»Das kommt vom Hut, Liebling.« Elvira nahm der Wirtin die Flasche ab. »Trinken Sie einen mit, Frau Poschnigg?«

»Wenn ich darf?« Die Wirtin setzte sich. »Gut haben Sie’s, Fraulein Elvira!« Sie seufzte. »Unsereins, eine arme Witwe… immer einsam…«

Die arme Witwe kippte das Glas hinunter und go? sich sofort neu ein. »Gesundheit, fescher Herr!«

Sie erhob sich und blitzte Steiner kokett an. »Alsdann besten Dank! Und viel Vergnugen.«

»Bei der hast du Chancen, Schatz«, erklarte Elvira.

»Gib mir mal das Wasserglas da her«, sagte Steiner. Er go? es voll und trank es aus.

»Jesus!« Elvira blickte ihn besorgt an. »Du wirst doch nichts kaputtschlagen, Liebling? Die Wohnung ist kostbar, verstehst du? So was ist teuer, Schatzi!«

»Setz dich hierher«, sagte Steiner. »Neben mich.«

»Wir hatten lieber ’rausfahren sollen. In den Prater oder in den Wald.«

Steiner hob den Kopf. Er spurte den Kirsch mit weichem Hammern hinter seiner Stirn gegen die Augapfel schlagen. »In den Wald?« fragte er.

»Ja, in den Wald. Oder in ein Kornfeld, jetzt im Sommer.«

»Ein Kornfeld – im Sommer? Wie kommst du auf ein Kornfeld?«

»Wie man eben so drauf kommt«, plapperte Elvira eifrig und besorgt. »Weil halt Sommer ist, Schatz! Da geht man gern in ein Kornfeld, wei?t du?«

»Versteck die Flasche nicht, ich hau’ dir deine Bude nicht kaputt. Ein Kornfeld sagst du… im Sommer?«

»Naturlich im Sommer, Schatz, im Winter ist’s ja kalt.«

Steiner go? sein Glas voll. »Verdammt, wie du riechst…«

»Rothaarige riechen alle ahnlich, Schatzi.«

Die Hammer hammerten schneller. Das Zimmer schwankte. »Ein Kornfeld…« sagte Steiner langsam und schwer,»und der Wind nachts…«

»Komm jetzt ins Bett, Liebling, zieh dich aus…«

»Mach das Fenster auf…«

»Das Fenster ist ja offen, Schatzi. Komm, ich mach’ dich glucklich!«

Steiner trank. »Warst du mal glucklich?« fragte er und starrte auf den Tisch.

»Naturlich, oft.«

»Ach, halt den Schnabel. Mach das Licht aus.«

»Zieh dich doch erst aus.«

»Mach das Licht aus.«

Elvira gehorchte. Das Zimmer wurde dunkel. »Komm ins Bett, Schatz.«

»Nein. Bett, nein. Bett ist was anderes. Verdammt! Bett, nein!«

Steiner go? mit schwankender Hand Kirschwasser in sein Glas. Sein Kopf toste. Das Madchen ging durchs Zimmer. Es kam am Fenster vorbei und blieb einen Augenblick stehen und blickte hinaus. Das schwache Licht der Laternen von drau?en ?el uber ihre dunklen Schultern. Hinter ihrem Kopf stand die Nacht. Sie hob eine Hand in ihr Haar…»Komm her«, sagte Steiner heiser.

Sie drehte sich um und kam weich und lautlos auf ihn zu. Sie kam, reif wie ein Kornfeld, dunkel und unerkennbar, mit dem Geruch und der Haut von tausend Frauen und einer…

»Marie«, murmelte Steiner.

Das Madchen lachte tief und zartlich. »Da sieht man, wie besoffen du bist, Schatz… ich hei?’ doch Elvira…«

8

Es gelang Kern, seine Aufenthaltserlaubnis noch um funf Tage zu verlangern; dann wurde er ausgewiesen. Man gab ihm einen Freifahrtschein bis zur Grenze, und er fuhr zur Zollstation.

»Ohne Papiere?« fragte der tschechische Beamte.

»Ja.«

»Gehen Sie ’rein. Es sind schon ein paar da. In ungefahr zwei Stunden ist die beste Zeit.«

Kern betrat die Zollbude. Es waren noch drei Leute da – ein sehr blasser Mann mit einer Frau und ein alter Jude.

»Guten Abend«, sagte Kern.

Die anderen murmelten etwas.

Kern stellte seinen Koffer ab und setzte sich. Er war mude und schlo? die Augen. Er wu?te, da? der Weg nachher noch lang sein wurde, und versuchte zu schlafen.

»Wir kommen ’ruber«, horte er den blassen Mann sagen,»du wirst sehen, Anna, dann wird alles besser.«

Die Frau gab keine Antwort.

»Bestimmt kommen wir ’ruber«, begann der Mann wieder,»ganz bestimmt! Weshalb sollten sie uns nicht ’ruberlassen?«

»Weil sie uns nicht haben wollen«, erwiderte die Frau.

»Aber wir sind doch Menschen…«

Du armer Narr, dachte Kern. Er horte den Mann undeutlich weitermurmeln; dann schlief er ein.

Er erwachte, als der Zollbeamte kam, um sie abzuholen. Sie gingen uber die Felder und kamen zu einem Laubwald, der massig wie ein schwarzer Block vor ihnen im Dunkel lag.

Der Beamte blieb stehen. »Folgen Sie diesem Fu?weg und halten Sie sich nach rechts. Wenn Sie die Stra?e erreicht haben, wieder nach links. Alles Gute.«

Er verschwand in der Nacht.

Die vier standen unentschlossen. »Was sollen wir nun machen?« fragte die Frau. »Wei? einer den Weg?«

»Ich werde vorangehen«, sagte Kern. »Ich war vor einem Jahr schon einmal hier.«

Sie tasteten sich durch das Dunkel. Der Mond war noch nicht aufgegangen. Das Gras war na? und streifte unsichtbar und fremd uber ihre Schuhe. Dann kam der Wald mit seinem gro?en Atem und nahm sie auf.

Sie gingen lange Zeit. Kern horte die andern hinter sich. Plotzlich blitzten elektrische Lampen vor ihnen auf, und eine grobe Stimme rief:»Halt! Stehenbleiben!«

Kern brach mit einem Sprung seitlich aus. Er rannte ins Dunkel, stie? gegen Baume, tastete sich weiter, durch ein Brombeergestrupp, und warf seinen Koffer hinein. Hinter sich horte er laufen. Er drehte sich um. Es war die Frau. »Verstecken Sie sich!« ?usterte er. »Ich klettere hier ’rauf!«

»Mein Mann… oh, dieser…«

Kern kletterte rasch einen Baum hinauf. Er fuhlte das weiche, rauschende Laub unter sich und hockte sich in eine Astgabel. Unten stand regungslos die Frau; er konnte sie nicht sehen, er fuhlte nur, da? sie da stand.

Aus der Ferne horte er den alten Juden etwas sagen.

»Das ist mir wurscht«, erwiderte die grobe Stimme dagegen. »Ohne Pa? kommen Sie nicht durch, basta!«

Kern lauschte. Nach einer Weile horte er auch die leise Stimme des anderen Mannes, der dem Gendarmen antwortete. Sie hatten also beide erwischt. Im selben Augenblick raschelte es unter ihm. Die Frau murmelte etwas und ging zuruck.

Eine Weile blieb es ruhig. Dann huschte der Lichtschein der Taschenlampe zwischen den Baumen umher. Schritte kamen naher. Kern druckte sich an den Stamm. Er war gut gedeckt durch das volle Laub unter ihm. Plotzlich horte er die harte, unbeherrschte Stimme der Frau. »Hier mu? er sein! Er ist auf einen Baum geklettert, hier…«

Der Lichtschein glitt nach oben,»’runterkommen!« schrie die grobe Stimme. »Sonst wird geschossen!«

Kern uberlegte einen Moment. Es hatte keinen Zweck. Er kletterte herunter. Die Taschenlampen leuchteten ihm grell ins Gesicht. »Pa??«

»Wenn ich einen Pa? hatte, war’ ich da nicht hinaufgeklettert.«

Kern sah die Frau an, die ihn verraten hatte. Sie war aufgelost und fast nicht bei Sinnen. »Das mochten Sie

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