»Zweiter Preis und Ehrenpreis in Koln«, erwiderte Anton.

»Gemeinheit!« erklarte Gustav. »Warum nicht den ersten?«»Den ersten ha'm sie Udo vom Blankenfels gegeben«, knurrte Anton.

»Da? ich nicht meckere! Bei der Hinterhand!«

Im Hintergrund des Ladens klaffte und winselte es. Gustav ging hinuber. Er brachte im Genick zwei kleine Terrier heran, links einen schwarzwei?en, rechts einen rotbraunen. Unmerklich zuckte die Hand mit dem rotbraunen. Ich sah ihn an: ja.

Es war ein wunderschoner, spielerischer Hund. Die Beine gerade, der Korper quadratisch, der Kopf viereckig, klug und frech. Gustav lie? beide laufen.

»Komischer Bastard«, sagte er und zeigte auf den Rotbraunen. »Wo hast du denn den her?«

Anton hatte ihn angeblich von einer Dame, die nach Sudamerika gereist war. Gustav brach in ein unglaubiges Gelachter aus. Anton zeigte beleidigt einen Stammbaum vor, der bis auf die Arche Noah ging. Gustav winkte ab und interessierte sich fur den Schwarzwei?en. Anton verlangte hundert Mark fur den Rotbraunen. Gustav bot funf. Ihm gefiel der Urgro?vater nicht. Er makelte auch am Schwanz herum. Die Ohren waren ebenfalls nicht richtig. Der Schwarzwei?e, der war tipptopp.

Ich stand in der Ecke und horte zu. Plotzlich griff etwas nach meinem Hut. Erstaunt drehte ich mich um. Ein kleiner Affe sa? in der Ecke auf seiner Stange, ein bi?chen zusammengekrummt, mit gelbem Fell und traurigem Gesicht. Er hatte schwarze, runde Augen und die bekummerten Lippen einer alten Frau. Um den Bauch hatte er einen Ledergurt geschlungen, an dem eine Kette befestigt war. Die Hande waren klein, schwarz und erschreckend menschlich.

Ich blieb stehen und verhielt mich ruhig. Langsam ruckte der Affe auf seiner Stange naher. Er sah mich dabei dauernd an, nicht mi?trauisch, sondern mit einem merkwurdigen, verhaltenen Blick. Vorsichtig streckte er schlie?lich seine Hand aus. Ich hielt ihm einen Finger hin. Er zuckte zuruck, dann nahm er ihn. Es war sonderbar, die kuhle Kinderhand zu fuhlen, wie sie meinen Finger umklammerte. Es war, als wolle sich ein armer, stummer, in diesen gekrummten Korper verschlagener Mensch hinausretten. Man konnte die todtraurigen Augen nicht lange ansehen.

Schnaufend tauchte Gustav aus dem Wald von Stammbaumen wieder auf. »Also abgemacht, Anton, du kriegst einen Dobermannruden aus Hertha dafur. Das beste Geschaft deines Lebens!« Dann wandte er sich zu mir. »Willst du ihn gleich mitnehmen?«

»Was kostet er denn?«

»Nichts. Getauscht gegen den Dobermann, den ich dir vorhin geschenkt habe. Ja, Gustav mu? man machen lassen! Gustav ist goldrichtig.«

Wir machten ab, da? ich den Hund spater holen sollte, wenn ich mit dem Taxifahren fertig war.

»Wei?t du, was du da gekriegt hast?« fragte Gustav mich drau?en. »Ganz was Rares. Einen Irischen Terrier. Primissima. Ohne jeden Fehler. Und einen Stammbaum dazu, Mann Gottes, den darfst du dir gar nicht ansehen, sonst mu? du dich immer erst verbeugen, bevor du das Vieh anredest.«

»Gustav«, sagte ich,»du hast mir einen gro?en Gefallen getan. Komm, wir trinken jetzt den altesten Kognak miteinander, den wir auf treiben konnen.«

»Heute nicht!« erklarte Gustav. »Heute mu? ich eine sichere Hand haben. Ich gehe abends in meinen Verein kegeln. Versprich mir, da? du mal mitkommst. Alles hochanstandige Leute da, ein Oberpostsekretar sogar.«

»Ich komme«, sagte ich. »Auch wenn der Oberpostsekretar nicht da ist.«

Kurz vor sechs Uhr fuhr ich in die Werkstatt zuruck. Koster erwartete mich. »Jaffe hat heute nachmittag telefoniert. Du sollst ihn anrufen.«

Ich bekam einen Augenblick keinen Atem. »Hat er was gesagt, Otto?«

»Nein, nichts Besonderes. Nur da? er bis funf in seiner Sprechstunde ist. Nachher im Dorotheenkrankenhaus. Du wirst also dort anrufen mussen.«

»Gut.«

Ich ging ins Buro. Es war warm und stickig, aber ich fror, und der Telefonhorer zitterte in meiner Hand. »Unsinn«, sagte ich und stutzte den Arm fest auf den Tisch.

Es dauerte lange, bis ich Jaffe erreichte. »Haben Sie Zeit?« fragte er.

»Ja.«

»Dann kommen Sie doch gleich hier heraus. Ich bin noch eine Stunde da.«

Ich wollte ihn fragen, ob etwas mit Pat passiert sei. Aber ich brachte es nicht fertig. »Gut«, sagte ich,»in zehn Minuten bin ich da.«

Ich legte den Horer auf und rief sofort zu Hause an. Das Dienstmadchen war am Apparat. Ich fragte nach Pat. »Wei? nicht, ob sie da ist«, sagte Frida brummig. »Will mal nachsehen.«

Ich wartete. Mein Kopf war dick und hei?. Es dauerte endlos. Dann horte ich ein Scharren und Pats Stimme. »Robby?«

Ich schlo? einen Moment die Augen. »Wie geht es, Pat?«

»Gut. Ich hab bis eben auf dem Balkon gesessen und gelesen. Ein aufregendes Buch.«

»So, ein aufregendes Buch«, sagte ich. »Das ist ja schon. Ich wollte dir nur sagen, da? ich heute ein bi?chen spater nach Hause komme. Bist du schon fertig mit deinem Buch?«»Nein, ich bin mittendrin. Ein paar Stunden reicht es noch.«

»Bis dahin bin ich langst da. Und nun lies rasch weiter.«

Ich blieb einen Augenblick sitzen. Dann stand ich auf.

»Otto«, sagte ich,»kann ich Karl mal haben?«

»Naturlich. Wenn du willst, fahre ich mit. Ich habe hier nichts zu tun.«

»Ist nicht notig. Es ist weiter nichts. Ich habe schon zu Hause angerufen.«

Welch ein Licht, dachte ich, als Karl auf die Stra?e hinausscho?, welch ein wunderbares Abendlicht uber den Dachern! Wie voll und su? das Leben ist!

Ich mu?te ein paar Minuten auf Jaffe warten. Eine Schwester fuhrte mich in ein kleines Zimmer, in dem alte Zeitschriften umherlagen. Ein paar Blumentopfe mit Rankengewachsen standen auf der Fensterbank. Es waren immer dieselben Zeitschriften in braunen Umschlagen und immer dieselben traurigen Rankengewachse; man fand sie nur in Wartezimmern von Arzten und Krankenhausern.

Jaffe kam herein. Er trug einen schneewei?en Mantel, der noch die Plattkniffe zeigte. Aber als er sich zu mir setzte, sah ich an der Innenseite des rechten Armels einen ganz kleinen hellroten Blutspritzer. Ich hatte in meinem Leben viel Blut gesehen – aber dieser winzige Fleck wirkte auf einmal beklemmender auf mich als noch so viele blutgetrankte Verbande. Meine zuversichtliche Stimmung erlosch.

»Ich habe Ihnen versprochen zu sagen, wie es mit Fraulein Hollmann steht«, sagte Jaffe.

Ich nickte und sah auf die Tischdecke. Sie hatte ein buntes Pluschmuster. Ich starrte auf die ineinander geschachtelten Sechsecke und hatte das verruckte Gefuhl, da? alles gut gehen wurde, wenn ich nur aushaken und nicht blinzeln mu?te, ehe Jaffe weitersprach.

»Sie war vor zwei Jahren sechs Monate im Sanatorium.

Wissen Sie das?«

»Nein«, sagte ich und sah weiter auf die Tischdecke.

»Es hatte sich danach gebessert. Ich habe sie jetzt genau untersucht. Sie mu? diesen Winter unbedingt noch einmal hin. Sie kann nicht hier in der Stadt bleiben.«

Ich blickte noch immer auf die Sechsecke. Sie verschwammen und begannen zu tanzen. »Wann mu? sie fort?« fragte ich.

»Im Herbst. Spatestens Ende Oktober.«

»Es war also keine vorubergehende Blutung?«

»Nein.«

Ich hob die Augen. »Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen«, fuhr Jaffe fort,»da? diese Krankheit ganz unberechenbar ist. Vor einem Jahr schien sie zu stehen, die Verkapselung war eingetreten, und es war anzunehmen, da? sie geschlossen blieb. Ebenso, wie sie jetzt wieder aufgebrochen ist, kann sie uberraschend wieder zum Stillstand kommen. Ich sage das nicht so daher – es ist wirklich so. Ich selbst habe merkwurdige Heilungen erlebt.«

»Verschlimmerungen auch?«

Er sah mich an. »Das auch, naturlich.«

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