gegru?t, wenn er ihr auf der Treppe oder im Laden begegnete. Auf die an einem Abend plotzlich hervorgeschossene Frage Knackfu?ens, was ihm an seiner Tochter mi?fiele (denn der Stolz des Vaterherzens hatte durch die lang ersehnte hochmutige Behandlung seiner Tochter unmerklich einen starken Sto? erhalten), entgegnete ihm Otto Heinrich klug, da? sein Herz an ein Madchen in Dresden bereits gebunden und es nicht Sitte sei, dann noch andere Jungfern mit schonen Blicken zu bedenken.

Wenn Knackfu? diese Antwort auch nur halb gelten lie? und instinktiv fuhlte, da? es ein Ausweichen war, hob sie doch den jungen Provisor sehr in seiner Achtung, und er schrieb an den Herrn Munzmarschall nach Dresden einen Brief, da? er mit dem Herrn Sohn sehr zufrieden sei und sein Konnen nicht uberschatzt wurde.

Willi Bendler war in den Wochen ziemlich still geworden, wenn er au?erhalb der Ladentheke und des Gesichts der anderen Kollegen war. Mit Kummer hatte er in letzter Zeit manche besinnliche Stunde, die immer um den Gedanken kreiste, auszubrechen und als Gegner der gesellschaftlichen Ordnung ein Martyrer der Idee zu werden!

Wenn dann am Abend die wilden Herbstwinde um das Dach stohnten und die Schindeln klapperten, sa? er oft auf dem Rand seines Bettes, angetan mit seinem uberdimensionalen Nachthemd, und philosophierte von der Freiheit der Menschen und kam zu keinem Entschlu?, weil — wie er sagte — sein Vater nur ein kleiner Dorfschullehrer und kein Minister war.

Sonst ging das Leben ziemlich still seinen altgewohnten, gut eingespielten Verlauf. Die Tage wurden kurzer, die Nachte langer und die Herzen schwerer, wenn die dunklen Wolken von den Bergen herniederstiegen.

An einem Sonntag war es, als Otto Heinrich Kummer sich einen Tagesurlaub erbat und eine kleine Reise nach Augustusburg unternahm, einem alten, herrlichen, weiten Schlo? auf den Hohen des Erzgebirges, dem Sitz des Freiherrn Ritter von Gunther, einem Kammerer des Konigs und Freund des Staatsministers.

In dem kleinen Ort Augustusburg, das am Fu?e des Burgberges lag, wohnte eine Tante Otto Heinrichs, und um diese zu besuchen, klapperte er mit einem Bauernfuhrwerk durch die Schluchten und Hohlwege und scheute nicht die beschwerliche Fahrt durch das Gebirge.

Nachdem er seinen schicklichen Besuch gemacht und alle Gru?e ausgerichtet hatte, spazierte er den Burgberg hinauf, umging das machtige Schlo? und bewunderte die schonen Bildhauereien der Toreinfahrt, sprach mit der kostbar uniformierten Wache einige freundliche Worte und lie? sich von dem Leben des uppig hausenden Freiherrn von Gunther berichten, dann ging er in den nahen Park, setzte sich auf eine Steinbank nahe des Steilhanges und blickte hinab auf den kleinen Ort und das Flu?chen Zschopau, das den Flecken durchflo?.

Ganz sich der Ruhe hingebend, lehnte er an den kuhlen Stein der Bank, als er bei einem Seitenblick uber den weiten Platz hinter der Burg in einer Steingrotte einen Mann sitzen sah, der in einem auf seinen Knien liegenden Buch las. Ein Zierdegen mit vergoldetem Korb hing an seiner Seite, und das gepflegte Haupthaar sowie die von einem ersten Schneider gefertigte Kleidung lie? einen wohlhabenden Mann erkennen. Die langen, etwas knochigen Hande blatterten die Seiten des Buches wie in Gedanken um, wahrend die Augen unter den buschigen Brauen in dem asketischen Gesicht beim Lesen fast geschlossen waren.

Die merkwurdige Erscheinung des Fremden zog den Jungling ungemein an.

Er konnte nicht sagen, was ihn an diesem Manne interessierte, denn sein Au?eres war weder schon noch ha?lich, sondern von jener Allgemeinheit, die nirgends auffallt. Und doch stromte die Ruhe und das ganze Bild dieses lesenden Mannes in der Grotte eine solche Macht auf Otto Heinrich Kummer aus, da? er sich unwillkurlich erhob und dem Manne naher trat.

Um ihn nicht zu bruskieren, ging er erst ein paarmal um die Grotte herum, betrachtete dann ein Steingebilde am Eingang und trat schlie?lich naher, als wolle er das Innere besichtigen.

Als sein Schatten auf das Buch fiel, blickte der Leser auf, und ein forschender, heller Blick traf den vermessenen Jungling.

«Pardon«, murmelte Kummer und zog seinen Hut.»Ich wollte Sie nicht storen.«

«Was mich allein stort, ist, da? Sie sich als Deutscher auf franzosisch entschuldigen«, antwortete ihm der Fremde mit einer dunkel klingenden, weichen Stimme.

Er klappte das Buch zusammen, legte es zur Seite und musterte von unten herauf den verlegenen Apotheker.

Ein Lacheln flog einen Augenblick uber seine harten Zuge.

«Belustigen Sie sich auch an dem Volkertreiben des Herrn von Gunther?«fragte er nach einer kleinen Weile des Schweigens.»Die Bauern im Tale hungern — aber dem Herrn Ritter von Gunther mussen sie die Huhner bringen!«

«Es ist vielleicht sein Recht«, wagte Kummer zaghaft einzuwenden, obgleich er keinerlei Lust empfand, den unbekannten Edelmann zu verteidigen. Nur etwas sagen wollte er, um die Pause der Verlegenheit zu uberwinden.

Der Fremde neigte ein wenig den Kopf auf die Seite und schlug mit der Faust der rechten Hand in die flache Linke.

«Recht! Fragt heute jemand noch, was Recht ist? Tut es der kleine Mann, so ist es Revolte, tut es der gro?e Mann, so ist es Gesetz — tut es aber der Aristokrat, so ist es eine Regierungsbildung! Es ist das Recht der Bauern, zu verhungern, weil es das Recht des Herrn von Gunther ist, sie auszusaugen. Das ist eine praktische Kausalitat, eine Logik, an der die alten griechischen Philosophen scheiterten. Eine solche Auslegung des Rechts konnte weder der Humanismus noch der Absolutismus, noch die Franzosische Revolution verbessern. Und da sprechen Sie vom Recht, junger Mann!«

Die Art zu sprechen zog Kummer ungewollt an. Er setzte sich neben den Fremden auf die Steine der Grotte und stutzte sich auf seinen Stock.

«Verzeihen Sie, wenn ich eine Frage an Sie richte«, sagte er mit Betonung.

«Bitte.«

«Was halten Sie vom Recht des Individuums?«

«Nichts! Denn es mu? erst geboren werden.«

«Und wenn es geboren ist?«

«Dann wird es nicht wirksam sein, weil die Masse nie starker wird als der Kopf des Staates. Man redet heute viel von einer Demokratie. Volksrecht nennt man es, Volksvertretung, Volksherrschaft, die hochste Staatsgewalt geht vom Volke aus! Lassen Sie mich lachen, junger Freund — oder glauben Sie wirklich, da? im Jahre 1834 eine Demokratie moglich ist? Bei dem Konigtum!«

Er schuttelte den Kopf und steckte das neben ihm liegende Buch in die Rocktasche.

Kummer sann einen Augenblick vor sich hin, ehe er eine Antwort gab. Dann sagte er langsam und bedachtig:

«Ich glaube, da? diese Welt einmal untergeht, weil sie sich uberzuchten wird!«

«Und diese Uberzuchtung beginnt bei der Vormachtstellung des Intellektualismus!«rief der Fremde laut und leidenschaftlich aus.»Junger Freund, Sie haben einen guten Gedanken gefa?t! Uberzuchtung! Das ist es! An ihr starben Agypten, China, Karthago, Rom, Griechenland, die Phonizier und Perser. Uberzuchtung ist der Untergang aller Volker gewesen — der geschichtliche Untergang, von dem es keine Erholung gibt. Wehe dem Deutschland, das einmal so herrisch ist, sich ubervollendet zu nennen! Er konnte sterben, ohne die Auferstehung der schopferischen Krafte nochmals zu erleben!«

Otto Heinrich Kummer hatte mit leuchtenden Augen zugehort. Jetzt ergriff er in einer freudigen Aufwallung die Hand des Fremden und druckte sie.

«Sie sprechen die Wahrheit, Herr. Sie sprechen mir aus der Seele. In langen Nachten habe ich gegrubelt, ob ich wohl einen Menschen finde, der mich versteht. Ich ging nach hier in die Verbannung, weil ich angeblich traumte, ich nahm das schwerste Los auf mich — die Heimatlosigkeit und Einsamkeit —, und ich finde auf der Augustusburg einen Menschen, der mit mir eines Gedankens ist!«Er lie? die Hand los, verbeugte sich und sagte:»Gestatten Sie mir, da? ich als der Jungere meinen Namen nenne: Otto Heinrich Kummer aus Dresden, weiland Apotheker in Frankenberg.«

Der Fremde nahm seinerseits den Hut von den schon leicht ergrauten Haaren, verbeugte sich leicht und antwortete:

«Ich danke Ihnen, junger Freund. - Von Maltitz.«

Mit aufgerissenen Augen prallte Kummer zuruck.

«August Freiherr von Maltitz«, stammelte er.»Der Dichter der Pfefferkorner?!«

«Setzt Sie das so in Erstaunen? Die meisten verlassen meine Nahe, wenn sie meinen Namen horen. Mein

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