«Wo im Leben ist Logik? Und bei verliebten Menschen schaltet der Verstand uberhaupt aus. Ubrigens ist heute abend ein Maskenfest im Kurhaus. Um ganz logisch zu denken: Ich vermute, da? der Genueser unser Bienchen zu diesem Fest schleppen wird.«

«Wir gehen auch hin!«schrie Peter.»Ich werde mich als Othello maskieren.«

«Hochstens als Bettler. Bei unseren Finanzen!«

Wenn einem das Wasser bis zum Halse steht, nicht nur geldlich, sondern auch seelisch, ist man zu ungeheuren Energieleistungen fahig. Peter Sacher unternahm einen Vorsto? zur Nationalbank. Nachdem sie als Mittagessen wieder Thunfisch verspeist hatten, weil er das billigste Nahrungsmittel war, das Kletow auftreiben konnte, au?erdem sei Eiwei?kost besonders gesund, sagte er, lie? sich Peter beim Direktor der Bank melden, legte seinen Pa? vor, seinen letzten Kontoauszug der Dusseldorfer Bank und bat um einen Vorschu? auf das zu erwartende Geld.

Die Direktion der franzosischen Nationalbank hat Erfahrung mit zeitweiligen Geldknappheiten, vor allem in Nizza. Es ging alles schneller, als es Peter Sacher erwartet hatte. Wahrend er noch mit dem Direktor sprach und sich uber moderne Bauten im Rheinland unterhielt, rief im Nebenzimmer eine Sekretarin in Dusseldorf an. Nach zehn Minuten kam sie ins Chefzimmer, legte einen Zettel auf den Tisch des Direktors und wartete. Der Direktor blickte kurz auf die hingelegte Notiz und nickte Peter Sacher freundlich zu.

«Es ist alles in Ordnung, Monsieur Sacher. Sie konnen uber jeden Betrag verfugen. Wieviel durfen wir Ihnen auszahlen?«

«5.000 Francs, wenn's moglich ist.«

«Selbstverstandlich. «Er wandte den Kopf zu der wartenden Sekretarin.»Lassen Sie der Kasse eine Anweisung geben und bringen Sie das Geld hierher.«

Wahrend Heinz v. Kletow vor der Bank hin und her ging, unterhielt sich Peter Sacher noch eine halbe Stunde sehr angeregt mit dem Direktor. Dann kam er aus dem gro?en Gebaude. Heinz sturzte auf ihn zu.

«Geklappt?«

«500 Francs!«Peter machte ein saures Gesicht.»Man ist hier ungeheuer vorsichtig!«

«Immerhin etwas! Wir teilen uns den Betrag — «

«Ich gebe dir 200 Francs und keinen Sou mehr!«antwortete Peter.

«Das reicht gerade furs Handewaschen auf der Kurhaustoilette!«

Peter griff in die Tasche. Er hatte im Treppenhaus der Bank 500 Francs von seinen 5.000 abgezahlt und in die Rocktasche gesteckt. Er nahm das Geld jetzt heraus und zahlte 200 Francs ab.»Willst du also?«

«Fur den Durstenden ist ein Schwei?tropfchen schon eine Labung.«

Heinz v. Kletow steckte das Geld ein. Dann gingen sie zuruck uber die Promenade zu ihrer Zeltburg. Seitlich des Hotels, in dem Sabine wohnte, blieb Peter Sacher wieder stehen und starrte auf das Portal. Heinz zerrte an seinem Arm.

«Komm!«

«Man sollte sie herausholen!«

«Morgen!«

«Was mag sie jetzt machen?«

«Sie nimmt vielleicht italienischen Sprachunterricht.«

Wutend rannte Peter weiter.

Hinter der Gardine stand Sabine am Fenster und sah hinunter auf die Stra?e. Sie hatte Peter und Heinz gesehen, zufallig, weil sie das Fenster offnen wollte. Sie sah, wie Peter stehenblieb und zuruckblickte. Er guckt wieder einem Madchen nach, dachte Sabine und fuhlte einen Stich im Herzen. Er benimmt sich wie ein Jungling, wenn er allein ist. Zu Hause war er immer mude und sagte:»Huh, war der Tag anstrengend. Ich falle gleich ins Bett!«Hier fiel er nicht ins Bett, sondern in die Arme der Madchen. Er benahm sich, gelinde gesagt, ekelhaft.

Wutend wandte sie sich ab und rief uber das Haustelefon Ferro an.

Bornemeyer sa? in seinem Zimmer und schrieb an seiner Rechtfertigung. Es war ein langer Schriftsatz, den er Dr. Portz einreichen wollte. Es war eine Beichte, vollgestopft mit Komplexen und seelischen Enthullungen. Wer die Rechtfertigung Bornemeyers las, mu?te ihm verzeihen, ihm uber den Kopf streicheln und sagen: Nun weine nicht, armer Junge.

«Wann fangt der Maskenball an?«rief Sabine ihm durchs Telefon zu. Ferro seufzte tief. Er war bereit gewesen, sein Spiel aufzugeben. Nun gingen die Verstrickungen weiter.

«Um 22 Uhr.«

«Haben Sie einen Tisch bestellt?«

«Alles, Madonna. «Es tat ihm jetzt fast weh, so zu sprechen. Der kleine, arme, schuchterne, blasse Bornemeyer war mit dem Schriftsatz wiedergeboren worden.

«Wir werden tanzen, bis uns die Fu?e brennen! Ich freue mich so, Ermano.«

«Ja, Madonna.«

Er legte den Horer auf und zerwuhlte verzweifelt seine Haare. Er kam sich wie in einen Teufelskreis eingeschlossen vor. Es gab kein Entrinnen. Nicht auszudenken, was geschehen wurde, wenn Sabine Sacher erfuhr, da? der Genueser Ferro ein kleiner Assessor aus Dusseldorf war, der zur Bewachung ihrer Moral an sie herangefuhrt worden war. Es gab uberhaupt keine Bilder, die nur annahernd die Folgen schildern konnten.

Er schrieb mit zitternden Fingern seine Rechtfertigung zu Ende. Der letzte Satz war ein Aufschrei:»Helfen Sie, Herr Dr. Portz! Ich wei?, ich habe mich schuldig gemacht, aber der Aufgabe, die Sie mir anvertraut haben, war ich einfach nicht gewachsen. Was soll ich tun?«

Sabine Sacher stand wieder am Fenster und sah hinaus auf die Promenade.

Heinz und Peter waren weitergegangen. Wenn man nur wu?te, wo sie wohnen, grubelte Sabine. Und ob sie allein wohnen?

Es war ein ha?licher Gedanke, aber Sabine nahrte ihn, weil er weh tat und sie dadurch spurte, wie lieb sie Peter hatte.

SECHSTES KAPITEL

Die Nacht lag fahl uber dem Meer, als vor dem Kurhaus die blitzenden Wagen des Reichtums vorfuhren und Herren im Frack oder bizarren Kostumen und Damen in wundervollen, aus wenig Stoffen bestehenden Fantasiemaskeraden sich den Blicken der die Auffahrt saumenden Neugierigen freigaben. Fur eine halbe Stunde wehte mit den su?lichen Parfums auch ein Hauch der ganz gro?en Welt uber die Gaffenden. Die Ansammlung von Brillanten war atemberaubend.

Peter und Heinz kamen zu Fu?. Sie hatten das Geld fur eine Taxe gespart, als sie erfuhren, da? der Tarif fur diese Nacht um das Dreifache erhoht worden war.

Peter Sacher hatte sich bei einem Kostumverleiher das Gewand eines Seeraubers geliehen. Da es nur aus zusammengesetzten Lumpen bestand, war es billig gewesen. Das teuerste war die Gesichtsmaske. Sie mu?te gro? sein, um keinen Anhaltspunkt zu geben. Heinz v. Kletow nahm ein Spanierkostum. Es stand ihm blendend und kostete 50 Francs.

So ausstaffiert gingen sie die Treppen zum Kursaal hinauf, losten eine Karte, 20 Francs pro Person, erwarben eine Tischkarte mit Sektzwang, 100 Francs pro Person, und betraten den Saal als arme, aber um so besser aussehende Manner.

Ein Gewimmel von Masken und Kostumen empfing sie. Musik schlug ihnen wie eine hei?e Sturmwelle entgegen. Die ersten Frauen himmelten sie an. Heinz v. Kletow schob seinen Spanierhut in den Nacken.»Wenn ich daruber nachdenke, da? ich noch 30 Francs in der Tasche habe, konnte ich weinen«, flusterte er Peter ins Ohr.»Man mu?te 10.000 haben. Die Frauen hier sind es wert!«

In diesem Augenblick ging eine herrliche Frau an ihnen vorbei. Sie trug eine silberne Maske, die ihr ganzes Gesicht bedeckte, das Kostum einer Zigeunerin und schwarze Haare, in denen Mohnbluten wie riesige Blutstropfen leuchteten.

Ganz kurz sah sie zu den beiden Mannern hinuber und wandte sich dann ab.

Heinz v. Kletow schnaufte durch die Nase.

«Hast du das gesehen?«fragte er leise.

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