Otto Heinrich zuckte auf. Er sollte von Bendler getrennt werden, von ihm, der sich an ihn klammerte in seiner Sehnsucht nach einem Menschen und der in seinem nagenden Ha? auf das Burgertum auch fur Otto Heinrich unbewu?t zur Stutze seiner Hoffnungen wurde? Getrennt von einem Freund, der einen Menschen in dieser Einsamkeit brauchte, vor dem er sich ausschreien konnte und der mit ihm empfand, da? drau?en sich das Leben taglich anderte und formte, da? Geister revoltieren und neue Werte aus der Urkraft in die Volker stromten und da? sie hier in dieser burgerlichen Stille, in diesem engen Kreis verstaubter Etiketten zu Mumien und Puppen ohne eigenen Willen wurden!

«Ich bitte, in der Kammer bleiben zu durfen«, sagte Otto Heinrich leise, aber fest.»Ich habe einen Freund gefunden, den ich nicht verlassen mochte.«

Mit einem kurzen, scharfen Ruck seines vertrocknet wirkenden Kopfes blickte der Apotheker zu dem Jungling empor.

«Es geht nicht um Freundschaften«, antwortete er hart, wahrend durch die Haut seines Gesichtes ein gelber Schimmer flog.»Es geht um die Distance. Was ware das Leben ohne Ehrfurcht?! Was ware die Ehrfurcht ohne das Bewu?tsein des menschlichen Unterschiedes?! — Was reden wir! Meine Tochter richtet das Zimmer bereits her!«

«Eine Freundschaft uberwindet den Dunkel eines Standes. Die Herzen finden sich nicht in der Enge der Klassen, sondern in der Weite der Erkenntnis vom Wert des Menschen. - Ich mu? die Jungfer Trudel bitten, ihre Bemuhungen einzustellen und meinen Dank zu nehmen.«

Das Gesicht des Apothekers wurde kantig. Nervos zuckten die Wimpern uber den starren Augen. Und plotzlich schlug er mit der Faust auf den Tisch und schrie:

«In welchem Tone sprechen Sie mit mir!? - Sie beziehen das Zimmer! Kein Wort mehr! In meinem Hause, uber das Gesinde und die Angestellten bin ich der Herr!«

«Sie mogen es sein«, sagte der Jungling mit ruhiger, aber in der zuruckgedrangten Erregung gepre?ter Stimme.»Sie vergessen aber, da? ich keine Anlagen besitze, ein Sklave zu sein. Ich habe ein Eigenleben, das ich mit allen Mitteln verteidige, ich habe ein Recht, uber mich selbst zu verfugen, ich habe auch die Kraft, meine Wunsche an das Leben durchzusetzen. Ich liebe die Freiheit des Geistes und der Person. «Und mit lauter Stimme schrie er dem zuruckprallenden Knackfu? ins Gesicht:»Die Freiheit aber ist das letzte, was Sie mir stehlen konnen.«

Schwer atmend standen sich die Manner gegenuber.

Eine Welt lag zwischen ihnen.

«Ich werde Ihrem Vater schreiben«, zischte der Prinzipal durch die aufeinandergepre?ten Lippen, die wie ein Strich sein Gesicht durchschnitten.»Ich werde Sie zuchtigen lassen, bis Sie sich bei mir entschuldigen. - Gehen Sie! Ich will Sie heute nicht in meinem Hause sehen! Das andere findet sich.«

Mit einer scharfen Wendung drehte sich Otto Heinrich um und ging hinaus.

Laut krachend fiel die Tur ins Schlo?. Auf dem Gang entfernten sich seine Schritte.

Sie klangen ruhig, fest und siegesfroh.

Ein Mensch hatte sich gefunden. Er hatte gespurt, wie die Fesseln rissen und sich von seinem Herzen losten.

Die Freiheit lag vor ihm, der Weg ins kalte, unbekannte, ferne Nichts.

Die gro?e Hoffnung Otto Heinrichs, frei zu sein und in das weite Leben hinauszusto?en, wurde am Abend dieses schicksalhaften Tages jah zerstort. Zwar beachtete ihn der Prinzipal am Tische nicht und sah durch ihn hindurch, doch verkundete er den aufhorchenden Gesellen und dem mit weit offenem Munde von Kummer zu Knackfu? starrenden Bendler, da? mit dem heutigen Tage der Kollege Otto Heinrich Kummer als Hauptprovisor anzusehen sei und er — der Prinzipal — die notige Achtung von jedem in der Apotheke fordere.

Sonst nichts. Das Abendessen wurde in stiller Hast genommen, manch schrager Blick traf das gesenkte Haupt des neuen Vorgesetzten, und nur der Riese Bendler belebte mit seiner lauten Stimme hie und da die Tafel, wenn er, mit einem Blick auf Jungfer Trudel, ein Anekdotchen aus dem Leben in der Apotheke preisgab.

Knackfu? a? langsam, stumm, zusammengeduckt auf seinem Stuhl. Mitten im Essen schob er den Teller plotzlich von sich fort, stand auf, schob seinen Stuhl unwirsch zur Seite, nickte kurz und stampfte aus dem Zimmer in das von allen angstlich gemiedene Kontor.

Ein dumpfes Schweigen blieb am Tisch zuruck.

Nur Willi Bendler wechselte seinen Platz, setzte sich neben Otto Heinrich und stie? ihn mit dem Ellbogen leicht in die Seite.

«Dicke Luft, was? Der Alte merkt, da? sich die Jugend an das Licht drangt! — Mensch, Otto Heinrich — Provisor —, rechte Hand des Geiers. das ist dem Alten schwergefallen und nagt an seiner Wurde.

Da? er's getan hat, ist das neue Ratsel von Frankenberg!«Er lachte leise und beugte sich zu dem Freunde hinuber.»Du hast Gluck, lieber Junge, ich gonne es dir. Doch merke dir — der Alte gab dir heute seine rechte Hand — und mit der linken schlagt er dich zu Boden.«

Mit einem Satze sprang Otto Heinrich auf, legte dem Freunde kurz die Hand auf die Schulter und eilte dann aus dem Zimmer.

Die Hande tief in die Taschen vergraben, wanderte er mit verhaltenen Schritten durch den weiten Garten hinter dem Haus, hob das Haupt, damit der kalte Wind in seinen Locken spiele und die hei?e Stirn kuhle, und schob mit den Spitzen seiner Lackschuhe den Schnee als kleine Hugel vor sich her, ehe er sie mit einem kraftigen Schwung des Beines zerstaubte.

Vorbei an den tief im Schnee vermummten Zwergtannen wanderte Otto Heinrich, den Kopf tief gesenkt.

Plotzlich stand er vor der Laube, deren Dach ein hoher Schneehut zierte. Mit einem leisen Frosteln trat er ein, verwundert, da? die Kalte in dem engen Raume nachlie?, und setzte sich, indem er den Kragen seines Rockes hochschlug, auf die Holzbank hinter dem vermorschten Tisch.

Ein fades Halbdunkel klebte in der Laube. Von drau?en leuchtete schwach der Schnee. Da schlo? der Jungling die Augen, lehnte sich zuruck, legte den Kopf weit in den Nacken und ballte die in der Tasche vergrabenen Hande zur Faust.

O diese Einsamkeit… diese sanfte Stille. Wie schon war sie, und doch, wie grausam stach sie in das Herz, das sich Leben, Gluck und einen Hauch von Liebe wunschte.

Der Einsame in seiner zugeschneiten Laube fror. Ein Zittern rieselte durch seinen Korper.

Plotzlich zuckte er auf und richtete sich im Sitzen hoch.

Ein leichter, im Schnee knirschender Schritt naherte sich der Hutte. Eine Hand tastete nach der Klinke, leise knarrend schwang die

Tur auf, und ein schmaler Schatten huschte in den engen, dunklen Raum.

Otto Heinrich hielt den Atem an und ruhrte sich nicht.

Doch auch der Schatten, im Dunkel verschwommen, trat nicht naher, sondern verharrte in einer Ecke des Zimmers.

«Ist jemand hier?«fragte der Apotheker nach einer langen Weile des Schweigens und Wartens.

«Ich wu?te, da? Sie hier sind«, antwortete leise eine helle, klingende Stimme, die Otto Heinrich emporzucken lie? und ihm die Worte von den Lippen nahm. Bebend strich er sich mit den halberstarrten Handen uber das Haar, versuchte stotternd einen neuen Anfang und murmelte dann nur in fassungslosem Staunen:

«Jungfer Trudel.?«

Das Rauschen eines Mantels klang kurz auf, dann fa?te seine Hand warme, zarte Madchenfinger, und aus dem Dunst von Dunkelheit tauchte das Antlitz Trudels unter einer Mutze aus dickem Pelze auf. Ein paar blonde Locken ringelten sich unter ihrem Rand hervor, wahrend ihre gro?en Augen traurig und verweint auf den Jungling blickten.

«Ich wei?, da? Sie allein sind, da? Sie Sehnsucht haben nach einem Leben, das Sie gar nicht kennen und das Sie nur aus Buchern und idealen Schilderungen lieben. - Ich mochte Ihnen helfen, Otto Heinrich.«

Der junge Apotheker sah zu Boden, loste seine Hand aus ihren warmenden Fingern und trat einen halben Schritt zuruck. Wie um Halt zu suchen, lehnte er sich mit dem Rucken an die Holzwand der Laube und schob die Hande wieder in die Tasche.

«Es ist nicht gut, da? Sie gekommen sind. Wenn es der Prinzipal erfahrt, beginnt fur Sie und mich die Holle.«

«Mein Vater ist nicht schlecht«, sagte das Madchen leise.»Er ist verbittert.«

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