wieder!«

«Ein Lied will ich haben!«brullte der Schmied.»Ich lege euch uber den Ambo? — beim neunzigschwanzigen Satan —, ich will ein Lied!«

«Sing dir's allein!«lachte Maltitz zuruck, wahrend er Kummer durch die Tur ins Freie schob.»Oder besser: singt alle!«Und er sang laut:

«Wirt, ein Glas her! Wirt, 'ne Flasche, meine Kehle ist schon wund, zapft vom Fa? mir die Karaffe, gebt mir einen Schlauch zum Mund…«

Mit lautem Grolen fielen die Burger von Augustusburg ein, hieben auf die Tische, umarmten sich und schrien, an der Spitze der Wirt und der Schmied, deren machtige Basse wie Orgelpfeifen die Runde ubertonten. Mit den Fu?en den Takt stampfend, lie?en sie die Kanne von Mund zu Mund gehen und jagten die Kellnerin hin und her.

Maltitz war wahrenddessen dem Freunde gefolgt, fa?te ihn nun unter und ging mit ihm durch die kuhle, frische Nacht.

Hinter ihrem Rucken klang schwach der Rundgesang aus der Wirtschaft, vor ihnen strahlte mit Hunderten Lichtern die Augustusburg auf ihrem machtigen Felsen, und vom sternenklaren, glitzernd ubersaten Himmel drang beangstigend sanfter Frieden in die Seele der beiden Wanderer.

«Ich habe Ihnen eine schone Nacht und einen noch schoneren Tag zu danken«, sagte Kummer nach langer Schweigsamkeit.»Ich nehme die Nachtpost, Herr von Maltitz — ich mu? morgen frisch im Laboratorium stehen.«

«Nicht Sie durfen mir danken, bester Freund«, erwiderte Maltitz und legte seinen Arm um Kummers Schulter.»Sie haben mir fur wenige Stunden die Lust zum Leben gegeben. Ihre Jugend, Ihr Glau-be an das Kommende, Gro?e, Ewige, Menschliche hat auch mich entzundet. Dafur mu? ich Ihnen danken… denn es ist viel, sehr viel…«

Vor dem Rathaus, wo die Nachtpost wartete, druckten sie sich lange die Hand und sahen sich tief in die Augen.

«Leben Sie wohl«, sagte Kummer mit belegter Stimme.»Ich werde im Geiste stets bei Ihnen und Ihrem gro?en Werke sein.«

«Auf Wiedersehen«, antwortete Maltitz leise.»Ja, auf Wiedersehen… mein Freund Kummer.«

Rasselnd verschwand die Kutsche in der Dunkelheit.

Das Leben in Frankenberg ging seinen altgewohnten, streng dem Gesetze des Berufes vorgeschriebenen Gang.

Nach seiner Ruckkehr aus Augustusburg hatte Otto Heinrich es vermieden, mit Bendler in eine neue Aussprache zu kommen, sondern in dem unerklarlichen Gefuhl, da? sein Weg in die Freiheit nicht uber die Verachtung des Individuums, sondern uber das dichterische Wort eines aufrei?enden und mahnenden Vorbildes des Ichs fuhrte, schaute er oft mit einer Art Angst und Mitleid auf den riesigen Freund, wenn Bendler verbissen und mit den Fingern an die Scheibe trommelnd am schmalen Fenster stand und in die Weite starrte.

«Man ist wie ein Tier«, sagte er einmal in einer solchen Stunde.»Wie ein Tier, das die Freiheit kennt, aber hinter Gittern bleibt, um das punktliche Fressen nicht zu verlieren.«

Otto Heinrich vermied es, darauf eine Antwort zu geben. Doch in der Stille verstanden sie sich besser und fuhlten, da? ihr Ziel das gleiche war, nur, da? der eine den Menschen verachtete und der andere als letzte Rettung seiner Seele ihn suchte und rief.

Mit Jungfer Trudel kam der junge Apotheker seit der Begegnung in dem Waldchen nicht mehr zusammen. Tunlichst vermied er alle Moglichkeiten, sie allein zu treffen, schickte einen Lehrling in die

Kuche, wenn er etwas Feuer oder Kohlen fur das Laboratorium brauchte, und nur bei Tische, wenn alle Gesellen vor den Blicken Knackfu?' sich verkrochen, sah er ihre dicken, blonden Flechten und starrte gesenkten Kopfes auf den Teller, um ihre Augen nicht zu sehen und die gro?e Frage, die Willi Bendler mit einem halb verlegenen, halb hilflosen Grinsen ablas.

Und doch verging kein Tag, an dem Otto Heinrich nicht an einem der Fenster in der Apotheke oder im Laboratorium stand, hinaus auf die Stra?e blickte und wartete, bis Trudel aus dem Hause trat, den Einkaufskorb am geflochtenen Henkel um den linken Arm gehangt, und uber den Markt ging. Dann sah er ihr mit seinen gro?en, sehnsuchtigen Augen nach, bis sie im Gewuhl der Marktganger verschwand oder sich die Tur eines Geschaftes hinter ihrer schlanken, in einen pelzverbramten Mantel gehullten Gestalt schlo?.

Mit einem muden Lacheln, manchmal auch mit einer zitternden Bewegung seiner Hand uber die blonde Locke uber seiner Stirn, wandte sich dann Otto Heinrich wieder den Kolben und Tiegeln zu und schaute auch einmal mit einem schaudernden Gedanken auf die schwarzen Totenkopfe der Giftflaschen in dem hohen Schrank, um sich dann mit einem Seufzer abzuwenden und in das brodelnde Kochen seiner Sauremischungen zu starren.

Von diesen Augenblicken des taglichen Wartens und Sehnens ahnte weder Willi Bendler noch Jungfer Trudel etwas.

So kam der trube, grau verhangene Tag, an dem der erste Schnee sich uber die Berge ins Tal wagte, das Stadtchen in der Senke wie in Watte packte und eine sanfte Stille von den kahlen, wei?en Waldern durch die Stra?en kroch. In den Zimmern der geduckten Burgerhauser, in deren Au?enschnitzereien sich der Schnee zu kleinen Puppen backte, krachten die Scheite in den breiten Kaminen, die Vorstimmung des nahen Festes trug in die Augen jenen warmen Glanz, den Menschen haben, wenn sie fuhlen, da? sie glucklich sind, und in der Apotheke wurden Watte und aus dunnstem Glas geblasene, bemalte Kugeln mehr gefragt als Magenpflaster, Hustensaft oder Salbe gegen frosterstarrte Glieder.

An diesem ersten Tage des ersehnten Schneefalls rief Herr Knackfu? um die Mittagszeit Otto Heinrich Kummer in sein kleines, hinter dem Laden gelegenes Kontor. Mit der leisen Scheu, die der junge Apotheker immer fuhlte, wenn ihn sein Herr fur ein paar Worte zu sich bat, ging er durch das langgestreckte Laboratorium, verzogerte bei Willi Bendler etwas seinen Schritt, wollte ein Wort, vielleicht nur einen Anruf sagen, schuttelte dann aber den Kopf und trat hinaus auf den kleinen Flur, der zwischen Kontor und Apotheke lag.

Als er nach einem leisen Klopfen und einem energischen» Herein!«in das Zimmer trat, schritt Herr Knackfu? mit weiten Schritten durch den Raum, beide Hande gekreuzt uber den Rucken gelegt. Er bot Otto Heinrich einen Platz neben seinem Schreibtisch und eine Pfeife Tabak an, lachelte dem Jungling zu und klappte das dicke Hauptbuch mit einem dumpfen Knall zu.

«Mein lieber Kummer«, sagte er in einer ihm fremden, fast leutseligen Art und setzte sich ihm gegenuber in den breiten Lehnsessel,»seit Wochen sind Sie nun Geselle in meiner Apotheke. Es sollte eine Probezeit sein, sie ist nun uberstanden, und wir konnen ernsthaft von der Zukunft sprechen. Ich bin — doch werden Sie nicht stolz, junger Mann — leidlich mit Ihnen zufrieden. Ich sage leidlich, das bedeutet viel. Kurz, lieber Kummer — ich stelle Sie bei mir nicht als Geselle, sondern als meinen Hauptprovisor ein. - Sie sind doch einverstanden?«

«Als Hauptprovisor?«Otto Heinrich Kummer sah Herrn Knackfu? mit jener Unglaubigkeit an, als habe er die Worte falsch verstanden. Dann aber, als der Apotheker ihm ermunternd zunickte, sprang er auf, ergriff in einer Aufwallung freudigen Dankes die Hand seines Prinzipals und rief:»Sie haben Vertrauen zu mir — moge das Schicksal fugen, da? ich Sie nie, nie enttausche.«

Doch so plotzlich, wie der Uberschwang seiner Jugend ihn danken lie?, trat er einen kurzen Schritt zuruck und senkte ein wenig betreten den Kopf.

«Sie setzen mich, den Jungsten, uber alle in der Apotheke«, sag-te Otto Heinrich leise.»Ich wei? nicht, Herr Knackfu?. Ihre Handlung mag gerecht sein. Sie haben Ihre Grunde, bestimmt haben Sie sie… Ich wagte nicht, in die Entscheidung einzugreifen, wenn nicht… wie soll ich sagen… verzeihen Sie, wenn ich es erwahne. «Er stockte einen Augenblick und sagte es dann klar heraus:»Die Beforderung stande Herrn Bendler als dem Alteren eher zu als mir. «Und als ob er den Freund vor einem Angriff schutzen mu?te, fugte er schnell und treuherzig hinzu:»Er ist ein wirklich guter Apotheker, der Willi Bendler.«

Eine scharfe Unmutsfalte zuckte fur einen Augenblick uber die Stirne Knackfu?'.

«Er ist ein Frevler gegen Ordnung und Moral. Ich wunsche keine Worte mehr daruber! — Sie nehmen an?«

«Ja.«

«Ruckwirkend auf den 1. Dezember.«

«Wie Sie wunschen, Herr Prinzipal.«

«Sie ziehen damit auch aus Ihrer Kammer und bewohnen ein neues Zimmer im zweiten Stockwerk.«

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