«Und der Ehemann?«

«Weit weg.«

«Olala!«Ferro leckte sich uber die Unterlippe. Was man so alles erlebt, dachte er. Fur Geld bekommt man fix und fertige Ehebetten mit im Preis eingeschlossener Ehe serviert. Fur sechs Wochen, eine Ehe auf Zeit gewisserma?en. Das ist juristisch zwar. Er schaltete ab und nahm seinen Hut von der Theke. Opfer mu? man bringen, beruhigte er sein Gewissen. Fur die Firma mu? man alles tun!

«Wenn es sein mu?«, sagte er gedehnt,»bitte! Ich opfere mich! Bleibt mir anderes ubrig? Nur, was sagt die Dame dazu?«

«Sie wird nicht nein sagen.«

«Charmant. Damen, die nicht nein sagen, sind wie betaute Rosen. «Er strich sich wieder uber sein Bartchen und registrierte, da? sein fades Bonmot Beifall fand und bald die Runde machen wurde.»Meine Herren, ich danke Ihnen, da? Sie hier kein Zimmer frei hatten. Ich werde Sie meinen sudamerikanischen Freunden weiterempfehlen.«

Er wandte sich ab, ging in den Speiseraum und setzte sich an einen freien Tisch. Die Blicke der zu Abend speisenden Gaste folgten ihm, als hingen sie an einem Marionettenstrick. Das ist er, dachte man interessiert. So sieht man also aus, wenn man einige Millionen im Rucken hat. Wie sein Monokel blitzt. Diese adelige Schlankheit der Figur. Dieser federnde, feurige Schritt. Dieser schmale, aristokratische Kopf.»So sah Dante aus«, flusterte ein Madchen ihrer Freundin zu.

Wahrend Ferro nach der Abendkarte das beste Souper zusammenstellte und aus der Weinkarte eine der exquisitesten Flaschen auswahlte, beendete die Direktion nebenan in der Pension >Seead-ler< eine kurze, schicksalsschwere Unterredung.

Die angesprochene Dame hatte nach einigem Zogern eingewilligt. Sie bekam als Ausdruck des Dankes und der Anerkennung ihres gro?en Opfers von der Direktion einen riesigen Strau? Blumen, drei Handkusse und die Versicherung, da? man nie und nimmer eine charmantere Dame zu Gesicht bekommen wurde.

Dann zog erwartungsvolle Stille durch die beiden Pensionen. Die Moglichkeiten, die sich jetzt ergaben, waren so vielfaltig, da? jeder der Beteiligten sich einen Sack voll zurechtlegen konnte.

Zugreise, Dampferuberfahrt, Ratternder Kleinbahn, seelische Erregung, Abendessen und vorzuglicher Wein hatten Ferro stark belastet. Er spurte es an den Augen. Sie druckten gegen den Hintergrund, lie?en ihn mit den Wimpern flattern und begannen zu tranen.

Er gahnte hinter der vorgehaltenen Serviette, erhob sich und verlie? den Speiseraum. In der Halle wartete bereits ein Boy mit dem Gepack. Als er Ferro aus dem Saal treten sah, trug er es ihm nach.

Ermano Ferro blieb stehen.»Wieso?«rief er und zeigte auf seine wegeilenden Koffer.»Ich denke, ich bekomme ein Zimmer mit Dame?«

«Prego, signore. «Der Geschaftsfuhrer verbeugte sich mehrmals. Die Direktoren waren in ihren Privatburos und betranken sich ob des herrlichen Sieges.»Das Zimmer ist im Nebenhaus. In unserem Schwesterunternehmen >Seeadler<.«

«Seeadler?«Ferro-Bornemeyer kniff das Auge fester zu. Das Monokel ware ihm sonst gefallen.»Das nenne ich Gluck. Wahrhaftig! Gehen wir!«

Doch bevor er dem Boy folgte, holte er aus der Rocktasche ein kleines, schwarzes Notizbuch und, gewissenhaft, wie es Dr. Portz von ihm verlangte, trug er in einer nur von ihm lesbaren Handschrift das meldungswurdige Ereignis skizzenhaft ein:

>12. - 22.10. Zimmerwechsel von der Schwalbe zum Adler. Ziehe in das gleiche Haus wie Frau S.S. Hoffe, sie heute noch zu sehen. Die Gelegenheit ist einmalige

Mit einem freundlichen Kopfnicken, ein fettes Trinkgeld ware allen lieber gewesen, verabschiedete er sich von dem Geschaftsfuhrer und dem Portier und ging dem drau?en in der Nacht vor dem Haus wartenden Boy nach.

Es waren nur wenige Schritte. Aber Ferro nahm sie in Zeitlupe. Er kostete das Gefuhl des Uberlegenen aus.

Im >Seeadler< war man bereits auf alles eingerichtet. Wie nach langen Ubungen am Reck vollzog sich die Kur.

Ermano Ferro sah bei seinem Eintreten im >Seeadler< gesenkte Kopfe, devot gekrummte Rucken, einen anderen Geschaftsfuhrer im schwarzen Anzug und zwei Boys, die seine Koffer uber eine mit einem roten Teppich belegte Treppe nach oben trugen. Hinauf ins Doppelzimmer, hinein ins Paradies.

Ferro eilte hinterher. Die erklarenden Worte, die ihm nachschwirrten, horte er nicht mehr. Er sturmte durch die offene Tur in das gro?e Zimmer, klopfenden Herzens und ein Bonmot suchend, mit dem er sich der bestimmt wartenden Dame vorstellen wollte.

Aber das Zimmer enttauschte auf den ersten Blick. Was Ferro zunachst sah, war eine gro?e, hohe, bunte spanische Wand, die man quer in das Zimmer gestellt hatte und die den Raum in zwei gleiche Teile trennte. Es gehorte keine gro?e Fantasie dazu, hinter dieser gro?geblumten Stoffwand ein zweites Bett, einen Waschtisch, einen Schrank und einen Sessel zu vermuten. Das gleiche Mobiliar stand im Ferroschen Teil. Nur das gro?e Fenster gehorte beiden Bewohnern gemeinsam. Jeder hatte einen Flugel, uber den er frei verfugen konnte.

Ermano Ferro gab den Boys zwei Mark Trinkgeld und winkte ihnen zu, ihn allein zu lassen. Dann setzte er sich auf sein Bett, starrte die spanische Wand an, tippte mit dem Finger gegen den Stoff und holte ein Taschenmesser aus der Tasche. Aufgeklappt legte er es auf die Bettdecke. Hindernisse sind dazu da, da? man sie uberwindet, hatte schon sein Mathematiklehrer gesagt, als er vor den Logarithmen versagte.

Zunachst verhielt sich Ferro-Bornemeyer ganz still. Er wu?te nicht, ob er allein war oder ob >sie< jenseits der Blumen schon in den Federn lag und ebenfalls zu ihm hinuberlauschte. Wir warten vielleicht beide, was der andere jetzt wohl tut, dachte Ferro. Unsicherheit uberfiel ihn. Es ist ein verdammt dummes Gefuhl, in einem Zimmer zu sein, ohne zu wissen, ob man allein ist.

Ermano Ferro rausperte sich.

Stille.

Er rausperte sich starker.

Mannlich starker. Nachhaltig.

Rauspernde Manner kann man nicht uberhoren. Das Rauspern eines Mannes ist wie der verhaltene Brunftschrei eines Hirsches. Ihn zu verstehen bedarf es keiner Vorbildung.

Ferro lauschte.

Stille.

Leise zog er die Schuhe aus und schlich auf Strumpfen zu der spanischen Wand. Zentimeterweise tastete er den Stoff ab; er suchte an den Stellen, wo er an die Holzleisten genagelt war, ein Loch, eine undichte Stelle, einen Stoffehler.

Nichts.

Enttauscht ging er zum Bett zuruck und setzte sich wieder.

Zu hoch ist sie auch, grubelte er. Hinuberblicken kann man nicht. Wozu gibt man mir ein Doppelzimmer, wenn man solch eine dumme Stoffwand dazwischen stellt? Was soll dieses entehrende Mi?trauen?

Ich werde mich morgen bei der Direktion beschweren und meine Zusage einer Empfehlung an meine sudamerikanischen Freunde zuruckziehen.

Ein neuer Gedanke kam ihm. Er ging ans Fenster und schlo? einen Fensterflugel. Dann angelte er um die Wand herum und versuchte, den zweiten Flugel zu erhaschen. Was er sah, war die Ecke eines wei?en Kleiderschrankes.

Und es blieb still.

Wutend ging er zuruck zu seinem Bett. Nicht mal ein Balkon ist vor dem Fenster! Es blieb nur das Taschenmesser, etwas brutal und plebejisch. Au?erdem war jetzt klar, da? er allein im Zimmer war. Einen um die Wand tastenden Mannerarm kann man nicht ubersehen. So etwas nimmt keine Frau widerspruchslos hin.

Was soll man jetzt tun, dachte Ferro. Warten? Sich ausziehen und ins Bett legen? Das konnte die Dame als eine zu deutliche Aufforderung ansehen.

Sollte man hinterher in die Halle gehen und etwas fur die Firma tun? Irgendwo und irgendwann wurde man Frau Sabine Sacher sehen und versuchen, sich ihr zu nahern.

Ermano Ferro entschlo? sich nach langerem Nachdenken fur das Warten. Er setzte sich in den Sessel, knipste das gemeinsame Dek-kenlicht an und las in der Abendzeitung, die die Direktion auf den Tisch gelegt

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