Name hat fur das Burgertum und die Aristokratie etwas wie den Pestgeruch an sich. «Er lachte schallend, indem er seinen Hut wieder aufsetzte und einige Schritte aus der Grotte trat.»Da Sie den ersten Schreck uberwunden haben, lieber Herr Kummer, werden Sie mir einen kleinen gemeinsamen Spaziergang wohl nicht abschlagen?«

«Ich wu?te nicht, was mir eine gro?ere Ehre ware.«, stammelte der erfreute und im ersten Augenblick betroffene Jungling.

«Bitte, werden Sie jetzt nicht konventionell«, rief Herr von Maltitz ernst.»Sprechen Sie so weiter wie bisher. Ich hasse billige Konventionen und gelernte Moralspruche. Denken Sie an Luther: Man mu? dem Volke aufs Maul sehen! Maul sagte er, nicht Mund oder gar Lippen. Plebejisch Maul! Das ist eine Visitenkarte fur den ganzen Mann, den ich fur den gro?ten Revolutionar seit Christus halte!«

Langsam schritten sie nebeneinander durch den Park und verlie?en den Komplex der weitausladenden Augustusburg. Unter hohen Tannen wandelten sie in den truben Oktobertag hinein, bis sie an einer Quelle, die aus einer Felsspalte unterhalb des Schlo?parkes entsprang, anhielten und sich auf die Stocke stutzten.

«Denken Sie nicht«, nahm Maltitz die Unterhaltung wieder auf, die den Weg uber geruht hatte,»da? ich Ihnen Unterricht in der Behandlung neuer Lebensformen geben mochte. Nichts liegt mir ferner als das! Aber es ist wohltuend, auch fur mich, einmal einen Menschen aus der Zukunft Deutschlands zu sprechen, der nicht auf dem Boden des billigen Hurrapatriotismus steht. Fur diese Jugend habe ich meine >Pfefferkorner< geschrieben und mein Drama >Schwur und Rache<. Nicht Rache an der Borniertheit dieser Spie?er, sondern Rache an dem absolutistischen, ekelhaft nationalen deutschpreu?ischen Geist, den der sogenannte Befreiungskrieg erst richtig entfesselte und zu einer geschichtlich lacherlichen Manie werden lie?. Auch Kleist uberwand ihn nicht — er war mehr sein Verfechter auf idealer Basis. Aber mit diesen Idealen baut man keine neue Weltanschauung! Das namlich ist der Grund allen modernen Staatswesens: Wir mussen lernen, die Welt und ihre Gesetze anders zu schauen — wir mussen eine Weltanschauung haben, eine objektive Sicht unserer Grenzen und Pflichten. Wir mussen aus dem kreisformigen Denken heraus in ein flachenformiges Denken ubergehen. Wir durfen nicht sagen: hier Deutschland — dort Frankreich oder England oder Belgien! Wir sind eine europaische Gemeinschaft, eine gro?e Schicksalsgemeinschaft, die einmal an ihrem Rubikon stehen wird! — Das wollen die Herren in Berlin und Dresden, Munchen und Stuttgart und wo sie alle residieren, nicht wissen. Das sehen sie in ihrem Serenissimustum nicht ein, denn noch steht ihr Thron und gibt es Matressen genug, die ihnen den realen Sinn umnebeln. Aber es la?t sich nicht leugnen, da? auch Rom und Griechenland, Weltreiche wie die der Pharaonen und der Chinesen einfach untergingen und geschichtlich starben mit allen Werten ihrer hochentwickelten Kultur, weil sie von innen heraus verfaulten an der Tragheit einer sich von Fall zu Fall wandeln mussenden Anschauung des gemeinsamen Schicksalsraumes — eben der Welt!«

Herr von Maltitz schwieg und fing mit der Hand spielerisch einige Wassertropfen auf, die von der Felsenquelle zu ihm emporspritzten. Otto Heinrich Kummer, der der Rede mit wachsendem Erstaunen und fiebernder Begeisterung gefolgt war, stie? nun den Stock in den Rasen und lief vor der Quelle hin und her.

«Alles Worte, Worte — Herr von Maltitz! Sie dringen nicht tief genug in das Volk, um es aufzurei?en. Ich habe mit meinem Vater schon einen Disput uber dieses Thema gehabt. Er nannte mich einen billigen Schwatzer und drohte mir mit einer Verbannung, wenn ich in seinem Hause weiter solche Revolten anzunde.«

«Ihr Herr Vater?«Maltitz betrachtete Kummer von der Seite und wiegte den Kopf.»Aus Dresden kommen Sie? Ich kenne in Dresden nur einen Kummer, der einen solchen Sohn hervorbringen konnte.«

«Mein Vater ist Benjamin Kummer, der.«

«Naturlich — der Munzmarschall!«rief laut lachend Herr von Maltitz.»Wie konnte ich nicht von Anfang an darauf kommen?!«Er trat an den jungen Apotheker heran und legte ihm die Hand auf die schmale Schulter.»Allerdings — bei einem solchen konigstreuen Beamtenvater haben Sie es schwer, die neue Zeit zu proklamieren. Wer kennt in Dresden nicht den Munzmarschall Kummer! Man darf ihm seinen Patriotismus nicht verubeln. Ein Mann, als Mensch ebenso gro? wie als Kunstler, wuchs er in dieser strengen Atmosphare auf und kann die Haut nicht wechseln, ohne sich selbst aufzugeben. Die Hochachtung des Alten und Erprobten ist der letzte Halt seiner Sittlichkeit als Beamter. Das ist selbstverstandlich. Um so schwerer wiegt es, da? sein Sohn ein Sucher ist, ein Tastender, ein Rufer.«

«Und ein Einsamer«, fiel Kummer ins Wort.»Ein grenzenlos Einsamer, Herr von Maltitz.«

«Das sind wir alle, wir Glucksucher fur die Menschheit. Oder kennen Sie einen Propheten, dem das eigene Volk zujubelt? Wie sagt doch Kleist? — Das Leben nennt der Derwisch eine Reise. Mein lieber Kummer, in dieser Kutsche sitzen wir nicht auf weichen Polstern!«

«Aber manchmal wird es unendlich schwer, ein Ausgesto?ener der Gemeinschaft zu sein.«

«Es ist das Los aller Gladiatoren, ob in der Arena oder auf dem schlupfrigen Pflaster der Politik. Das >Ave, Imperator, morituri te salutant< wird unsterblich sein, wie das >ecce homo< des Christentums! Daran mussen Sie sich gewohnen, junger Freund — man kann nur Gro?es schaffen, wenn man Feinde hat, die einen zur doppelten Kraft anspornen. Und allein an der Masse der Gegner erkennt man, wie weit oder wie nahe man dem Ziele ist. Wenn eine ganze Welt gegen einen steht, kann man sicher sein, den Sieg bald errungen zu haben. Das ist das merkwurdige Gesetz dieses kosmischen Planeten: eine Gro?e wird erst gro? durch Verdammnis!«

Mit einem resignierenden Achselzucken bedeutete Maltitz, da? er das Thema fur beendet betrachtete, und wandte sich ab, hinab ins Tal nach Augustusburg zu gehen.

«Ich darf Sie doch fur den heutigen Tag als meinen Gast betrachten, Herr Kummer«, sagte er, und als er sah, da? der Apotheker zogerte, machte er eine wegwischende Handbewegung und fugte seiner Einladung hinzu:»Mir schwant, da? wir manches noch zu bereden und uns noch von mancher Seite zu beschnuppern haben. Das kann am trostlichsten geschehen bei einer Flasche Wein und einem dicken Kotelett. «Und mit einem dionysischen Lacheln zwinkerte er Otto

Heinrich zu.»Merken Sie sich eins, junger Freund — man darf uber alle Ideale nicht die schonste aller Realitaten vergessen: das Essen!«

Lachend und in angeregtem Gesprach stiegen sie den Burgberg hinab und kletterten auf steilen Bergwegen durch dichte Tannen hinunter in die Stadt, uberquerten das Flu?chen auf einer ma?ig geschwungenen Steinbrucke und schritten durch die schmucke Hauptstra?e dem Hause des mit alten Spruchen verzierten Ratskellers zu.

Dort trafen sie ein, suchten sich einen Tisch in einer der holzgetafelten Ecken, bestellten bei der drallen Kellnerin einen halben Liter Wein und zundeten ihre Pfeifen an, es sich in dem behaglichen Raum gemutlich zu machen.

Als der Wein in einer Karaffe auf dem Holztisch stand und der erste Schluck probiert war, lehnte sich Maltitz weit in seiner Bank zuruck und blies den dicken Rauch aus seiner Pfeife gegen die mit breiten Balken verzierte, holzerne Decke.

«Wir haben beide nicht erwartet, heute noch in Augustusburg eine angeregte Stunde zu verbringen«, sagte er.»Am allerwenigsten ahnte ich, da? ich einen jungen Menschen treffe, der, aus einem inneren Drang heraus, selbstandig denkt. Das tun namlich heute die wenigsten. Sie glauben, was ihnen von oben herab in die Ohren geblasen wird, und bekranzen die Dummheit, wenn sie laut genug schreit.«

Er nahm das Glas auf, trank einen kraftigen Schluck, kaute den Wein ein wenig, wie es Kenner bei einem guten Tropfen lieben, und lehnte sich dann wieder zuruck.

«Die Literatur hat mir den Krieg angesagt. Meine Dramen >Schwur und Rache<, >Hans Kohlhaas< — nach der Kleistschen Geschichte — und >Oliver Cromwell< mochte man am liebsten von der Liste streichen, weil der Atem der Revolution in ihnen weht. Die >Pfefferkorner< und die humoristischen Raupen< liegen den Herren wie ein Stein im Magen! Als ich in Berlin einmal bei der Auffuhrung von >Schwur und Rache< trotz des koniglichen Verbotes die vom Zensor gestrichenen Stellen doch spielen lie?, wurde ich des Landes verwiesen und mu?te nach Dresden ziehen!«Er legte die Pfeife auf den Tisch und faltete die Hande uber der Jacke.»In Deutschland einen Zensor! Das ist die royale Freiheit! Die Polizei auf der Buhne, der Knuppel des Gesetzes in der Literatur! Ist nicht die Kunst, ganz gleich, in welchen Formen sie auch auftritt, frei und darf gestalten, was das Individuum ergreift?! Wenn der Staat nicht stark genug ist, sich gegen eine Kritik zu schutzen, wenn ein Staat nichts anderes kann, als mittels eines Dogmas die Opposition auszuschalten, ein solcher Staat ist reif, da? er zusammenbricht. Das wahre Gluck der Volker beginnt bei dem Recht der freien Wahrheit. Nur der ist ein guter Herrscher, der die Wunsche und Klagen der Masse erhort und aus ihnen lernt. Wir alle sind ja nur Lehrlinge auf dieser Erde, Unfertige, die nie fertig werden, denn es ist das Schicksal des Menschen, stets an der Schwelle der Erfullung zu sterben. Gibt es aber

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