«Sie hat mich angesehen!«nickte Peter Sacher. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, um die silberne Maske zu verfolgen.

«Dich? Du Affe! Mich! Fur den Rest des Abends mu?t du mich jetzt entschuldigen!«

Kletow wollte davonrennen, aber Peter hielt ihn fest.

«Diese Zigeunerin ist fur mich«, sagte er bestimmt.»Ich uberlasse dir alle hundert Frauen, die hier noch einen Mann suchen. Nur die Zigeunerin nicht!«

«Wie gro?zugig! Gerade die Zigeunerin ist.«

«Ich gebe dir 50 Francs!«

Heinz v. Kletow zuckte hoch.»Bin ich ein Altwarenhandler?«

«75 Francs! Mach schnell, sonst ist sie weg!«

«100 Francs!«

«Hier!«Peter Sacher druckte Heinz den Geldschein in die Hand.»Madchenhandler! Und ich will dich bis morgen fruh nicht mehr sehen!«

Sie gingen in verschiedenen Richtungen auseinander. Peter Sacher rannte durch das Gewuhl der herrlichen Zigeunerin nach, Heinz v. Kletow ging auf die Suche nach seinem Typ.

Vor dem Ausgang in den Park gelang es Peter, in ihre Nahe zu kommen. Er umkreiste sie, bis er vor ihr stand und ihr den Weg versperrte.

«Seerauber verlangen Bruckenzoll!«sagte er auf deutsch. Vielleicht versteht sie's, dachte er. Wenn nicht, wei? sie auch so, was ich will.

Die Zigeunerin zuckte zusammen, als sei sie wirklich uberfallen worden. Sie druckte die Maske naher an das schmale Gesicht und lehnte sich an eine der Saulen.

Er erkennt mich nicht, dachte sie. So also spricht er fremde Frauen an. Wild, uberwaltigend, voll jungenhaftem Ubermut.

«Was verlangen Sie?«fragte sie.

Peter Sacher war es, als habe man ihn in ein Becken mit Eiswasser getaucht. Sabine, durchfuhr es ihn. Ihre Stimme, die Betonung der Worte, die Haltung des Kopfes, und sie erkennt mich nicht. So also la?t sie sich von fremden Mannern ansprechen: keck, ohne Zogern, mit einer Frage, was es kostet!

Er betrachtete sie genauer. Wie jung sie aussah! Und wie herrlich schon und verfuhrerisch. Warum hatte sie sich fruher fur ihn nie so angezogen? Warum war sie immer das Hausmutterchen, das unter der Lampe sa? und stopfte? Oder Kreuzwortratsel loste. Schimpfwort mit vier Buchstaben: doof. Das hatte ihn immer ma?los aufgeregt. Da? es nur eine Flucht vor ihm war, hatte er nie begriffen. Die Flucht aus der Eintonigkeit in die etwas anregendere Welt des Geistesspieles.

«Sie sprechen deutsch?«sagte er stockend.»Wie herrlich. Finden Sie nicht auch, da? eigentlich Seerauber und Zigeunerin gut zusammenpassen?«

«Das ist Ansichtssache.«

«Sie konnten mir die Zukunft aus der Hand lesen. «Er streckte sie ihr hin. Sabine nahm seine Hand. Sie bezwang sich, nicht zu

zittern.

«Ich sehe Schlimmes«, sagte sie mit letzter Keckheit.»In Ihrem Leben wird es bald eine Explosion geben.«

«Ich explodiere vor Ihnen, silberne Maske! Ich bin schon jetzt ein Vulkan!«

Sabine lie? seine Hand fallen. Schuft, dachte sie. So also sprichst du mit fremden Frauen! Ein Vulkan bist du, und zu Hause gahnst du, suchst deine Filzpantoffeln und schlafst beim Lesen ein! Wie gemein du bist, wie unbeschreiblich gemein!

Sie hakte sich bei Peter unter und rieb ihr Gesicht an seiner Schulter.

«Vulkane kann man loschen! Verrate mir, womit!«

Peter nahm es den Atem. Oh, dachte er, Sabine! So wirfst du dich also fremden Mannern an den Hals! Locken kannst du, girren wie eine Taube, Versprechen geben, vor denen Eisberge schmelzen, und zu Hause laufst du ab 8 Uhr abends im Morgenrock herum, blatterst in der Lesemappe und amusierst dich damit, da? der Hund bellt, wenn du mit deinen Zehen wackelst! Ich bin fur dich Luft! Das einzige, was du sagst, wenn du schlafen gehst, ist: Komm nicht zu spat! Morgens kannst du dann wieder nicht aus dem Bett! Nur Vorwurfe, nur Sticheleien, und hier fragst du einen fremden Mann: Womit kann ich Ihren Vulkan loschen? Und sofort duzen tust du ihn auch noch! Oh, Sabine!

Er zog sie mit sich fort, zu einem Blumenstand. Dort suchte er eine dicke, rote Rose aus und steckte sie ihr ins Haar.

«Der allerschonsten Frau«, sagte er dazu. Er meinte es ehrlich, und doch wollte er damit sehen, wie sich Sabine benehmen wurde.»Ware sie aus Gold, sie wurde trotzdem nie deiner Schonheit gleichen.«

Sabine lachelte gequalt. Sieh einmal an, dachte sie. So lieb und charmant kannst du zu anderen Frauen sprechen! In den letzten funf Jahren hie? es immer: Ach, ich bin abgespannt und mude. Geh allein ins Kino. La? mich in Ruhe! Was du nur immer hast mit deinem: Das Geschaft fri?t dich auf. Ich arbeite ja, damit wir was zu essen haben! So hast du funf Jahre lang auf meine Bitten geantwortet!

Dann hattest du Magenschmerzen oder Fu?schmerzen oder geschaftliche Besprechungen. Aber nie hast du mich so fest in den Arm genommen und getanzt. Seit vier Jahren nicht mehr! Du bist ja so gemein, Peter!

«Eine Zigeunerin kann zaubern«, sagte sie leise.»Auch ein Seerauberherz kann sie verzaubern und stehlen! Du wei?t doch: Zigeunerinnen stehlen.«

Peter Sacher atmete hastig. Wie sie rangeht, durchfuhr es ihn gluhend. Als wenn sie die ganzen Jahre hindurch nur mit Mannern gespielt hatte! Zu Hause hatte sie immer Migrane, wenn ich sie zu einem wichtigen Herrenabend mitnehmen wollte. Und wenn ich dann todmude nach Hause kam, schimpfte sie noch und nannte mich einen rucksichtslosen Burschen.

«Tanzen wir!«schrie er, um seinen inneren Druck loszuwerden.»Da, ein Tango! Das ist der Tanz verliebter Seerauber und stehlender Zigeunerinnen!«

Sie tanzten. Peter gab sich alle Muhe, diesen Tango durchzustehen. Er mochte keinen Tango. Aber er zahlte innerlich alle Takte mit, rekapitulierte die Schritte und Figuren und brachte es fertig, Sabine fehlerfrei durch den Tanz zu bringen. Sie war aber auch eine herrliche Partnerin, federleicht, schwebend, sich im Takte wiegend, mit einem Siegeslacheln auf den Lippen. Einfach betorend.

Wie gut er tanzen kann, wutete Sabine dabei innerlich. Nie hat er einen Tango mit mir getanzt. Ich kann das nicht, hatte er immer gesagt. Gerade Tango! Da komme ich aus dem Rhythmus. Davon war keine Spur mehr, er tanzte wie ein Turniermeister. Er tanzte blendend. Dieser Wolf im Schafspelz!

Beide schwiegen wahrend des Tangos. Ihre Gedanken fra?en die Worte auf. Erst am Ende des Tanzes sagte Sabine heiser:

«Du bist so ernst, Seerauber.«

Peter zuckte aus seinen Gedanken hoch. Er lachelte gequalt.»Vor soviel Schonheit in meinen Armen versagt die Stimme.«

Deshalb bist du zu Hause so einsilbig, was, dachte sie giftig. Vor soviel Schonheit! Oh, du Lump!

Sie legte den Kopf an seine Wange und hauchte ihm einen Ku? auf die Maske. So, dachte sie. Mal sehen, was er jetzt tut!

Peter Sacher erstarrte, als Sabine ihn ku?te. Einen fremden Mann ku?t sie einfach. Sie wirft sich ihm an den Hals, nach zehn Minuten Bekanntschaft. Wie mag das erst mit dem langen Genueser sein?! Wie kann eine Frau, meine Frau, so schamlos sein?!

Er umarmte sie sturmisch, druckte sie an sich und ku?te sie wild, fast verzweifelt, auf die herrlichen Lippen. Sie straubte sich nicht, sie trank den gluhenden Ku? wie eine Ertrinkende, sie umklammerte seinen Rucken, druckte sich an ihn und war fur wenige Sekunden glucklich. Bis die Erkenntnis kam: Er ku?t ja eine Fremde! Er wei? ja nicht, da? ich. Da wurde sie steif und ri? sich von ihm los.

«Noch nicht so wild«, sagte sie schweratmend.»Die Nacht ist noch lang!«

Peter Sacher glaubte zu verbrennen. Einen fremden Mann hat sie wiedergeku?t. Und wie sie kussen kann! Wie! Er meinte, sich nicht erinnern zu konnen, jemals so von Sabine umarmt worden zu sein. So wild, so vollig hingegeben, so hemmungslos, wie er es jetzt bosartig nannte.

Das koste ich aus, dachte er grimmig. Ich will sehen, wie weit sie gehen kann! Ich werde sie verfuhren. Und wenn sie in meinem Zimmer steht, werde ich mir die Maske herunterrei?en und ihr entgegenschreien: So, ich bin

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