Ich lachte. »Heute nicht. Ich habe heute morgen schon gebetet. Das reicht bei mir fur den ganzen Tag.«

»Rede keinen Unsinn, Baby! Komm mit. Ich will gro?mutig sein und dir was zeigen.«

Neugierig folgte ich ihm. Wir gingen durch die kleine Eingangstur und kamen von dort sofort in die Kreuzgange. Sie bildeten ein gro?es Viereck und bestanden aus langen Bogenreihen, die auf der Innenseite von grauen Granitsaulen gestutzt wurden und einen Garten einrahmten. In der Mitte erhob sich ein gro?es, verwittertes Kreuz mit der Figur Christi. An den Seiten waren steinerne Reliefbilder der Stationen des schmerzhaften Rosenkranzes aufgestellt. Vor jedem Bilde befand sich eine alte Betbank. Der Garten war verwildert und bluhte uber und uber.

Gottfried zeigte auf ein paar machtige wei?e und rote Rosenbusche. »Das wollte ich dir zeigen! Erkennst du sie wieder?«

Uberrascht blieb ich stehen. »Naturlich erkenne ich sie wieder«, sagte ich. »Also hier hast du geerntet, du alter Kirchenrauber!«

Pat war vor einer Woche zu Frau Zalewski umgezogen, und Lenz hatte ihr abends durch Jupp einen riesigen Strau? Rosen geschickt. Es war eine solche Menge gewesen, da? Jupp zweimal herunter mu?te und jedesmal mit beiden Armen voll wiederkam. Ich hatte mir schon den Kopf zerbrochen, wo Gottfried sie nur herhaben mochte, denn ich kannte sein Prinzip, Blumen niemals zu kaufen. In den stadtischen Anlagen hatte ich sie nie gesehen.

»Das ist eine Idee!« sagte ich anerkennend. »Darauf soll ein Mensch kommen!«

Gottfried schmunzelte. »Der Garten hier ist eine wahre Goldgrube!« Er legte mir feierlich die Hand auf die Schulter. »Hiermit nehme ich dich als Teilhaber auf! Denke, du kannst es gerade jetzt gut gebrauchen!«

»Wieso gerade jetzt?« fragte ich.

»Weil die stadtischen Anlagen augenblicklich ziemlich kahl sind. Und die waren ja wohl bisher deine einzige Weide, was?«

Ich nickte.

»Au?erdem«, erklarte Gottfried weiter,»kommst du jetzt in die Zeit, wo sich der Unterschied zwischen einem Bourgeois und einem Kavalier zeigt. Der Bourgeois wird immer unaufmerksamer, je langer er eine Frau kennt. Der Kavalier immer aufmerksamer.« Er machte eine weitlaufige Handbewegung. »Hiermit kannst du ein geradezu erschutternder Kavalier werden!«

Ich lachte. »Alles ganz gut, Gottfried«, sagte ich. »Aber wie ist das, wenn man erwischt wird? Man kann hier schlecht ausrei?en, und fromme Leute bezeichnen so was leicht als Schandung heiliger Statten.«

»Mein lieber Junge«, erwiderte Lenz,»siehst du hier jemand? Seit dem Kriege gehen die Leute in politische Versammlungen, aber nicht in die Kirche.«

Das war richtig. »Aber wie ist es mit den Pastoren?« fragte ich.

»Den Pastoren sind die Blumen egal, sonst ware der Garten besser gepflegt. Und der liebe Gott hat hochstens seinen Spa? dran, wenn du jemand damit eine Freude machst. Der ist gar nicht so.«

»Da hast du recht!« Ich betrachtete die riesigen alten Busche. »Fur die nachsten Wochen habe ich damit ausgesorgt, Gottfried.«

»Langer. Du hast Gluck. Es ist eine sehr dauerhafte, lange bluhende Rosensorte. Du reichst damit mindestens bis September. Und von da an gibt es hier dann Astern und Chrysanthemen. Komm, ich zeige sie dir auch gleich.«

Wir gingen durch den Garten. Die Rosen dufteten betaubend. Wie eine summende Wolke flogen Bienenschwarme von Blute zu Blute.

»Sieh dir das an«, sagte ich und blieb stehen. »Wo mogen die nur herkommen? Mitten in der Stadt? Hier gibt es in der Nahe doch gar keine Bienenkorbe. Oder glaubst du, da? die Pastoren welche auf ihren Dachern stehen haben?«

»Nein, Bruder«, erwiderte Lenz. »Die kommen todsicher von irgendeinem Bauernhof. Sie kennen nur eben ihren Weg.« Er zwinkerte mit den Augen. »Wir nicht, was?«

Ich hob die Schultern.

»Vielleicht doch. Wenigstens ein kleines Stuck. Soweit man es eben kann. Du nicht?«

»Nein. Will's auch gar nicht wissen. Ziele machen das Leben burgerlich.«

Ich blickte zum Domturm hinauf. Seidengrun stand er vor dem blauen Himmel, unendlich alt und ruhig, von Schwalben umflogen.

»Wie still es hier ist«, sagte ich.

Lenz nickte. »Ja, mein Alter, hier merkt man, da? einem eigentlich nur Zeit gefehlt hat, um ein guter Mensch zu werden, was?«

»Zeit und Ruhe«, erwiderte ich. »Ruhe auch.«

Er lachte. »Zu spat! Jetzt ist es schon so weit, da? man die Ruhe nicht mehr aushaken konnte. Also los! Wieder hinein in den Radau!«

Ich setzte Gottfried ab und fuhr zum Stand zuruck. Unterwegs kam ich am Friedhof vorbei. Ich wu?te, da? Pat jetzt in ihrem Liegestuhl auf dem Balkon lag, und hupte ein paarmal. Aber es zeigte sich nichts, und ich fuhr weiter. Dafur sah ich ein Stuck weiter Frau Hasse in einer Art taftseidenem Umhang die Stra?e entlangrudern und um die Ecke verschwinden. Ich fuhr ihr nach, um sie zu fragen, ob ich sie irgendwo hinbringen konnte. Aber als ich an die Kreuzung kam, sah ich, da? sie in einen Wagen stieg, der hinter der Ecke gehalten hatte. Es war eine etwas klapprige Mercedeslimousine aus dem Jahre 23, die gleich darauf losratterte. Ein Mann mit einer Nase wie ein Entenschnabel und einem auffallend karierten Anzug sa? am Steuer. Ich schaute dem Wagen ziemlich lange nach. Das kam also dabei heraus, wenn eine Frau dauernd allein zu Hause sa?. Nachdenklich fuhr ich zum Stand und stellte mich in die Reihe der wartenden Taxis.

Die Sonne brutete auf das Verdeck. Es ging nur langsam vorwarts. Ich doste vor mich hin und versuchte zu schlafen. Doch das Bild von Frau Hasse ging mir nicht aus dem Kopf. Es war etwas ganz anderes, aber schlie?lich war Pat auch den ganzen Tag allein.

Ich stieg aus und ging nach vorn zu Gustavs Wagen. »Hier, trink mal«, forderte er mich auf und hielt mir eine Thermosflasche hin.

»Wunderbar kalt! Eigene Erfindung! Kaffee mit Eis. Bleibt stundenlang so bei der Hitze. Ja, Gustav ist praktisch!«

Ich nahm einen Becher und trank ihn aus. »Wenn du so praktisch bist«, sagte ich,»dann erzahl mir doch mal, wie man einer Frau etwas Unterhaltung verschaffen kann, wenn sie viel allein ist.«

»So was Einfaches!« Gustav sah mich uberlegen an. »Mensch, Robert! Ein Kind oder ein Hund! Frag mich mal was Schwereres!«

»Ein Hund!« sagte ich uberrascht,»verflucht ja, ein Hund! Da hast du recht! Mit einem Hund ist man nie allein.«

Ich bot ihm eine Zigarette an. »Hor mal, hast du zufallig eine Ahnung von so was? So ein Koter mu? doch jetzt billig zu kaufen sein.«

Gustav schuttelte vorwurfsvoll den Schadel. »Aber Robert, du wei?t wahrhaftig noch gar nicht, was du an mir hast! Mein kunftiger Schwiegervater ist doch zweiter Schriftfuhrer vom Dobermannpinscherverein! Naturlich kannst du einen Jungruden haben, umsonst sogar, erstklassige Blutfuhrung. Wir haben da einen Wurf, vierzwei, Gro?mutter Siegerin Hertha von der Toggenburg.«

Gustav war ein gesegneter Mensch. Der Vater seiner Braut war nicht nur Dobermannzuchter, sondern auch Gastwirt, Besitzer der Neuen Klause – seine Braut besa? au?erdem eine Plisseeplatterei. Gustav stand sich dadurch erstklassig. Beim Schwiegervater a? und trank er umsonst, und die Braut wusch und plattete seine Hemden. Er hutete sich zu heiraten. Dann war er es, der sorgen mu?te.

Ich erklarte Gustav, da? ein Dobermann nicht das richtige sei. Er ware mir zu gro? und nicht zuverlassig im Charakter. Gustav uberlegte nur kurz. »Komm mal mit«, sagte er. »Wollen mal spekulieren gehen. Ich wei? da was. Darfst mir nur nicht dazwischenreden.«

»Gut.«

Er fuhrte mich zu einem kleinen Geschaft. Im Schaufenster standen veralgte Aquarien. In einer Kiste hockten ein paar trubselige Meerschweinchen. An den Seiten hingen Kafige mit rastlos herumturnenden Zeisigen, Dompfaffen und Kanarienvogeln.

Ein krummbeiniger kleiner Mann mit einer braunen Strickweste kam uns entgegen. Wasserige Augen, fahle Haut, ein Leuchtkolben als Nase: Bier- und Schnapstrinker.

»Sag mal, Anton, was macht Asta?« fragte Gustav.

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