FUNFTES KAPITEL

Das Schicksal ist ein Komodiant. Manchmal spielt es Tragodie, aber sein Herz hangt an der Komodie, denn unser kurzes Leben sollte ein frohliches Spiel sein. Nur so ist es zu ertragen. Wer immer nur das Traurige unseres Daseins sieht, wei? am Ende gar nicht, warum er uberhaupt gelebt hat. Sagte Shakespeare nicht:»Der Mittelpunkt des Lebens ist der Narr?«Geben wir ihm recht, nur so verstehen wir vieles, was sonst unverstandlich ist.

Peter Sacher verlebte in Paris einige sehr unbeschwerte Tage. Von Sabines Misere hatte er gar keine Ahnung. Dr. Portz hatte nicht geschrieben, also schien alles in Ordnung zu sein.

Peters Tageslauf war gesund und primitiv. Man kann auch sagen: primitiv und deshalb gesund. Morgens schlief er bis weit in den Vormittag hinein, fruhstuckte dann, ging in der Sonne spazieren, kaufte Gemuse, Fleisch und anderes E?bares und stellte sich gegen Mittag bei Yvonne ein.

Gemeinsam kochten sie dann das Mittagessen, diskutierten uber neue Arbeiten Yvonnes, fuhren am Nachmittag in die Umgebung von Paris, das herrliche Seinetal hinab, auch einmal nach Versailles, a?en au?erhalb der Stadt zu Abend, fuhren zuruck und gingen brav jeder in sein Bett.

Man kann nicht sagen, da? dies ein durchaus moralischer Lebenslauf ist.

Funf Tage lang geno? Peter Sacher die Vorzuge Yvonnescher Gastfreundlichkeit. Am Abend des funften Tages, als er zuruck in die Rue de Sevres kam, lag ein Brief unter der Tur. Der Stempel zeigte >Nizza<. Ein Absender war nicht angegeben.

Es war ein Brief von Heinz v. Kletow.

Liebes Peterlein!

Wenn Du das Erwachen Coucous uberlebt hast und nicht an dem Zorn, Dich in eine so impertinente Lage versetzt zu sehen, geplatzt bist, ware

es schon, wenn Du mich in Nizza besuchen wurdest. Ich habe hier eine kleine wei?e Villa gemietet und dabei entdeckt, da? die Abende ohne Deine Gegenwart einer gewissen demoralisierenden Note entbehren.

Sollte Coucou sich in Dich verliebt haben und Dich in Paris halten wollen, so setze sie einfach vor die Tur. Das ist eine Geste, die zu ihr gehort, wie zu uns ein Schluck Whisky. Ich erwarte Dich also in Nizza am Bahnhof. Komm mit der Bahn und lasse Deinen Wagen — falls Du ihn mithast — in Paris stehen. Mit einem Wagen kannst Du in Nizza wenig anfangen, denn die Winkel, die wir hier durchstobern, sind nicht mit Autos befahrbar.

Ich bin gespannt auf unser Wiedersehen. La? mich blo? nicht sitzen!

Dein Heinz.

Peter steckte den Brief in die Tasche und fuhr sofort zu Yvonne. Sie sa? noch vor der Staffelei und malte im Licht einiger Scheinwerfer Ecken, Kreise, Winkel und bunte Punkte.

«Mein neues Bild«, sagte sie, ohne sich umzuwenden.»Titel: >Son-nenreigen<.«

Peter warf einen Blick auf die bunt beschmierte Leinwand und setzte sich auf die Couch.

«Immerhin, der Titel ist schon. Mir will nur nicht in den Sinn, wieso geometrische Figuren im Sommer tanzen konnen.«

Yvonne blickte bose zur Seite. Ihre Augen waren dunkel.

«Das sind Kinder!«

«Kinder?«Er betrachtete die Winkel und Kreise noch einmal.»Ich danke Gott, da? du nicht meine Frau bist, Yvonne.«

«Oh!«Sie sprang auf und warf die Palette auf den Boden.»Warum, mon Cher?«

«Ich wurde in der standigen Angst leben, unsere Kinder mu?ten so aussehen wie deine Gemalde.«

«Du bist gemein!«

«Ehrlich.«

«Das ist oft dasselbe! Picasso bekam fur solche Bilder 500.000 Francs!«Sie warf den Pinsel, den sie noch in der Hand hielt, auf

den Tisch. Ein gro?er, knallroter Fleck entstand auf der Platte.»500.000 Francs!«wiederholte sie bose.

Peter nickte.»Das ist eines der Ratsel, vor denen auch Philosophen verzweifeln.«

Sie verzog den Mund, es sollte echt wirken, ein Spott fur den Kulturbanausen, bedeckte die Staffelei mit einem Nesseltuch und wandte sich dann zu Peter.

«Was willst du?«fragte sie knapp.»Bist du zuruckgekommen, um mich zu argern?«

«Ich furchte es fast, Yvonne.«

«Frechheit!«

«Nein, Yvonne, es ist eine gro?e Traurigkeit. «Peter Sacher sah zu Boden. Das Mondlicht, das uber die Dacher von Montmartre glitt und durch die gro?e Glaswand fiel, verwandelte den Staub auf den Dielen zu Silberflocken. Yvonne hatte die Scheinwerfer ausgeknipst, nur das Mondlicht erhellte fahl das Atelier.

Yvonne lehnte sich an die Staffelei. Ihr Mund zuckte, aber es war so dunkel, da? Peter es nicht sah.

«Du willst weggehen«, sagte sie leise.

«Ich mu? morgen fruh Paris verlassen.«

«Fur immer verlassen? Mich verlassen.«

«Nicht dich. Paris!«

«Das ist doch dasselbe.«

«Nein. Ich verlasse eine Stadt. Aber ich lasse mein Herz bei dir zuruck.«

«Wie du lugen kannst.«

«Yvonne!«

Er sprang auf, aber die Hand Yvonnes, die aus der Dunkelheit abwehrend ihm entgegenfuhr, hielt ihn zuruck.

«Warum lugt ihr Manner alle, wenn ihr weggeht? Warum 'abt ihr nicht den Mut, zu sagen: Es geht nicht mehr! Ich gehe zu meiner Frau zuruck, oder ich 'abe dich satt, oder du langweilst mich, oder ich 'abe eine andere Geliebte. Es gibt doch so viele Grunde und Worte, die einer Frau so weh tun, da? man aus Trotz sagt: Nun geh doch schon! Ich 'abe dich auch uber! Man geht am besten auseinander, wenn man sich abtotet. Eine Luge ist so billig, und es ist schrecklich fur eine Frau, wenn sie die Luge glaubt.«

«Du wei?t, was diese funf Tage fur mich bedeutet haben«, sagte Peter Sacher rauh. Die Worte Yvonnes brannten in seiner Seele.

«Warum bist du nicht einfach gefahren?«Yvonne blieb im Schatten ihrer Staffelei. Ihr Gesicht war leer.»Einfach verschwinden, das ist doch so bequem. Wie viele Manner, die Paris genossen 'aben, sind plotzlich verschwunden? Wenn ich dann in die Rue de Sevres gekommen ware, um zu sehen, ob du vielleicht krank geworden bist, hatte mir der Concierge gesagt: >Monsieur Pierre? Der ist weg! Ja, schon seit drei Tagen. Wohin? Nach Deutschland naturliche Dann 'atte ich vielleicht geweint, wie viele Madchen in Paris, eine ganze Nacht 'indurch, vielleicht auch nur eine Stunde, und wenn dann der Morgen wieder uber die Dacher von Montmartre geglitten ware und die Kuppel der Sacre-Creur hatte in der Morgensonne geleuchtet, 'atte ich gesagt: C'est la vie! Und ich 'atte dich vergessen, wie so viele Madchen in Paris einen Mann vergessen mussen, der am Morgen gegangen ist und nicht mehr wiederkommt. Ich 'atte nur eine Erinnerung be'alten, ganz schwach. Aber es ware ein Schnitt gewesen, der alles ablost. Jetzt ist es ein Abschied geworden. Wei?t du, wie schrecklich ein Abschied ist? Man sieht immer wieder die Augen beim letzten Ku?, von dem man wei?, da? er der letzte ist. Man 'ort immer wieder die Worte, die trosten sollen und keinen Trost 'aben, weil sie lugen. Man 'at immer das >andere< in sich und kann es nicht abschutteln. Ein Abschied ist wie ein langsamer Mord.«

Peter Sacher erhob sich von der Couch. Langsam ging er zur Tur. Erst, als er die Klinke schon heruntergedruckt hatte, sah er noch einmal zuruck. Yvonne stand im milchigen Mondlicht. In ihren Augen lag ma?lose Traurigkeit.

«Ich bin mit einem Irrtum nach Paris gefahren, Yvonne«, sagte Peter Sacher leise.»Ich habe geglaubt, man konne sechs Wochen Eheferien absitzen wie der Buchhalter Schmidt sein Buroschlafchen. Es war eine Dummheit. Ein Dichter sagte einmal: >Es gibt keine Er-holung von der Moral.< Ebensowenig gibt es eine Erholung von der Ehe. Es gibt nur ein Wegfahren fur immer, oder ein Bleiben. Liebe kennt keine Kompromisse, die von Dauer sind. Sie will bedingungslos sein.«

«Warum wirst du sentimental, wenn du die Klinke der Tur schon in der 'and 'ast?«Yvonnes Kopf sank nieder.»Wir Frauen vom Montmartre 'aben die Resignation gelernt. Wir brauchen keine Erklarungen. Wir

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