«Comtede Reilly?«fragte er mit einer tiefen Verneigung. Peter schuttelte den Kopf. Mit heiserer Stimme sagte er schwach:

«Non.«

Dann fiel ihm ein, da? ein Franzose immer fur Hoflichkeiten aufgeschlossen ist. Er verneigte sich ebenfalls leicht und stellte sich vor:»Peter Sacher.«

Der Herr von der Rennleitung zerschmolz.

«Oh!«rief er enthusiastisch.»Monsieur Sacher?!«Sein Deutsch war grauenvoll, aber Peter verstand es und erbleichte.»Ich kenne Osterreich! Ich war ein Jahr lang dort. Wien, oh, Wien! Ein Marchen, Monsieur Sacher. Und in Ihrem Hause habe ich oft gesessen und Kaffee getrunken! Ein wunderschones Haus, das Hotel Sacher. Und die Torte! Die Sacher-Torte, eine Erfindung Ihrer Frau Mama, nicht wahr? Ein Gedicht! Noch nie habe ich solch eine Torte gegessen! Sie zergeht auf der Zunge! Welche Ehre, Sie hier zu sehen, Monsieur Sacher. «Er winkte einer Platzanweiserin.»Fur Monsieur Sacher eine Loge!«rief er laut, damit es alle horten.

Peter wurde es unheimlich. Er druckte dem Herrn von der Rennleitung die Hand, schielte zu den anderen Besuchern und sah, da? einige Herren ihren Damen erklarten, was ein Sacher fur Osterreich und Wien bedeutet, und ging schnell der Platzanweiserin nach auf die Tribune.

Dann sa? er in der Loge, hatte ein dickes Programmheft vor sich liegen und kam sich wie eingesperrt vor. Eine unsinnige Wut auf alle Filme uberkam ihn, die Rennplatzbesucher nur in Cuts mit grauem Zylinder darstellten.

Verstohlen blickte er sich um. Der franzosische Hochadel sa? um ihn herum. Die roten Bandchen der Ehrenlegion schimmerten in den Knopflochern. Die Damen sahen aus, als wollten sie mit ihrer unwirklichen Schonheit beweisen, welch ha?liche Zwerge doch die Manner sind. Es war, als konzentrierte sich das Interesse nicht auf die Pferde, sondern um den zugeknopften, graubetuchten Gast, der einsam in einer Ehrenloge sa?, standhaft schwitzte und so vornehm war, da? er weder rechts noch links schaute.

Peter Sacher tastete nach seinem Fernglas. Es baumelte vor der Brust und schien einen Zentner zu wiegen. Wenn ich es jetzt an die Augen halte, brechen mir die Arme ab, dachte er. Ich bin vollig vernichtet. Ich bin eine Witzfigur. Wenn es nur einen Ausweg gabe, unbemerkt wegzukommen. Aber wer ist unbemerkt, wenn er einen hellgrauen Zylinder, grauen Cut und wei?e Gamaschen tragt?

Von >Start und Ziel< leuchtete die Tafel mit den Namen der Pferde des ersten Rennens. Auf den Tribunen war ein Kommen und

Gehen zum Totalisator. Die Buchmacher und ihre Gehilfen schrien sich zu, die letzten Wetten wurden abgeschlossen. Die Pferde wurden hereingefuhrt und stellten sich hinter der Startleine auf. Die bunten Seidentrikots und runden Kappen der Jockeys glanzten wie Olfarbflecke, die von einer Palette gelaufen waren. Ein vieltausendfaches Stimmengewirr lag uber dem riesigen Oval der Rennbahn. Irgendwo klingelte hell eine Glocke. Das Seil schnellte in die Hohe, die Pferde rasten uber die in der Sonne flimmernde Bahn.

Rufe gellten auf. Noch einmal nahmen die Buchmacher Wetten an. Hunderte von Fernglasern verfolgten die wirbelnden Beine.

Allein Peter Sacher hatte den ersten Start verpa?t.

Er hatte Streit.

Streitobjekt war ein hellbrauner, su?er Seidenlanghaardackel. Er war in die Ehrenloge geschlupft, hatte die wei?en Gamaschen Peters beschnuppert und dann mit hochgezogenen Lefzen und blek-kenden Zahnen angebellt.

Zunachst hatte Peter nichts von seinem Logengast bemerkt. Er studierte die Startliste und schwitzte erbarmlich.

Der Dackel hatte, nachdem er in die Loge geschlupft war, zunachst den fremden Menschen genau betrachtet. Dann hatte er die wei?en Gamaschen erst beschnuppert, intensiv beleckt, mit den Zahnen daruber gekratzt, bis er seine nasse, spitze Schnauze unter das graue Hosenbein schob. Hier kam er an eine glatte, schwitzende Haut, was ihn reizte, ebenfalls liebevoll zu lecken.

Die erste Reaktion ahnungsloser, beleckter Menschen ist ein Tritt. Das aber empfand das Hundchen als ungerecht. Er war liebevoll gewesen und wurde dafur getreten. Au?erdem verletzte der Tritt die Umgangsformen des Hundes. Wenn Menschen sich vorstellen, sagen sie ihren Namen; ein Hund kann nicht sprechen. Er stellt sich durch heftiges Schwanzwedeln, Beschnuppern und Belecken vor. Sage mir, wie du riechst, und ich sage dir, wer du bist.

Peter Sacher hatte in seiner Situation keinen Sinn fur Tierpsychologie. Er war bis unter die Haarwurzeln verargert und verbat sich energisch das Beschnuppern und Belecken seines Beines. Nach Art der Menschen trat er also. Der Dackel, tief beleidigt, bi? grimmig in den vorschnellenden Schuh.

Dann bellte er. Grell, wild, sich uberschlagend.

Von den Nebenlogen schaute der franzosische Hochadel hinuber. Er war konsterniert. Das Klaffen des Hundes storte die durch Wetten gestutzte Weihe des Rennens. Man wollte Amira siegen sehen, aber keinen Dackel im Amoklauf.

Peter Sacher erkannte, da? sein Bleiben nur noch eine Provokation sein wurde. Wahrend die Pferde unten in die Zielgerade einliefen, verlie? er die Loge.

Der Dackel, einmal aus der Fassung geraten uber soviel menschliche Unhoflichkeit, folgte ihm geifernd.

Wutend ging Peter von der Tribune zum wei?gestrichenen Zaun, der das Rennfeld einsaumte. Dann hob er seinen Stock und versuchte, den klaffenden Hund zu verscheuchen.

Hunde haben etwas gegen Stocke. Ihre tiefe Abneigung teilen sie da mit den Kindern. Auch der wilde Dackel verdoppelte sein Bellen, umkreiste den grauen Mann, straubte die Ruckenhaare und schnappte nach dem Stock, wenn er in seine Nahe kam.

Eine helle Stimme lie? Peter und Hund aufblicken.

«Papillon! Papillon!«rief sie.»Hierher! Kommst du wohl! La?t du den alten Mann in Ruhe!«

Peter Sacher zuckte zusammen, als sei ihm ein Felsstein auf den Kopf gefallen. Alter Mann! Er gab dem Dackel noch einen Stockhieb, dem er geschickt auswich. Dann drehte er sich um und sah die Sprecherin giftig an.

Eine Dame in einem wei?en Seidenkleid bahnte sich einen Weg durch die Menge. Sie trug einen gro?en, mit bunten Bandern garnierten Strohhut, hatte schwarze Locken, ein schmales, ebenma?iges Gesicht, war jung und von exklusiver Figur und blitzte aus schwarzen Augen den grauen Mann an.

«Mon papillon!«sagte sie laut und fast verachtlich.»Ein so liebes Hundchen zu schlagen! Sie Rohling!«

Peter Sacher wischte sich den Schwei? von der Stirn. Dazu nahm er den grauen Zylinder vom Kopf. Es war ihm, als sei er von einem Eisenring befreit worden. Verwundert musterte ihn die Junge. Sie hatte den Dackel auf den Arm genommen und streichelte noch immer sein gestraubtes Fell.

Ihr Mund ist blutrot, dachte Peter verwirrt. Ihr Gesicht hat etwas Puppenhaftes an sich. So gleichma?ig. So schon. In ihrem Kosmetiksalon mussen Konner sitzen.

Er ist bestimmt ein Englander, dachte sie. Und ein Rohkostler. Er sieht so aus. Sie hatte etwas gegen Rohkostler, denn ihr Vater war ein Pariser Metzgermeister. Au?erdem kann nur ein Englander so konservativ auf einem Rennplatz stehen. Und so alt, wie er von weitem aussah, ist er auch nicht. Die angegrauten Schlafen sind im Gegenteil genau das, was zu ihm pa?t.

Sie lachelte ein wenig. Dann sprach sie, warum, das wu?te sie selbst nicht, in deutscher Sprache weiter.

«Was 'aben Sie gemacht mit meinem 'und?«

«Ich?«Peter Sacher verbeugte sich leicht und setzte seinen Zylinder wieder auf.»Fragen Sie lieber, was Ihr reizender Koter mit mir gemacht hat. Er bellte mich an.«

«Das ist sein Recht gutes.«

«Er beschnupperte mich.«

«Wei? wer, wie Sie riechen?«

«Er schnappte nach meinen Fu?en.«

«Er kann nicht leiden wei?e Gamaschen.«

«Madame! Ich bitte Sie!«Peter Sacher errotete mehr als durch die gluhende Hitze.»Ich kann ja nicht jeden Hund fragen, ob ihm meine Kleidung zusagt.«

«Leider. «Die Dame nahm eine silberne Kette aus der Kleidtasche und befestigte ihren Papillon daran. Dann setzte sie ihn wieder auf die Erde.»Manchmal 'unde 'aben einen besseren Geschmack als Menschen.«

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