«Was ist?«sagte Sabine klaglich.

«Wir fahren mit dem nachsten Schiff. In einer halben Stunde geht es ab.«

Sabine schuttelte den Kopf. Da Ferro es nicht sehen konnte, meinte sie mit schwankender Stimme:

«Ich glaube, ich bekomme eine Migrane. Es wird nicht gehen.«

«O Santa Maria!«Bornemeyer prallte zuruck.»Lassen Sie mich jetzt nicht allein, Madonna! Blo? das nicht! Ich bitte dich, komm mit! Wir mussen das letzte Schiff bekommen. Morgen ist es zu spat.«

Morgen hat der Baron die Auskunft seines Sekretars. Dann platzt der Ermano Ferro wie ein Luftballon, in den man hineinsticht.

Morgen kommt ein Brief von Dr. Portz, und ihn konnte man nicht verleugnen. Ein Telegramm kann verstummelt ankommen, ein Brief ist aber klar!

Ferro rang die Hande. Er kannte die Frauen nicht, aber soviel hatte er bei erfahrenen Schriftstellern und bei scheidungsfreudigen Ehemannern gelesen und gehort, da? fur Frauen, die Migrane haben, die Welt untergehen kann; sie haben dafur nur ein mitleidiges Lacheln. Die Migrane einer Frau ist der Untergang der mannlichen Beherrschung.

Bornemeyer schlo? den Kragen seines Hemdes, schlang die Krawatte um, fuhr in seinen Rock und rannte aus dem Zimmer. Handeln! Die Migrane aufhalten, ehe sie Welten zerstort! Mit langen Schritten raste er die Treppe hinab und stolperte in die Halle, fa?te den ersten Geschaftsfuhrer, der gerade in sein Buro gehen wollte, an den Rockscho?en und zog ihn zu sich heran.

«Ein Mittel gegen Migrane!«schrie er.»Schnell! Die Signora hat Schmerzen!«

Der Geschaftsfuhrer war zunachst erstarrt. Ehe er etwas antworten konnte, erhob sich ein alterer Herr aus einem der Foyersessel und kam auf Ferro zu.

«Mein Herr, ich horte soeben Ihren Ruf nach einem Migranemittel. Ich bin Arzt. Dr. Bergner. Wenn ich Ihnen meine Hilfe anbieten darf. Ich werde gerne nach der Dame sehen.«

«Tun Sie es! Schnell! Helfen Sie ihr.«

Bornemeyer raste wieder die Treppen hinauf. Der Arzt folgte ihm. Er ging schnell in ein anderes Zimmer, kam dann mit einer Tasche zuruck und betrat darauf das Zimmer, das ihm Bornemeyer zeigte. Er selbst blieb auf dem Flur stehen, verwunschte sich, da? er keine Zigaretten dabei hatte, denn er hatte jetzt gerne geraucht, und rannte im Gang unruhig hin und her.

Der Arzt kam schneller aus dem bizonalen Zimmer, als es Ferro erwartet hatte. Bornemeyer sturzte auf ihn zu.

«Was hat sie?«fragte er atemlos.

«Die Dame hat einen schweren seelischen Schock erlitten. «Der Arzt schuttelte den Kopf. Er sah Ferro kritisch an.»Hatten Sie Streit?«

«Im Gegenteil.«

«Die Dame braucht unbedingte Ruhe! Zwei Tage Bettruhe sind das mindeste.«

Ferro-Bornemeyer hatte das Gefuhl, grun im Gesicht zu werden.

«Zwei Tage!«stammelte er.

«Mindestens! Ich habe ein Rezept auf den Tisch gelegt. Die Dame schlaft jetzt. Ich habe eine Beruhigungsinjektion gemacht. Sie wird bis morgen fest durchschlafen. Gegen Mittag sehe ich noch einmal nach ihr. Guten Abend.«

«Guten Abend.«

Als der Arzt den Flur verlassen hatte, sturzte Bornemeyer in das Zimmer. Er betrat Sabines Wohnteil und blieb vor dem Bett stehen.

Sabine lag auf ihrem Bett und schlief. Der Arzt hatte ihr die Schuhe ausgezogen, das Kleid und die Strumpfe. Sie lachelte im Schlaf wie ein Kind, das von Puppen traumt.

Verzweifelte haben verzweifelte Gedanken. Das steht ihnen zu; sogar im Gesetz ist fur sie der § 51 Abs. 2 eingerichtet worden. Auch

Ferro-Bornemeyer balancierte in diesen Augenblicken auf der Schneide seiner Vernunft. Beim Anblick von Sabines wohlgeformten schlanken Beinen brutete er ein Kabinettstuck verminderter Zurechnungsfahigkeit aus.

Er zog die wie eine Tote schlafende Sabine Sacher wieder an.

Er packte ihre Koffer fertig.

Dann ging er hinunter, beglich Sabines und seine Hotelrechnung, erklarte, da? man aufgrund familiarer Ereignisse den Urlaub abbrechen musse und morgen fruh abfahre. Frau Sacher ebenfalls, er selbst fahre gleich. Als neuen Aufenthaltsort gab er Kopenhagen an.

Die Direktion war untrostlich. Ihr Paradepferd verlie? die Insel wieder. Aber so ist es, je reicher man ist, um so unruhiger wird man.

Ferro-Bornemeyer rannte wieder die Treppen hinauf, in das Zimmer und packte seine eigenen Sachen. Ein Blick auf die Uhr, die Zeit war knapp geworden bis zum letzten Schiff.

Einen Augenblick zogerte er. Der letzte Augenblick vor § 51 Abs. 2, dann zog er Sabine Sacher vom Bett, legte sie auf eine gro?e Reisedecke und rollte sie in die Decke ein. Er hatte sie bei Sabines Gepack gefunden. Wie einen Seesack verschnurte er das Bundel und hangte an den oberen Bindfadenknoten ein gro?es Schild: >Bitte nicht werfen! Wertvolles Porzellan!<

Am Kopf Sabines, er hatte ihn locker verpackt, damit sie nicht erstickte, befestigte er ein zweites Schild: >Hier oben! Aufrecht stel-len!<

Noch einmal betrachtete er sein Werk, dann rief er den Hausgepacktrager.»Mit Handwagen, bitte«, sagte er ins Telefon.»Ich habe eine wertvolle Vase mitzunehmen.«

Der Transport zum Hafen gelang vorzuglich. Um 21.15 Uhr fuhr das letzte Schiff nach Emden. Wie ein Museumsdiener sa? Ferro-Bornemeyer vor dem langen Paket und bewachte es. Wenn es beim Rattern der Inselbahn umzufallen drohte, stemmte er sich dagegen und druckte die Rolle wieder aufrecht an die Zugwand. Im Hafen trug er mit einem Gepacktrager selbst die wertvolle >Vase< aufs Schiff und stellte sie sicher zwischen einigen Koffern in eine Ecke.

So schaffte man einst Cleopatra zu Caesar, eingehullt in einen Teppich, dachte Ferro zur eigenen Beruhigung. Was Caesar konnte, kann auch Bornemeyer, wenn Manner lieben, andern sich Zeiten nie!

Er hatte Gluck und bekam noch eine Kabine. Mit dem Steward trug er seine >Vase< in den engen Raum.

«Vorsicht! Langsam!«schrie er.»Nicht fallen lassen!«

In der Kabine legte er das lange Paket aufs Bett und gab dem Steward funf Mark Trinkgeld. Dann sa? er vor der Deckenrolle, offnete ein wenig den Kopfteil, so da? Sabines Mund frei lag. Ein schoner Mund mit leicht geoffneten Lippen. Wenn sie durch das Schaukeln des Schiffes blo? nicht aufwacht, dachte er. Mein Gott, wenn sie die Augen aufschlagt und zu schreien beginnt. Ich sturze mich ins Meer.

Die Motoren stampften, die freie See war erreicht. Borkum lag hinter ihnen. Er spurte es am Schaukeln des Schiffes auf den langen Wellen.

Nach einer Weile stummer Betrachtung von Sabines Mund ging er an Deck. Vorher verschlo? er die Kabine und nahm den Schlussel mit.

Mit wehenden Haaren stand er spater an der Reling und sah zuruck auf das Lichterband am Horizont. Borkum versank im Meer. Die Arme des Leuchtturmes griffen in den Nachthimmel und rissen die Wolken aus der Dunkelheit. An der Bordwand rauschte und gischtete das Meer empor.

Wie befreit breitete Bornemeyer seine Arme aus. Dann eilte er zuruck zur Kabine, schlo? von innen ab und begann, Sabine wieder aus der Decke zu wickeln. Er legte sie aufs Bett, deckte sie zu und gab ihr einen Ku?.

Sabine Sacher lachelte noch immer im Schlaf.

Bornemeyer setzte sich in eine Ecke, unter das verhangene Bullauge, und kam sich unendlich glucklich vor.

Er dachte nicht an morgen.

Welcher Mann denkt auch an morgen, wenn er glaubt, die beste Tat seines Lebens vollbracht zu haben?

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