wunschten dies oder jenes, eine Medizin, eine Farbe, einen Rat auch nur, und das Mischen und Kochen, Wiegen und Schutteln hinter der Holzwand des kleinen Laboratoriums war so gewohnt wie die fast sich immer wiederholenden Bitten der Kaufer.

Am Abend, nach dem Abendessen, das wieder gemeinsam eingenommen wurde und bei dem Otto Heinrich die Jungfer Trudel keines Blickes wurdigte, sehr zur Freude des Vaters, dessen Gedanken sich aber schon damit beschaftigten, zu ergrunden, warum der neue Geselle so ohne Zeichen eines Interesses fur seine Tochter sei, gingen Bendler und Kummer noch ein wenig im Garten des Hauses spazieren.

Der Garten, der sich hinter dem Gebaude hinzog und an den Garten des Burgermeisters stie?, beherbergte in einer Ecke eine holzerne Laube mit einem in den Boden gerammten Holztisch und einer Rundbank, wahrend eine Ollampe von der Decke hing, deren Schirm schon arg verblichen war.

In diese Laube traten die Freunde, entzundeten sich eine Pfeife mit einem Tabak, den Bendler in seiner Dose anbot, und lustig qualmend sahen sie in den Abend und lauschten auf ein Spinett, das aus dem Fenster des Burgermeisterhauses tonte.

«Das ist die Marie«, erklarte Bendler und zeigte mit dem Pfeifenstiel in Richtung der schwirrenden Tone.»Eine Freundin der Jungfer Trudel. Netter Kerl, schwarzlockig, spruhlebendig — ein Springbrunnen von einem Madchen. Was sie uber alles liebt, ist Mozart. >Ein Madchen oder Weibchen wunscht Papageno sich… < kann sie stundenlang spielen. «Bendler lachte.»Aber als ich ihr anbot, diesen Wunsch en person zu erfullen, schalt sie mich machtig aus!«

«Kann die Jungfer Trudel auch spielen?«fragte Kummer sinnend.

«Ich glaube. Gehort habe ich es nicht. Im Hause ist ja kein Instrument, weil der Alte jegliche Art von Kunst von sich fernhalten will. Es kann aber sein, da? sie bei Marie spielt oder ubt.«

«Es ware schon, wenn sie es konnte. «Kummer traumte ein wenig vor sich hin und spielte mit der Pfeife.»Man konnte dazu singen… das gabe einen guten Klang. Abends, nach der Arbeit, wenn drau?en im Sommer die Grillen das letzte Lied summen, wurden dann die Tone des Liedes mit dem Abendwind rauschen.«

«Ihn hat's gepackt!«schrie der Riese auf.»Heilige Einfalt — der Kerl ist verliebt! Habe ich dich nicht gewarnt?! Seit Jahr und Tag geht es so. Ein Geselle kommt, sieht die Jungfer Trudel, schmachtet in der Laube und sitzt am nachsten Tag vor der Tur! Kreuzsakra-mentnochmal — konnt ihr Jammerlappen euer Herz nicht ein wenig in die Hand nehmen! Soll es mit dir genauso gehen? Sieben Gesellen zogen binnen einem Jahr hier ein und zogen umgehend auch wieder hinaus, alle wegen Jungfer Trudel! Und jetzt fangt der Kerl auch an. Lieder am Abend! Spinett. Grillengesang, sommerlicher Abendwind! Mein Gott — la? ihn nuchtern werden!«

Otto Heinrich Kummer schuttelte lachelnd den Kopf. Er legte dem Freunde den rechten Arm um die Schulter und blickte nachdenklich empor an das Dach der Hutte. Tief atmete er auf.

«Es ist nicht Liebe, Bendler, alter Brummbar. Es ist ein bi?chen Sehnsucht nach dem Leben, das ich nur in der Fantasie kenne. Ein wenig Traumen nach der Seele, die man so selten findet. Wie konnte ich lieben? Ich, ein Mensch, der nicht wei?, warum er lebt?! Konnte ich lieben, so konnte ich auch das Leben bejahen — aber weil ich das Leben, so, wie es ist, verachte, kann ich auch nicht lieben. «Und leise sagte er:». auch wenn ich es mochte.«

Willi Bendler blickte ihn von der Seite an.

«Hast du einmal etwas von Maltitz gehort?«fragte er.

«Maltitz? Nein.«

«Es ist ein revolutionarer Dichter. Gotthilf August Freiherr von Maltitz, ein feuriger Geist, der kein Pardon mit der Faule unserer Zeit kennt. Er hat einen Band politischer Gedichte geschrieben. Pfefferkorner nennt er ihn. Und sie sind gepfeffert und gesalzen, da? den Burgern und Speichelleckern die Augen tranen!«

«Ich habe nie von ihm gehort«, sagte nachdenklich Otto Heinrich.

«Ein Feuergeist, wie ich schon sagte. Man sollte seine Gedichte in aller Munde bringen!«

«Man mu?te sie erst lesen«, antwortete Kummer vorsichtig.

«Sollst du, sollst du — ich habe zwei Bucher bestellt. Sie sollen mit der nachsten Post aus Dresden kommen. Selbst in Berlin erregt dieser Maltitz die Gemuter mit seinen spottischen Liedern, ein zweiter Posa, der das Ideal des Staates aufruft!«

«Es gibt so viele Worte«, sagte Kummer sinnend.»Was die Zukunft braucht, sind Taten!«

«Am Anfang stand das Wort«, sagte Bendler laut.

«Das Wort. Wer horte auf Schiller? Auf Kleist? Einen Schubart lie? man auf der Festung verfaulen, einen Korner schickte man in die Schlacht, wo er zur rechten Zeit fiel, einen Grabbe verschreit man als irr, und einem Fichte hort man zu wie einem guten Advokaten. Das Volk saugt ihre Worte auf, ja, es ware bereit, die Fahne der Freiheit selbst in die Hand zu nehmen und die Draperien von uberlebten Etiketten zu rei?en. Aber sie kommen nicht dazu. Jene, die kraft ihres Namens oder ihres Beutels die Faden der Volker ziehen, lassen sich nicht bestimmen durch Worte und Gesange — sie rechnen nur, sie haben das Hauptbuch der Volker aufgeschlagen und addieren und subtrahieren mit der Nuchternheit eines Herrn Knackfu?! Glaubst du, du konntest ihn mit deinem Maltitz bekehren?«

«Ich sa?e morgen vor der Tur!«

Kummer lachelte.»Was nutzt dir da das feurigste Gedicht?«

Der Riese Bendler schien es einzusehen.

Sinnend starrte er vor sich auf den Sand, trommelte mit dem Pfeifenstiel auf seinen breiten Fingernageln und hatte die Unterlippe nach vorn geschoben, da? sie wie eine Schaukel wirkte.

«So geht das Leben aber nicht weiter«, murmelte er.»Die Franzosische Revolution fegte die Klassen der Gesellschaft hinweg. Napoleon war ein Ruckfall, der den deutschen Geist endlich erweckte — beide starben sie an ihrer inneren Erweichung. Aber was blieb von allem in Deutschland zuruck? Lebt der Geist Rousseaus noch? Wo ist die Freiheit des Individuums? — Ich konnte mich ubergeben, sehe ich mir den deutschen Burger an!«

«Wir andern es nicht«, antwortete Kummer und erhob sich.»Das

Morsche braucht seine Zeit, ehe es zusammensturzt. Vielleicht Jahrzehnte noch, vielleicht auch Jahrhunderte — das Burgertum, die sogenannte privilegierte Klasse stirbt aus, und was sich erheben wird, ist das Recht des Menschen auf Individualitat und Gleichheit vor dem Rhythmus des Lebens. Was wir konnen, ist, unser Leben heute schon zu leben zum Trotz der stehenden hohlkopfigen Ordnung der premiere classe!«

Plotzlich drehte sich Kummer um, fegte mit der Hand durch die Luft und lachte dem sinnenden Bendler ins Gesicht.

«Wir sind zwei dumme, lacherliche Traumer, Bendler! Statt den Abend zu genie?en, machen wir uns unnutze Gedanken uber die Verbesserung einer an sich wertlosen Welt. Komm, Freund — la? uns an der Hecke lieber dem Spiel der entzuckenden Marie lauschen. «Er hob leicht die Hand, zeigte zum Nebenhaus und legte den Kopf lauschend zur Seite.»Horst du — ein Rondo von Haydn. Kunst, lieber Freund, ist doch der einzige Trost in dieser jammervollen Welt.«

«Und gerade die Kunstler sterben massenweise an Hunger.«, vollendete Bendler finster den Satz.

Dann traten sie aus der Laube, gingen zur abgrenzenden Hecke und horten still dem Spiel des Spinetts zu, bis die Kuhle der Nacht sie zwang, ins Haus zuruckzugehen.

Traumlos schlief Otto Heinrich Kummer diese zweite Nacht in seiner neuen Heimat.

Ein leichter Regen, der in dieser Nacht fiel, trommelte leise an das Fenster der Luke, rauschte in der Rinne und schuf in dem kleinen Raum unter dem Dach die behagliche Warme des Geborgenseins.

Die Wochen gingen mit angestrengter Arbeit in Apotheke und Laboratorium dahin.

Herr Knackfu? zeigte sich Kummer gegenuber von einer zwar strengen, aber keineswegs unangenehmen oder ungerechten Seite, wie er sie manchmal bei den anderen Gesellen, vor allem bei Bendler, aufsteckte, sondern behandelte den Jungling mit einer sonst fremden

Hoflichkeit. Und doch schien es Kummer, als sei diese ganze Behandlung nur ein Abtasten, ein Abwarten, eine Stille vor einem gewaltigen Sturm, ein Spionieren nach der schwachen Stelle, wo Knackfu? ihn todlich treffen konnte.

Da er dieses Gefuhl nie los wurde, lag er beim Eintritt des Chefs und bei den gemeinsamen Mahlzeiten standig wie ein Raubtier auf der Lauer und vermied alles, was ihm eine Blo?e geben konnte. Das Gefuhl, in einer neuen Heimat zu sein, wich deshalb auch sehr bald dem zahen Gedanken eines unterirdischen Kampfes, eines Postenstehens, das ermudet und hart im Herzen macht.

Mit Jungfer Trudel hatte er in den vergangenen Wochen nicht wieder gesprochen, sie hochstens lassig

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