»Wir brauchen doch eine Hilfe«, sagte Steiner. »Tagsuber zum Aufraumen, abends fur die telepathischen Experimente. Hier ist sie.« Er wies auf Kern.

»Kann er irgend etwas?«

»Er kann das, was wir brauchen.«

Potzloch blinzelte. »Einer von Ihren Bekannten? Was verlangt er?«

»Essen, Wohnen und drei?ig Schilling. Vorlau?g.«

»Ein Vermogen!« schrie Direktor Potzloch. »Die Gage eines Filmstars! Wollen Sie mich ruinieren, Steiner? So viel zahlt man ja beinahe einem legal angemeldeten Arbeitsburschen«, fugte er friedlicher hinzu.

»Ich bleibe auch ohne Geld«, erwiderte Kern rasch.

»Bravo, junger Mann! So wird man Millionar! Nur der Bescheidene kommt vorwarts im Leben!« Potzloch blies schmunzelnd Luft durch die Nase und erhaschte seinen rutschenden Klemmer. »Aber Sie kennen Leopold Potzloch nicht, den letzten Menschenfreund! Sie bekommen Gage. Funfzehn blanke Schilling im Monat. Gage, sagte ich, lieber Freund. Gage, nicht Gehalt! Ab heute sind Sie Kunstler. Funfzehn Schilling Gage sind mehr als tausend Gehalt. Kann er noch was Besonderes?«

»Etwas Klavier spielen«, sagte Kern.

Potzloch hakte den Klemmer energisch auf die Nase.

»Konnen Sie leise spielen? Stimmungsmusik?«

»Leise besser als laut.«

»Gut!« Potzloch verwandelte sich in einen Feldmarschall. »Er soll irgendwas Agyptisches uben! Bei der zersagten Mumie und der Dame ohne Unterleib konnen wir Musik brauchen.«

Er verschwand. Steiner sah Kern kopfschuttelnd an. »Du bestatigst meine Theorie«, sagte er. »Ich habe die Juden immer fur das dummste und vertrauensseligste Volk der Welt gehalten. Wir hatten glatt drei?ig Schilling ’rausgeholt.«

Kern lachelte. »Du rechnest nicht mit einem: mit der panischen Angst, die ein paar tausend Jahre Pogrome und Getto gezuchtet haben. Daran gemessen, sind die Juden sogar ein tollkuhnes Volkchen. Und schlie?lich bin ich nur ein elender Mischling.«

Steiner grinste. »Na schon, dann komm. Mazzes essen! Wir wollen das Laubhuttenfest feiern. Lilo ist eine wunderbare Kochin.«

Das Etablissement Potzloch bestand aus drei Abteilungen: einem Karussell, einer Schie?bude und dem Panorama der Weltsensationen. Steiner fuhrte Kern am Morgen gleich in einen Teil seiner Arbeiten ein. Er hatte den besseren Karussellpferden die Messingteile ihres Geschirrs zu putzen und das Karussell zu fegen.

Kern machte sich an seine Arbeit. Er putzte nicht nur die Pferde, sondern auch die Hirsche, die sich im Takt wiegten, und die Schwane und die Elefanten. Er war so vertieft, da? er nicht horte, wie Steiner an ihn herantrat. »Komm, Kleiner, Mittagessen!«

»Schon wieder essen?«

Steiner nickte. »Schon wieder. Etwas ungewohnt, was? Du bist unter Kunstlern; da herrschen die burgerlichsten Sitten der Welt. Es gibt sogar nachmittags eine Jause. Kaffee und Kuchen.«

»Ein Schlaraffenland!« Kern kroch aus einer Gondel vor, die von einem Wal?sch gezogen wurde. »Mein Gott, Steiner!« sagte er. »Man konnte Angst kriegen, so wunderbar geht alles in der letzten Zeit. Zuerst in Prag – und jetzt hier. Gestern wu?te ich noch nicht, wo ich schlafen sollte… und heute habe ich eine Stellung, eine Wohnung und werde zum Mittagessen abgeholt! Ich glaube es noch nicht!«

»Glaub’s nur«, erwiderte Steiner. »Denk nicht nach, nimm’s! Alte Devise der fahrenden Leute.«

»Hoffentlich dauert es noch ein bi?chen!«

»Es ist eine Lebensstellung«, sagte Steiner. »Mindestens fur drei Monate. Bis es zu kalt wird.«

Lilo hatte einen wackeligen Tisch in das Gras vor dem Wohnwagen gestellt. Sie brachte eine gro?e Schussel mit Gemusesuppe und Fleisch und setzte sich zu Steiner und Kern. Es war helles Wetter mit einer Ahnung von Herbst in der Luft. Auf der Wiese waren Waschestucke aufgehangt, zwischen denen ein paar gelbgrune Zitronenfalter spielten.

Steiner dehnte die Arme. »Eine gesunde Existenz! Und nun auf in die Schie?bude.«

Er zeigte Kern die Gewehre, und wie sie geladen wurden. »Es gibt zwei Arten von Schutzen«, sagte er. »Die Ehrgeizigen und die Habgierigen.«

»Wie im Leben«, meckerte Direktor Potzloch, der gerade voruberstrich.

»Die Ehrgeizigen schie?en auf Karten und Nummern«, erlauterte Steiner weiter. »Sie sind nicht gefahrlich. Die Habgierigen wollen etwas gewinnen.« Er zeigte auf eine Anzahl Etageren im Hintergrund der Bude, die mit Teddybaren, Puppen, Aschbechern, Wein?aschen, Bronze?guren, Haushaltungsgegenstanden und ahnlichen Sachen gefullt waren.

»Sie sollen etwas gewinnen. Die unteren Etagen namlich. Kommt einer aber an funfzig Ringe heran, dann gerat er in die obersten Etagen, wo die Stucke zehn Schilling und mehr wert sind. Dann gibst du eine von Direktor Potzlochs Original-Zauberkugeln ins Gewehr. Sie sehen genauso aus wie die andern. Hier liegen sie, an dieser Seite. Der Mann wird staunen, wenn er plotzlich damit nur einen Zweier oder Dreier schie?t. Bi?chen weniger Pulver, verstehst du?«

»Ja.«

»Vor allem nie das Gewehr wechseln, junger Mann!« erklarte Direktor Potzloch, der wieder hinter ihnen stand. »Mit dem Gewehr sind die Bruder mi?trauisch. Mit den Kugeln nicht. Und dann die Balance! Gewonnen soll werden. Verdient aber mu? werden. Das mu? ausbalanciert werden. Wenn Sie das konnen, sind Sie ein Lebenskunstler. Nicht zuviel gesagt. Wer oft schie?t, hat naturlich ein Recht auf die dritte Etage.«

»Wer funf Schilling verpulvert hat, darf eine von den Bronzegottinnen gewinnen«, sagte Steiner. »Wert einen Schilling.«

»Junger Mann«, sagte Potzloch plotzlich mit pathetischer Drohung,»auf eins mache ich Sie aber gleich aufmerksam: auf den Hauptgewinn. Der ist ungewinnbar, verstehn S’? Er ist ein Privatstuck aus meiner Wohnung: ein Prunkstuck!«

Er zeigte auf einen getriebenen, silbernen Obstkorb mit zwolf Silbertellern und Bestecken dazu. »Sie haben eher zu sterben, als einen Sechziger durchzulassen. Versprechen S’ mir das!«

Kern versprach es. Potzloch wischte sich den Schwei? von der Stirn und haschte nach seinem Kneifer. »Allein schon der Gedanke!« murmelte er. »Meine Frau brachte mich um! Ein Erbstuck, junger Mann«, schrie er,»ein Erbstuck in dieser traditionslosen Zeit! Wissen S’ was ein Erbstuck ist? Lassen S’ nur, Sie wissen es nicht…«

Er sauste los. Kern sah ihm nach. »Nicht so schlimm«, sagte Steiner. »Unsere Gewehre stammen sowieso aus der Zeit der Belagerung Trojas. Und au?erdem hast du Lilo zu Hilfe, wenn’s brenzlig wird.«

Sie gingen zum Panorama der Weltsensationen hinuber. Es war eine Bude, die mit bunten Plakaten bedeckt war. Sie stand auf einem dreistu?gen Podest. Vorn war ein Kassenhauschen in Form eines chinesischen Tempels aufgebaut – eine Idee Leopold Potzlochs. Steiner wies auf ein Plakat, das einen Mann vorstellte, dem Blitze aus den Augen schossen. »Alvaro, das Wunder der Telepathie – das bin ich, Baby. Und du wirst mein Assistent werden.«

SIE GINGEN IN die Bude hinein, die halbdunkel war und muffig roch. Einige Reihen leerer Stuhle standen wie Gespenster unordentlich umher. Steiner stieg auf die Buhne. »Also pa? auf! Irgend jemand im Zuschauerraum versteckt etwas bei einem andern; meistens sind es Zigarettenschachteln, Zundholzer, Puderdosen oder sonderbarerweise Stecknadeln. Wei? der Himmel, wo die Leute immer die Stecknadeln herkriegen! Ich habe das zu ?nden. Ein interessierter Zuschauer wird heraufgebeten, ich fasse ihn bei der Hand und rase los. Entweder bist du das, dann fuhrst du mich einfach hin, und je fester du meine Hand druckst, desto dichter bin ich bei dem versteckten Gegenstand. Leichtes Klopfen mit dem Mittel?nger bedeutet, da? es der richtige ist. Das ist einfach. Ich suche so lange, bis du klopfst. Hoher oder tiefer zeigst du mir durch Auf- und Abbewegen der Hand.«

Direktor Potzloch erschien mit Getose im Eingang. »Lernt er’s?«

»Wir wollen gerade probieren«, erwiderte Steiner. »Setzen Sie sich mal hin, Direktor, und verstecken Sie was an sich. Haben Sie eine Stecknadel bei sich?«

»Naturlich!« Potzloch griff nach seinem Rockaufschlag.

»Naturlich hat er eine Stecknadel!« Steiner drehte sich um. »Verstecken Sie sie. Und dann komm, Kern, und fuhre mich.«

Leopold Potzloch nahm die Nadel mit einem listigen Blick und klemmte sie zwischen seine Schuhsohle. »Los,

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