornemeyer freute sich uber diesen doppelsinnigen Satz. Teufel noch mal, was war man doch fur ein Kerl! Mutig sprach er weiter:»Ich war untrostlich, als ich erfuhr, da? ich fur wenige Tage nur Ihr Zimmer teilen mu?. Glauben Sie mir, ich bin unschuldig. «Er stutzte und fugte schnell hinzu:»…daran! Ich verspreche Ihnen, nicht zu schnarchen.«

«Hoffentlich.«

«Sie verzeihen mir?«

«Mu? ich ja schon. «Sie lachte. Oh, welch ein Lachen. So lachten die Houris in Mohammeds Paradies.»Wenn Sie schon brav hinter der Wand bleiben, konnen wir gute Nachbarn werden.«

«Ich schwore es Ihnen. Ich bin ein milder Mensch.«

«Danke. Ich wu?te, da? Sie ein Ehrenmann sind. Ich habe dies nicht anders erwartet, auch wenn es nur wenige Ehrenmanner gibt. «Ihre Stimme wurde fragend. Sie mu? neben dem Bett stehen, dach-te Ferro- Bornemeyer. In einem durchsichtigen Nachtgewand. Durch seine Schlafen brauste ein Wasserfall.»Man sagte mir, Sie seien Italiener?«

«Sehr recht, gnadige Frau. «Ferro warf sich in die Brust. Sie konnte es nicht sehen, aber sie mu?te es am Klang seiner gewichtigen Stimme horen.»Mein Name ist Ermano Ferro, Genua, Automobile en gros und en detail. Gro?e 1,86, schlank, schwarzlockig, braunhautig, liebenswurdig, bestimmt Ihr Typ und, das wichtigste, nicht verheiratet…«

Sie lachte wieder. Wie herrlich mu? sie aussehen, wenn sie lacht. Und dazu in einem durchsichtigen Nachthemd.

«So genaue Auskunfte wollte ich nicht haben. Um aber auf Ihre letzte Bemerkung zu kommen: Halten Sie es fur so wichtig, nicht verheiratet zu sein?«

«Entschieden, Signora! Ein unverheirateter Mann hat immer noch die Chance, bedenkenlos zu lieben.«

«Ein verheirateter nicht?«

«Nicht ohne Skrupel. Vor allem ist es gefahrvoller.«

«Es soll aber Manner geben, die mutig genug sind, allen Gefahren zu trotzen.«

Ferro fuhr sich wieder durch die Haare. Ein tolles Weib, rochelte es in ihm. Er fuhlte es hei? durch seine Adern toben. Wenn eine Frau in einem durchsichtigen Nachthemd solche Nachtgesprache fuhrt, werden selbst Greise wieder fruhlingsfroh.

«Diese Manner, Signora, sind ein Ideal! Casanova war solch ein Ideal! Und Don Juan. Aber sie sind selten. Immerhin waren aber diese Ausnahmen Sudlander wie ich.«

Seine Kuhnheit machte ihn trunken. Wie ich mich entwickele, dachte er. Ich werde zum Titanen!

«Es soll aber auch >ideale Frauen< geben, nicht wahr?«fragte sie voller Koketterie.

«Sie sind die Bluten, uber die unsere Herzen ins Nirwana wandeln. Sie sind der Samt, von deren Weichheit unsere Hande traumen.«

Ihre Stimme girrte leise.»Man merkt, da? Sie Sudlander sind. So romantisch, so voller Bilder. Sie malen mit den Worten. Unterhalten wir uns morgen beim Kaffee weiter?«

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