einmal einen Menschen, der von sich sagen kann: Seht, ich bin so weit, da? ich mir Erde, Himmel und selbst Gott unterordnen kann — so wird er an der eigenen Gro?e ersticken und wie der Turm zu Babel durch das eigene Gewicht zusammensturzen!«

Er schwieg und blickte sinnend in das halbgeleerte Glas.

«Ich habe das in alle Lande laut hinausgerufen. Glauben Sie, lieber Kummer, die Menschen haben mich verstanden? Sie sehen nur die gefullte Speisekammer und schreien Hurra und Vivat, wenn die goldene Staatskalesche durch die Stra?en rattert. Mich nennen sie«-er lachelte schwach —»einen Dilettanten! Das ist die bequemste Art, einen Menschen zu ignorieren. Dilettantismus ist etwas Schreckliches! Wenn Sie nur einmal einen dramatischen Verein oder eine Dichterlesung der Literaturfreunde miterlebt haben, wunschen Sie sich Dantes Inferno in diesem Kreise der Aftertalente. - In diese Gruppe hat mich die moderne Literatur kategorisiert. Sie glaubt mich damit totzuschweigen. Aber die Pfefferkorner sind in ihren monarchensu?en Teig gestreut, und Pfeffer neben Zucker ist kein gutes Konglomerat.«

Otto Heinrich Kummer hatte bisher, ohne Maltitz zu unterbrechen, mit fiebernden Augen zugehort. Jetzt, in der kleinen Atempause, rief er laut:

«Und ist keiner da, der zu Ihnen steht, Herr von Maltitz?!«

«Wenige, lieber Kummer. Man scheut sich, mit mir in den Bann zu treten. Man achtet die gesellschaftliche Hohlheit hoher als die Freiheit des Geistes von morgen!«

«So lassen Sie mich einer Ihrer Freunde sein«, rief der junge Apotheker mit leuchtendem Blick.»Ich habe nichts zu verlieren, nur zu gewinnen! Ich spure es, da? Sie genauso einsam sind wie ich. Da? Sie allein stehen, weil Sie sich nicht beugen konnen vor dem, was Ihr Geist nicht anerkennt. - Nehmen Sie meine Hand«- er streckte ihm die Rechte hin —,»Sie sollen in mir einen Genossen haben, dessen gluhende Liebe zur Freiheit und Kunst nie erlischt.«

Die schwarmerische Rede des Junglings entlockte dem Dichter ein gutiges Lacheln. Aber mit einer freudigen Bewegung schlug er in die dargebotene Hand ein und druckte sie in aller Herzlichkeit.

«Mein lieber Kummer«, sagte er dann,»es sind nicht die schlechtesten Bunde, die zwischen Uberschwang und Bedacht geschlossen werden. Lassen Sie uns das kleine Fest feiern und unter der Burg eines der Tyrannen mit kraftiger Lunge unseren neuen Kommers singen!«

Mit einem Schwung schob er die Karaffe zur Seite, klopfte mit dem Pfeifenkopf auf die Tischplatte und rief:

«He — Bedienung!«Und als sich der Kopf der Kellnerin hinter der Theke zeigte, lachte er.»Holdes Wesen — fahrt Wein und guten Brand auf!La?t Euch nicht lumpen mit Eurem Keller — heran, wir sind durstig und haben einen sonnigen Tag zu feiern!«

Nachdem der Wein in verstaubten Flaschen aus dem Keller auf den Tisch getragen war, begann eine lustige Becherei, die Maltitz mit schnurrigen Versen und Erzahlungen zu wurzen verstand. Der Abend war unterdessen hereingebrochen, und der Ratskeller fullte sich mit den biederen Augustusburger Burgern, denen die lustige Gruppe in der Ecke auffiel und ein wenig Neid erweckte beim An-blick der bestaubten Flaschen.

So fullte sich der Raum mehr und mehr, dichter Tabaksqualm nebelte bald die weite Sicht ein, bis es schier unmoglich war, die Theke aus der Ecke noch zu erkennen, wahrend die Stimmen lauter und die Bewegungen schwerer wurden, denn der Ratswirt zapfte einen guten, gegorenen Tropfen und einen hollischen Brand.

«Die Burger von Augustusburg mogen leben!«rief Herr von Maltitz plotzlich laut in den Raum hinein. Und als sich alle Kopfe wie an einem Zugband zu ihm umwandten, hob er sein Glas und prostete ihnen zu.

«Beim guten Wein la?t sich's gut leben!«rief eine Stimme aus der Menge, und helles Gelachter flatterte auf.

«Der Wein ist fur jeden!«rief Maltitz zuruck.»Wer mein Freund ist, komme heran und trinke mit uns! Wer aber ein bloder Spie?er ist, der verlasse den Keller!«

Ein Burger will nie ein Spie?er genannt werden, wie es ja uberhaupt wenige Leute gibt, die ihren richtigen Namen zu schatzen wissen. So kamen denn auch etliche Ehrenmanner an die Ecke heran, schoben ihren Stuhl an den Tisch der beiden und griffen ungeniert zum Weine. Selbst der Burgermeister von Augustusburg, der sonst streng auf die Wahrung der Distanz sah, lie? sich die Chance nicht entgehen, einen sonst nur im Traum erahnten Tropfen aus der Flasche zu genie?en, und ruckte keck neben den Herrn von Maltitz, der sich, der Ehre nicht bewu?t, bezecht an ihn lehnte.

«Meine Freunde!«hob er zu sprechen an.»Wir sind zwei fahrende Gesellen. Scholaren der Politik, Magister des Wortes und Famuli bei den Kunsten der Musen!«Er zeigte auf Otto Heinrich Kummer und klopfte dem leicht Schwankenden auf die Schulter.»Mein junger Freund hier ist ein Dichter. Vor einer Stunde hat er mir's gestanden! Wohlan, Kollege — eine Probe wollen diese Herren horen!«Und als sich Kummer straubte, hieb Maltitz die Faust auf den Tisch und schrie:»Ist keiner unter euch, der diesen Dichter bittet, uns zu erfrischen?!«

Wahrend die Freunde noch miteinander verhandelten, wer zuerst auf den Tisch steigen solle und seine Verse vortrage, trug der Ratswirt Krug um Krug in die nun weite Runde und trug mit ihnen eine dicke Trunkenheit in die Gehirne der vergnugten Zecher.

«Zuerst der Junge!«rief der Burgermeister.

«Siehst du«, sagte Herr von Maltitz.»Der Burgermeister sagt es auch!«

«Was soll ich denn deklamieren!«rief der junge Kummer.»Ich habe doch nur ernste Lieder!«

«Was, ernst?!«Ein dicker Mann — es war der Schmied — donnerte seine Stimme durch den Qualm.»Ein Trinklied, Burschchen, oder ich hole den Ambo? und schlage so lange den Takt, bis dir ein Ver-schen kommt!«

«Ein Trinklied!«johlte die Menge.»Ein Trinklied!«

Und Maltitz stand schwankend auf, zerrte Kummer mit sich empor und schrie:»Ein Trinklied! Ein Trinklied!«

Ehe es sich der Jungling versah, stand er schon auf dem Tisch, umringt von einer johlenden, rauschenden, trunkenen Menge, von dicken, glanzenden Gesichtern, wasserigen Augen und blauen Nasen, fleischigen Handen und drohnenden Stimmen. Und wahrend er sich noch besann, sammelten sich die Stimmen zu einem grolenden Chor und brullten:

«Ein Trinklied! Hussei! Ein Trinklied! Ein Trinkliiiied!«

Da hob Kummer die Hand. Von irgendwoher warf man ihm eine Laute in den Arm, er pre?te sie an seine Brust, schlug die Saiten laut zu einem Akkord und begann dann, so, wie ihm die Verse wie ein Kobold in den Mund sprangen, zu singen:

«Freunde, la?t uns heut vergessen, was im Herz uns schmerzhaft ruhrt, la?t im Punsche uns vermessen suchen, was die Freude spurt!

Greift mit kuhner Hand zum Becher, dieser Griff sei euch erlaubt,

selbst der alt'ste Herzensbrecher wird im Rebensaft entstaubt!

Hoch die Glaser, hohl die Kehlen, trinkt, o trinkt, eh es zu spat, jeder Tropfen wird euch fehlen, wenn's juchhei zur Holle geht.

Hoch die Glaser, hohl die Kehlen, schuttet, Freunde, haltet Schritt — ich versprecht' euch: wenn ich sterbe, nehm' ich meinen Becher mit!«

«Das nenne ich ein Trinklied!«schrie Maltitz, als Kummer die Laute in die klatschende Menge warf und mit einem gro?en Sprung vom Tisch setzte.»Das nenne ich Feuer im Blut. Trinklied, beim Punsche zu singen — Otto Heinrich, Freund, Bruder auf den Wegen der Verachtung — das ist der rechte Geist: vom Scherze singen, wahrend Tranen in der Kehle drucken. «Er ri? den Jungling in seine Arme, druckte ihn an seine breite Brust und streichelte ihm uber das blonde Haar, wahrend die betrunkenen Burger larmend und lachend umherstanden und das Sichfinden zweier Seelen mit einem plumpen Scherz verwechselten.

«Noch ein Lied!«grolten sie und trommelten mit den Fausten den Takt auf die Tische.

«Noch ein Lied!«brullte der Schmied.»Zur Holle geht's ja allemal! Da hat er recht! — Ein Lied!«

Doch Kummer schuttelte den Kopf und sah Maltitz flehend an.

Maltitz verstand, warf einen Sackel mit Geld auf die Theke, schob den Apotheker zur Tur, ri? sie auf, da? die kuhle Luft der Herbstnacht in den Qualm und Weindunst der Wirtschaft scho? und die blauwei?en Schwaden zu brodeln und kreiseln begannen, und wandte sich dann an die nachdrangenden, protestierenden Burger:

«Freunde«, rief er.»Genug des Singens! Nur selten leuchtet ein Genie auf — es ist ein Stern, der sparsam mit dem Licht ist!«Und als er sah, da? diese Rede an den stieren Augen, offenen Mundern und rulpsenden Kehlen vorbeiging, schrie er:»Sauft weiter! Noch ist's nicht Morgen! Wir geh'n nur einmal um das Haus und kommen dann

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