«Er ist herrisch, hart, voll Dunkel und voll Unrecht.«, unterbrach sie Otto Heinrich.

Das Madchen schuttelte den schmalen Kopf, und eine Trane glit-zerte in ihren halbverschlossenen Augen.

«Mein Vater lernte fruh, wie hart das Schicksal ist. Ich war zwei Jahre alt, als er die Frau verlor… verlor an einen fahrenden Komodianten, der sie mitnahm in die lockende Ferne. Diese Frau war meine Mutter.«

«Aber ihr Vater. «Der Jungling stockte erschreckt uber die Offenbarung des Madchens.»Ihr Vater sagte doch, da? Ihre Mutter starb, als Sie.«

«Sie starb fur ihn. Ihr Weggang war fur ihn ihr Tod! Seit dieser Stunde ha?t er alle Kunstler, alle Sehnsucht nach der Weite, nach dem hei?en Leben. Er kennt nur Pflicht und Arbeit, Ehre und Besinnung auf das Mu? — er lebt in einer Hohle wie ein Eremit. «Und leicht, mit einer zartlichen Bewegung, legte ihm das Madchen ihre Hand auf seinen Arm und sagte leise:»Auch er ist einsam in der Welt, die er sich schuf — ein Mensch, der lebt, weil jeder andere Gedanke Sunde ist.«

Sie schwieg, und auch der Jungling fuhlte, da? diese Stille eine Brucke in das Schicksal wurde. Langsam hob er den Arm, legte ihn dem Madchen auf die Schulter und zog es nahe zu sich heran. Willenlos folgte es dem Drucke seines Armes und sah ihm mit gro?en Augen ins Gesicht.

«Das wu?te ich nicht«, sagte Otto Heinrich nach langer Pause.»Ich danke Ihnen, Jungfer Trudel — «Er stockte und blickte uber sie hinweg in den matt schimmernden Schnee hinaus.»Wenn Sie mir helfen wollen, so habe ich nur ein Bitte. Lassen Sie mich allein in meiner Einsamkeit.«

Das Madchen schuttelte den Kopf.

«Sie sagten einst zu mir: Leben ist eine Aufgabe, nicht das Aufgeben des Ichs. Ich habe es behalten. jeden Satz. ich habe sie gesammelt und mir taglich vorgesagt und wu?te dann bei jedem Wort, wie ich es heilen konnte; denn Ihre Worte waren krank, gebrochen, fiebrig. und so arm, da? mir die Tranen kamen. Sagten Sie nicht damals, da? das Leben eine Mission sei, den Menschen von Leben zu Leben zu veredeln.?«

«Auch das haben Sie behalten?«

«Alles, Otto Heinrich Kummer! — Veredeln, sagten Sie. Wie kann ein Mensch den Adel seiner Menschlichkeit erkennen, wenn er die Einsamkeit anbetet und die Menschen flieht? Am Menschen selbst nur wird der Mensch gesunden… das sagt mir mein Gefuhl, nicht, wie Sie sagten, eine Logik.«

Der Jungling sah in ihre Augen und streichelte dann mit seinen kaltgefrorenen Handen uber ihre frostgeroteten Wangen.

«Gott segne dieses Gefuhl. Es ware herrlich, in der Liebe zu gesunden…«

«Sie sehen dieses Leben falsch«, flusterte das Madchen.»Sie sitzen nachts in einer zugeschneiten Laube und traumen von der Herrlichkeit des Lebens. Und drau?en jubelt unterdessen diese Herrlichkeit aus allen Augen, allen Herzen, allen Mundern, geht drau?en eine Schonheit dieses Lebens nach der anderen fur Sie verloren, weil Sie in Ihrer Einsamkeit von etwas traumen, was Sie wunschen, wahrend der Wunsch nur auf Sie wartet, da? Sie kommen. Wie bequem ist das, den Weltschmerz vor sich herzutragen!«

«Sie reden ungerecht.«

«Ich rede, wie ich fuhle! Da drau?en liegt der Schnee! Warum nehmen Sie nicht eine warme Hand und gehen in die Walder? Da achzen die Stamme, und Hase, Fuchs und Schneehuhn huschen durch das staubende Wei?. Da lebt das Leben weiter unter einem Leichentuch, da spuren Sie den Atem ewig neuer Kraft! — Und auf den Bergen, wenn der Nordwind weht, wenn hoch am Himmel sich die Wolken jagen. da sehen Sie die Macht des Lebens. Geh'n Sie hinunter in die Stra?en! Blicken Sie nur einmal in die gro?en, sehnsuchtsoffenen Kinderaugen, wenn sie die bunten Sachen in den Laden sehen und an das Christfest denken mit dem Lichterbaum. Da sehen Sie Ihr Urteil in den Augen dieser Kinder, das Urteil uber Ihre Einsamkeit, in der Sie sich gefallen wie ein eitler Fratz! Ja, gehen Sie zuruck zu Ihrer Kindheit, lernen Sie noch einmal, kleinste Dinge wie ein Wunder zu betrachten. Glauben Sie denn nicht, da? man den Menschen heilen kann, indem man ihn zuruckfuhrt in das Mar-chenland der Kinder?«

Der Jungling sah zu Boden.

«Sie sprechen hart«, murmelte er.»Hart… aber fern… so fern.«

«Sie stehen fern, weil Sie in Traumen gaukeln und die Umwelt nicht erkennen! Dort drau?en schneit es — waren Sie schon einmal auf der Rodelbahn?«

«Als Kind.«

«Nein, hier? Sie schutteln Ihren Kopf und konnen mir nicht sagen, warum Sie es verpa?ten. Sie kennen doch die Eisbahn unten auf dem See?«

Der Jungling schuttelte den Kopf und wandte sich ein wenig ab.

«Nicht? Nach der Schanze wagte ich Sie nicht zu fragen. Warum auch Rodelbahn, Eislauf und Schanze? Warum auch Musik, lachende Gesichter, Frohsinn und Lebensfreude?! Man ist ja einsam, ein Philosoph des Weltschmerzes, der Verneinung, des verkannten Ichs! Warum denn Frohsinn suchen, wo man wei?, da? alles nur ein Schein ist und das Leben im Grunde schlecht und faul und sinnlos. Sie Narr! Sie Narr, Otto Heinrich Kummer. Sie. Sie. Morder an der eigenen Seele.«

«Schweigen Sie!«schrie da der Jungling auf und pre?te die Handflachen an seine Ohren, wahrend ein Zittern durch seinen schmachtigen Korper flog.»Warum qualen Sie mich? Sie sind so grausam, so kalt, so erschutternd wie der Tod.«

«Und es ist nur die Wahrheit.«, sagte das Madchen leise.

Da blickte Otto Heinrich auf und sah in ihren Augen eine Bitte und eine jagende Angst, und er lachelte, nickte, strich ihr uber die Wangen und zog sie nahe zu sich heran.

«Trudel«, sagte er sanft, wahrend sie in seinen Handen bebte.»Trudel. gib mir einen Ku?.«

Da stellte sie sich auf die Zehenspitzen, spitzte die Lippen, schlo? mit einem Lacheln in den Augen, duldete es, da? sie sein Arm umfing, und empfing den Druck seiner eisigen Lippen mit dem Schauer, den das erste Erlebnis durch den wartenden Korper jagt.

Als sie sich aus seinen Armen loste, war ihr Herz schwer von Jubel, Gluck und dem Bewu?tsein einer gro?en, schweren Pflicht.

«Was soll nun werden?«fragte Otto Heinrich leise und ging zur Tur. Er starrte in die vom Himmel herabtanzenden Flocken, streckte die Hand hinaus und fing einige Kristalle auf.»Sie schmelzen nicht in meiner Hand«, lachelte er und zeigte Trudel seine frostigen Finger.»Es ist so kalt in dieser Welt.«

«Ich will dir eine Sonne sein«, sagte das Madchen schlicht, und das hohe Wort verlor alles Pathos und wurde ein Schwur, der sie verband.»Du sollst im Fruhling wieder Blumen bluhen sehen. Liebster. diese Welt ist schon, wenn man ein Auge hat, sie ganz zu sehen.«

Sie ku?ten sich. Es waren scheue Kusse, kindlich noch und huschend, doch su?er, als kein Ku? mehr sein kann.

«Wir mussen ins Haus«, sagte der Jungling nach einer Weile gemeinsamen stummen Sinnens, in der ein jeder seine Wunsche baute zu einem stolzen Schlo?, in dem sich herrlich leben lie?.»Die Glocke mu? schon elf geschlagen haben. Dein Vater konnte dich vermissen.«

«Er schlaft schon. Du aber frierst und mu?t ins Warme. Da? ich daran nicht dachte. So ohne Mantel in der Kalte. Liebster, Liebster. «Sie drohte lachelnd.»Ich mu? dich nachstens uberwachen, wenn du ausgehst.«

«Tue es. Ich will auf deine Worte horen, wie ein Kind. «Und leise fugte er hinzu:»Du bist ein herrliches, ein schones Madchen.«

Wieder errotete sie leicht und wandte sich ein wenig zur Seite. Verlegen schabte sie ein wenig hereingewehten Schnee mit der Schuhspitze von der Schwelle in den Garten.

«Wir mussen, bis der Vater seine Ansicht andert, fremd vor den Augen aller Leute sein, fremd wie bisher«, sagte sie nach einer Weile.»Nur abends und in seltenen Stunden auch am Tage, irgendwo, wo wir uns finden, gehoren wir nur uns und unserer Zukunft. Wir sind ja noch so jung.«

«So jung und doch vom Leben so geschlagen.«

«Liebster, sprich nicht wieder so. Es soll ja alles licht und frei, so schon und glucklich um dich werden. Habe doch Geduld, vielleicht nur noch wenige Wochen.«

«Ich habe ja Geduld«, flusterte Otto Heinrich an ihrem Ohr und nahm die Pelzkappe von ihren Haaren, ku?te die schweren, blonden Flechten und druckte dann den schmalen Kopf an seine Brust.»Du sollst nicht klagen uber mich. Du sollst mich nur noch lieben.«

«Ich hab' dich lieb«, flusterte sie und schlo? die Augen.»So lieb. «Und plotzlich blickte sie zu ihm empor und flehte:»Und zu dem Vater sei nicht bose. bitte, bitte. auch, wenn er schimpft. Er meint es nicht so. Er ist so einsam

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