«Das sieht nicht sehr vertrauenerweckend aus.«

«Hier leihen sich die verarmten Grafen ihre Fracke, wenn sie einmal eingeladen werden. Sylvester holte hier der Furst Odnisuppoff seine zaristische Uniform. In allen Zeitungen war er abgebildet, weil die sowjetische Botschaft Protest gegen dieses offentliche Auftreten einlegte. Und der Marquis von Sustiere leihte sich.«

Peter winkte ab.»Ich glaub' es Ihnen. Aber wenn man so durch die dreckige Scheibe guckt?«

«Det is eben Paris, Landsmann! Det vastehen de Fremden nicht. Hier is det Schmutzigste det Reellste. Je mehr Kronleuchter, um so jro?er de Gauner! Sehn Se sich die Buchladen an. An der Seine die Karren, det sin die Joldjruben! Da kann man wat Schones koofen fur 'n paar Centimes. Da kommen se von den Universitaten, olle Professoren, und kramen in den dreckigen Karren herum.«

Er stieg aus, ging zur Tur des kleinen Ladens und zog an der Schelle. Es schepperte grell, die rostigen Turangeln quietschten, als er die Tur offnete. Peter Sacher folgte ihm. Da? es so etwas noch im 20. Jahrhundert gibt, dachte er.

Aus dem Halbdunkel des Hinterladens scho? ein rundes Mannlein hervor. Es hatte einen riesigen Kopf, der nur aus ineinandergedrehten Haaren zu bestehen schien. In diesem Gewirr von Bart,

Lowenmahne, Ohren und Mundschlitz schwankte eine gro?e Goldbrille.

Er betrachtete die Eintretenden ganz genau. Jetzt schatzt er den Preis, dachte Peter. Dann wurde er von einem Wortschwall uberschuttet. Er kam mit einem Luftzug, der nach Zwiebeln roch. Der Chauffeur nickte und brullte dazwischen. Gleich schlagen sie sich, durchfuhr es Peter. Aber nichts dergleichen geschah. Der kleine Mann schien im Bilde zu sein und rannte wieselschnell davon.

Zwischen den Regalen entstand eine Unruhe. Kleider wurden hin und her geschoben, es raschelte laut. Stander und Stangen schwankten, irgendwo krachte es laut, als fiele eine Decke ein, dann kam das Mannlein auch schon zuruck, uber dem Arm die Ausstattung eines Gentleman tragend.

Grauer Cut, hellgrauer Zylinder, schwarze Lackschuhe, wei?e, hohe Gamaschen. Alles breitete es auf einer schmutzigen Glastheke aus, unter der Talmischmuck in Haufen lag. Mit glanzenden Augen strich es die Revers des Cuts glatt und machte die Geste eines Eroberers, der seinem Konig einen Erdteil vor die Fu?e legt.

«S'il vous plait!«

«Bon. «Peter Sacher nahm den Cut, zog seine Jacke aus und probierte ihn an. Der kleine Mann schien ein vortreffliches Augenma? zu haben. Er schlug die Hande begeistert zusammen und sprang in die Luft wie ein hingeworfener Gummiball.

«Excellent!«rief er schrill.»Un comte!«

«Wie 'n Jraf«, dolmetschte der berlinische Franzose.»Det is wirklich wahr. Se sehen aus! Piekfein! Se haben de richtige Cutfijur. «Er stulpte Peter noch den grauen Zylinder auf den Kopf und schob ihn vor einen gro?en, blinden, fleckigen Spiegel, dessen unterer Silberbelag abblatterte.»Der schonste Mann von Longchamps. Wat!? Det jibt Chancen bei die Weiber.«

«Ich will Pferde sehen!«sagte Peter Sacher noch einmal betont.

«Det sajen se alle, die nach Paris kommen.«

Peter zog den Cut aus und setzte den Zylinder ab. Er zahlte die Hinterlegungssumme, die der Chauffeur nach einem erregten Han-del mit dem Mannlein nannte, sah dann sein grafliches Aussehen in rohes Packpapier verpackt und verlie? den Laden mit dem Gefuhl, die Pariser nie verstehen zu lernen.

Im Wagen, das Paket auf den Knien, tippte er dem Fahrer auf die Schulter.

«Jetzt mussen wir irgendwohin, wo ich mich unauffallig umziehen kann. Die Rennen beginnen in einer Stunde. Um nach Hause zu fahren, ist es jetzt zu spat.«

Im geheimen furchtete er, da? Coucou zuruckgekommen war. Mit Coucou aber nach Longchamps zu fahren, schien ihm unmoglich. Man sah Coucou an, wer sie war.

«Det werd'n wir och jleich haben«, sagte der Chauffeur. Die Taxe raste in einem morderischen Tempo durch die belebten Stra?en, bremste kreischend vor den Ampeln, schlidderte am Canal de l'Ourcq vorbei. Peter Sacher schlo? die Augen. Er hatte nicht mehr die Nerven, das anzusehen, was er selbst in Dusseldorf tat, wie Sabine behauptete, die neben ihm sa? und es deshalb wissen mu?te.

«Hier ist's«, sagte der Chauffeur. Peter offnete die Augen. Sie standen vor dem Gare de l'Est.

Mit seinem Paket unter dem Arm verschwand Peter im Gewuhl der Reisenden. Auf der Bahnhofs-Toilette zog er sich um. Wie einst der Hauptmann von Kopenick, verlie? er wenig spater den ungesellschaftlichen Ort in eleganter Gesellschaftskleidung.

In dem kleinen Spiegel vor dem Waschbecken — einmal Waschen 30 Francs — kammte er sich sorgfaltig, setzte dann seinen hellgrauen Zylinder auf, gab dem Toilettenwarter, der ihn sprachlos beobachtete, ein furstliches Trinkgeld und verlie? dann den Gare de l'Est.

Auf dem Bahnhofsvorplatz stand der Chauffeur und verneigte sich tief.

«Herr Jraf, die Pferde sin jesattelt! Wenn Se jetzt noch am Toto 'ne Stange Jeld jewinnen, taufe ick mir um und nenne mir nur noch Nulpe.«

Dann fuhren sie langsam, wie es sich fur die sichtbare Wurde gehorte, durch das sonnenflimmernde Paris hinaus in den Bois de Bou-logne.

Am Rande dieses Pariser Stadtwaldes liegt die Rennbahn von Long-champs. Mit einem Blick auf die Seine Fleuve, mit seiner uberdachten Tribune, den wei? eingefa?ten Kurvenplatzen, den Totostanden und dem wei?en Start-und-Ziel-Haus ist das gro?e Oval der Rennbahn eine Arena der Haute Couture, eine Naturbuhne schoner Frauen in Kleidern von Dior, Fath und Schiaparelli, ein Zirkus mannlicher Raubtiere und ein Irrgarten dummer Eitelkeiten.

Auf Longchamps gesehen und bemerkt zu werden, ist der Hohepunkt der Saison. Eine Frau, uber die man in Longchamps nicht spricht, verliert ihr gesellschaftliches Renomme.

Das alles hatte Peter Sacher einmal gelesen. Es war ein bissiger Kommentar, dessen er sich jetzt erinnerte. Aber als sie langsam in die Allee de Longchamps einbogen und sich in den Korso der eleganten Wagen einreihten, eine popelige Taxe unter den chromblitzenden Ungeheuern der Stra?e, verstand Peter, was es hie?, mit Anstand und Wurde borniert zu sein.

Zwischen schattigen Baumen fuhren sie im Schrittempo dahin, bewunderten die Garderoben der Damen in den offenen Luxuskabrioletts, die ihre Liebhaber auf Wechsel laufen hatten, lie?en sich bewundern und ahnten, welchen Glanz sie in Longchamps selbst zu erwarten hatten.

Am Eingang zur Rennbahn, umgeben von riesigen Parkplatzen und den Begleiterscheinungen der Zivilisation in Gestalt von nicht zahlbaren Verkaufsbuden fur Andenken (trabendes Pferdchen aus Gips nur 100 Francs), Eis, turkischen Honig, belegte Brotchen und eindeutige Zeitschriften in neutralem Einband, hielt die Taxe an. Der Chauffeur drehte sich grinsend um und nickte.

«Da sind mer! Und nun viel Spa?, Landsmann! Meine Nummer haben Se ja noch, wat?«

Peter bezahlte schnell, stieg aus dem Wagen, reckte sich diskret, setzte den Zylinder gerade und sah sich um. Hinter ihm fuhr der Wagen an, zu fruh, denn Peter Sacher wirbelte herum und winkte verzweifelt dem wegrasenden Auto nach.

Eine Feststellung raubte alle Haltung, die sein Au?eres darbot.

Er war neben einigen Rennstallbesitzern einer der wenigen Besucher des Rennens in grauem Zylinder und grauem Hut. Niemand dagegen trug wei?e Gamaschen. Die Manner hatten der Hitze wegen ihre Rocke irgendwo aufgehangt…im Hemd, die Armel hochgerollt, standen sie neben ihren eleganten Damen.

Peter Sacher stand verlassen vor dem Eingang. Hunderte von Blik-ken sahen zu ihm hin. Man beobachtete ihn. Man bewunderte ihn: Bei der Hitze formvollendet! Er war zum Mittelpunkt geworden.

Mit steifen Knien ging Peter zum Eingang und loste eine Karte. Die Blicke folgten ihm. Er spurte sie in seinem Rucken. Wie tausend Nadeln stach es ihm im Nacken.

Alte Schule, dachte man. Und schwer reich. Wer bei 30 Grad im Schatten um seiner Kleidung und Vornehmheit willen schwitzt, mu? so viel Geld haben, da? er schon gar keine korperlichen Bedurfnisse mehr hat.

Einige Damen, leider etwas zu auffallig geschminkt, um zur first class zu gehoren, schoben sich an ihn heran und lachelten ihm zu. Ein Buchmacher sturzte auf ihn zu. Er zeigte ihm eine lange Liste mit Pferdenamen und nannte Zahlen. Als er hintereinander franzosisch, englisch, spanisch, italienisch, deutsch und russisch gesprochen hatte und der graue Mann noch immer schwieg, zog er sich schulterzuckend zuruck.

Ein Nabob, dachte er. Man sollte auch noch indisch lernen.

Ein Herr, der eine Binde mit der Aufschrift >Rennleitung< um den Arm trug, kam auf ihn zugeeilt.

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