»Ich bin ja glucklich«, sagte sie.
Ich stand da und sah sie an. Es war nur ein Wort gewesen, aber es war ein Wort, das ich so noch nie gehort hatte. Ich hatte Frauen gekannt, aber immer waren es fluchtige Begegnungen gewesen, Abenteuer, eine bunte Stunde manchmal, ein einsamer Abend, Flucht vor sich selbst, vor der Verzweiflung, vor der Leere. Ich hatte es auch gar nicht anders gewollt, denn ich hatte gelernt, da? man sich auf nichts anderes verlassen konnte als auf sich selbst und hochstens noch auf einen Kameraden. Jetzt sah ich plotzlich, da? ich einem Menschen etwas sein konnte, einfach weil ich da war, und da? er glucklich war, weil ich bei ihm war. Wenn man das so sagt, klingt es sehr einfach, aber wenn man daruber nachdenkt, ist es eine ungeheure Sache, die uberhaupt kein Ende hat. Es ist etwas, das einen ganz zerrei?en und verandern kann. Es ist Liebe und doch etwas anderes. Etwas, wofur man leben kann. Fur die Liebe kann ein Mann nicht leben. Fur einen Menschen wohl.
Ich wollte etwas sagen, aber ich konnte es nicht. Es ist schwer, Worte zu finden, wenn man wirklich etwas zu sagen hat. Und selbst, wenn man die richtigen Worte wei?, dann schamt man sich, sie auszusprechen. Alle diese Worte gehoren noch in fruhere Jahrhunderte. Unsere Zeit hat fur ihre Gefuhle die Worte noch nicht. Sie kann nur burschikos sein – alles andere ist unecht.
»Pat«, sagte ich,»alter tapferer Bursche…«
In diesem Augenblick trat Jaffe ein. Er uberblickte sofort die Situation. »Fabelhafte Leistung«, knurrte er,»hab' mir schon so was Ahnliches gedacht.«
Ich wollte ihm etwas entgegnen, aber er warf mich kurzerhand 'raus.
XVII
Es war zwei Wochen spater. Pat hatte sich so weit erholt, da? wir zuruckreisen konnten. Wir hatten unsere Sachen gepackt und warteten auf Gottfried Lenz. Er sollte den Wagen abholen. Pat und ich wollten mit der Eisenbahn fahren.
Es war ein warmer, milchiger Tag. Die Wolken standen regungslos wie Watte am Himmel, die hei?e Luft zitterte uber den Dunen, und das Meer lag bleiern in hellem, flimmerndem Dunst.
Gottfried kam nach dem Mittagessen an. Ich sah seinen blonden Kopf schon von weitem uber die Hecken leuchten. Erst als er in den Fahrweg zur Villa Fraulein Mullers einbog, bemerkte ich, da? er nicht allein war – neben ihm tauchte eine Rennfahrerimitation in Miniaturformat auf – eine riesige karierte Mutze, die mit dem Schild nach hinten aufgesetzt war, eine machtige Staubbrille, ein wei?er Overall und ein paar gewaltige, rubinrot leuchtende Ohren.
»Mein Gott, das ist ja Jupp!« sagte ich erstaunt.
»Personlich, Herr Lohkamp!« erwiderte Jupp grinsend.
»Und in dem Aufzug! Was ist denn blo? los mit dir?«
»Das siehst du doch«, erklarte Lenz vergnugt und schuttelte mir die Hand. »Er wird zum Rennfahrer herangebildet. Seit acht Tagen bekommt er bei mir Fahrunterricht. Da hat er mich angefleht, da? ich ihn heute mitnehmen soll. Gute Gelegenheit fur ihn, seine erste Uberlandtour zu machen.«
»Werde die Sache schon schmei?en, Herr Lohkamp!« bestatigte Jupp eifrig.
»Und wie er sie schmei?en wird!« Gottfried schmunzelte.
»Ich habe so was von einem Verfolgungswahnsinnigen noch nicht gesehen! Am ersten Tag seines Fahrunterrichtes hat er schon versucht, mit unserem alten, guten Taxi einen Mercedes-Kompressor zu uberholen. Ein verdammter kleiner Satan!«
Jupp schwitzte vor Gluck und sah Lenz anbetend an. »Dachte, ich konnte den protzigen Vogel vernaschen, Herr Lenz! Wollte ihn in der Kurve schnappen, wie Herr Koster.«
Ich mu?te lachen. »Du fangst ja gut an, Jupp.«
Gottfried blickte mit vaterlichem Stolz auf seinen Fahrschuler herab.
»Zunachst schnapp dir jetzt mal die Koffer und bring sie zum Bahnhof.«
»Allein?« Jupp explodierte fast vor Spannung. »Darf ich das Stuck bis zum Bahnhof ganz allein fahren, Herr Lenz?«
Gottfried nickte, und Jupp raste ins Haus.
Wir gaben die Koffer auf. Dann holten wir Pat ab und fuhren zum Bahnhof. Es war noch eine Viertelstunde zu fruh, als wir ankamen. Der Bahnsteig war leer. Nur ein paar Milchkannen standen herum.
»Fahrt nur los«, sagte ich. »Ihr kommt sonst zu spat nach Hause.«
Jupp am Steuer sah mich beleidigt an.
»Solche Bemerkungen gefallen dir nicht, was?« fragte Lenz ihn.
Jupp richtete sich auf. »Herr Lohkamp«, sagte er vorwurfsvoll,»ich habe mir die Sache genau durchgerechnet. Wir sind bequem um acht Uhr in der Werkstatt.«
»Sehr richtig!« Lenz klopfte ihm auf die Schulter. »Biete ihm doch eine Wette an, Jupp. Um eine Flasche Selterswasser.«»Selterswasser nicht«, erwiderte Jupp,»aber eine Schachtel Zigaretten riskiere ich sofort.« Er schaute mich herausfordernd an. »Wei?t du auch, da? die Stra?en ziemlich schlecht sind?« fragte ich. »Alles einkalkuliert, Herr Lohkamp!«»Und an die Kurven hast du auch gedacht?«»Kurven machen mir nichts aus. Ich habe keine Nerven.«»Gut, Jupp«, sagte ich ernsthaft. »Dann halte ich die Wette. Aber Herr Lenz darf unterwegs nicht fahren.« Jupp legte die Hand auf die Brust. »Mein Ehrenwort!«»Gut, gut. Aber sag mal, was haltst du denn da so krampfhaft in der Hand?«»Meine Stoppuhr. Ich will unterwegs die Zeit nehmen. Mochte doch mal sehen, was der Schlitten leistet.« Lenz schmunzelte. »Ja, Kinder, Jupp ist prima ausgerustet. Ich glaube, der brave, alte Citroen zittert schon in allen Knochen vor ihm.« Jupp uberhorte die Ironie. Er zerrte aufgeregt an seiner Mutze. »Dann wollen wir los, Herr Lenz, was? Wette ist Wette!«»Naturlich, du kleiner Kompressor! Auf Wiedersehen, Pat! Bis nachher, Robby!« Gottfried kletterte in den Sitz. »So, Jupp, nun zeige der Dame mal, wie ein Kavalier und kunftiger Weltmeister startet!«
Jupp schob die Rennbrille vor die Augen, winkte wie ein Alter und zog schneidig im ersten Gang uber das Kopfsteinpflaster der Chaussee zu.
Pat und ich sa?en noch eine Weile vor dem Bahnhof auf einer Bank. Die hei?e, wei?e Sonne lag breit auf der holzernen Wand, die den Bahnsteig absperrte. Es roch nach Harz und Salz. Pat lehnte den Kopf zuruck und schlo? die Augen. Sie sa? ganz still, das Gesicht der Sonne zugewendet.
»Bist du mude?« fragte ich.
Sie schuttelte den Kopf. »Nein, Robby.«
»Da kommt der Zug«, sagte ich.
Die Lokomotive stampfte heran, schwarz, klein und verloren vor der zitternden, gro?en Weite. Wir stiegen ein. Der Zug war wenig besetzt. Er fuhr schnaufend an. Der Rauch der Lokomotive blieb dick und schwarz in der Luft stehen. Langsam drehte sich die Landschaft vorbei, das Dorf mit den braunen Strohdachern, die Wiesen mit Kuhen und Pferden, der Wald, und dann, friedlich und sehr verschlafen in der Mulde hinter den Dunen, das Haus von Fraulein Muller.
Pat stand neben mir am Fenster und schaute hinuber. Die Strecke fuhrte in einer Kurve naher heran, und man konnte deutlich die Fenster unserer Zimmer sehen. Sie standen offen, und das wei?e Bettzeug war halb herausgelegt in die Sonne.
»Da ist Fraulein Muller«, sagte Pat.
Sie stand vor der Haustur und winkte. Pat holte ihr Taschentuch hervor und lie? es zum Fenster hinausflattern.
»Das sieht sie nicht«, sagte ich,»es ist zu klein und zu dunn. Hier, nimm meines.«
Sie nahm es und winkte. Fraulein Muller winkte heftig zuruck.
Der Zug gewann allmahlich das freie Feld. Das Haus versank, und die Dunen blieben zuruck. Hinter dem schwarzen Strich des Waldes blinkte eine Zeitlang noch ab und zu das Meer auf. Es blinkte wie ein lauerndes, mudes Auge. Dann kam das sanfte Goldgrun der Felder und dehnte sich im weichen Wind der Ahren bis zum Horizont.
Pat gab mir mein Taschentuch zuruck und setzte sich in eine Ecke. Ich zog das Fenster hoch. Vorbei! dachte ich, Gott sei Dank, vorbei! Es war nichts als ein Traum! Ein verfluchter, boser Traum!
Kurz vor sechs Uhr kamen wir in der Stadt an. Ich nahm ein Taxi und verstaute die Koffer. Dann fuhren wir zu