Wir hielten an und rauchten. »Konnen jetzt umkehren«, sagte Koster dann.
Ich fuhr in die Stadt zuruck und stieg aus. »War gut, da? wir gefahren sind, Otto. Bin jetzt druber weg.«
»Ich zeige dir nachstens mal eine andere Kurventechnik«, sagte er. »'rumwerfen mit der Bremse. Kann man aber nur machen, wenn die Stra?en trockener sind.«
»Schon, Otto. Schlaf gut.«
»Schlaf gut, Robby.«
Karl fegte los. Ich ging ins Haus. Ich war sehr erschopft, aber ganz ruhig und nicht mehr traurig.
XXIII
Anfang November verkauften wir den Citroen. Das Geld reichte, um die Werkstatt eine Weile weiterzufuhren, aber unsere Lage wurde von Woche zu Woche schlechter. Die Leute stellten im Winter ihre Wagen ein, um Benzin und Steuern zu sparen, und Reparaturen kamen immer weniger vor. Wir halfen uns zwar mit dem Taxi durch, aber der Verdienst war fur drei zu knapp, und ich war deshalb ganz froh, als der Wirt vom International mir vorschlug, vom Dezember ab wieder jeden Abend bei ihm Klavier zu spielen. Er hatte in der letzten Zeit Gluck gehabt; der Viehhandlerverband hatte seine wochentlichen Vereinsabende in ein Hinterzimmer des International verlegt, dann war der Pferdehandlerverband nachgefolgt und zum Schlu? noch die Gesellschaft fur Feuerbestattung auf gemeinnutziger Grundlage. Auf diese Weise konnte ich Lenz und Koster das Taxi lassen, und mir war es auch sonst ganz recht – wu?te ohnehin oft nicht, wie ich die Abende herumbringen sollte.
Pat schrieb mir regelma?ig. Ich wartete auf ihre Briefe, aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie lebte, und manchmal, in den dunklen, schmutzigen Dezemberwochen, wo es nicht einmal mittags richtig hell wurde, glaubte ich, sie sei mir langst entglitten, und alles sei vorbei. Es schien mir endlos, seit sie fort war, und ich konnte mir nicht vorstellen, da? sie wiederkommen wurde. Dann kamen Abende voll schwerer, wilder Sehnsucht, wo nichts mehr half, als mit den Huren und den Viehhandlern bis morgens zu sitzen und zu trinken.
Der Wirt hatte die Erlaubnis bekommen, das International am Weihnachtsabend offenzuhalten. Es sollte eine gro?e Feier fur die Junggesellen aller Vereine stattfinden. Der Vorsitzende des Viehhandlerverbandes, der Schweinehandler Stefan Grigoleit, stiftete dazu zwei Spanferkel und eine Anzahl Eisbeine. Er war seit zwei Jahren Witwer und eine weiche Natur; da wollte er Weihnachten in Gesellschaft verbringen.
Der Wirt erstand eine vier Meter hohe Edeltanne, die neben der Theke aufgebaut wurde. Rosa, die Autoritat in allem, was traulich und gemutlich hie?, ubernahm es, den Baum zu schmucken. Marion und der schwule Kiki, der infolge seiner Veranlagung auch viel Sinn fur Schonheit hatte, halfen ihr. Die drei begannen mittags mit ihrer Arbeit. Sie verbrauchten eine Unmenge bunter Kugeln, Kerzen und Lametta, aber der Baum sah zum Schlu? dafur auch gro?artig aus. Als besondere Aufmerksamkeit fur Grigoleit wurde eine Anzahl rosa Marzipanschweinchen hineingehangt.
Ich hatte mich nachmittags zu Bett gelegt, um ein paar Stunden zu schlafen. Als ich aufwachte, war es dunkel. Ich mu?te mich einen Augenblick besinnen, ob es Abend oder Morgen war. Ich hatte getraumt, aber ich wu?te nicht mehr wovon. Ich war weit weg gewesen, und ich glaubte noch zu horen, da? eine schwarze Tur hinter mir zuschlug. Dann merkte ich, da? jemand klopfte.
»Wer ist da?« rief ich.
»Ich, Herr Lohkamp.«
Ich erkannte die Stimme Frau Zalewskis. »Kommen Sie herein«, rief ich. »Die Tur ist offen.«
Die Klinke knirschte, und ich sah Frau Zalewski vor dem gelben Licht des Korridors im Turrahmen stehen. »Frau Hasse ist da«, flusterte sie. »Kommen Sie rasch. Ich kann es ihr nicht sagen.«
Ich ruhrte mich nicht. Ich mu?te mich erst zurechtfinden.
»Schicken Sie sie zur Polizei«, erwiderte ich dann.
»Herr Lohkamp!« Frau Zalewski hob die Hande. »Es ist niemand sonst da. Sie mussen mir helfen. Sie sind doch ein Christenmensch!«
Sie stand wie ein tanzender schwarzer Schatten im Viereck der Turoffnung. »Horen Sie auf«, sagte ich argerlich. »Ich komme schon.«
Ich zog mich an und ging hinaus. Frau Zalewski wartete drau?en auf mich. »Wei? sie schon was?« fragte ich.
Sie schuttelte den Kopf und pre?te ihr Taschentuch an die Lippen.
»Wo ist sie denn?«
»In ihrem fruheren Zimmer.«
Vor der Kuche stand Frida, schwitzend vor Aufregung. »Sie hat einen Hut auf, ganz mit Reihern, und eine Diamantbrosche an«, flusterte sie.
»Passen Sie auf, da? dieser verkorkste Kuchentrampel nicht lauscht«, sagte ich zu Frau Zalewski und ging hinein.
Frau Hasse stand am Fenster. Sie schnellte herum, als ich hereinkam. Sie hatte sichtlich jemand anderes erwartet. Es war idiotisch, aber mein erster Blick galt dem Hut und der Brosche, obschon ich es nicht wollte. Frida hatte recht; der Hut war pompos. Die Brosche weniger. Die ganze Person war ziemlich aufgedonnert, so wie jemand, der einem andern zeigen will, wie gut es ihm geht. Im ganzen sah sie nicht schlecht aus; besser jedenfalls als das ganze Jahr, wahrend sie hier gewesen war.
»Hasse arbeitet wohl noch am Heiligen Abend, wie?« fragte sie spitz.
»Nein«, sagte ich. »Wo ist er denn? Auf Urlaub?«
Sie kam auf mich zu, schaukelnd in den Huften. Ich roch ihr zu starkes Parfum. »Was wollen Sie denn noch von ihm?« fragte ich.
»Meine Sachen erledigen. Abrechnen. Schlie?lich gehort mir doch ein Teil davon.«
»Das brauchen Sie nicht mehr«, sagte ich. »Es gehort Ihnen jetzt alles.« Sie starrte mich an.
»Er ist tot«, sagte ich.
Ich hatte es ihr gern anders gesagt. Mit mehr Vorbereitung und langsamer. Aber ich wu?te nicht, wie ich es anfangen sollte. Au?erdem war mein Kopf noch wust vom Nachmittagsschlaf; diesem Schlaf, bei dem man dem Selbstmord nahe ist, wenn man aufwacht.
Frau Hasse stand mitten im Zimmer, und merkwurdigerweise sah ich im Moment, wo ich es ihr sagte, ganz deutlich, da? sie nirgendwo gegenschlagen wurde, wenn sie jetzt umfiele. Es war sonderbar, aber ich sah wirklich nichts anderes und dachte auch nichts anderes.
Doch sie fiel nicht um. Sie blieb stehen und blickte mich an. »So«, sagte sie,»so…« Nur die Federn ihres Reiherhutes zitterten. Und plotzlich, ohne da? ich merken konnte, was vor sich ging, sah ich, wie die aufgeputzte, parfumierte Frau vor mir alt wurde. Es war, als schluge die Zeit wie ein Gewitterregen auf sie ein, jede Sekunde wie ein Jahr – die Spannung zerbrach, der Triumph erlosch, das Gesicht wurde morsch. Falten krochen wie Wurmer hinein, und als sie dann mit einer tastenden, unsicheren Bewegung nach einer Stuhllehne griff und sich hinsetzte, als furchte sie, etwas zu zerbrechen, da war es, als ware das nicht derselbe Mensch – so mude, verfallen und alt sah sie aus.
»Was hat er gehabt?« fragte sie, ohne die Lippen zu bewegen.
»Es ist plotzlich gekommen«, sagte ich.
Sie horte nicht zu. Sie blickte auf ihre Hande. »Was mache ich jetzt?« murmelte sie. »Was mache ich nur jetzt?«
Ich wartete eine Zeitlang. Ich fuhlte mich scheu?lich. »Sie haben doch sicher jemand, zu dem Sie gehen konnen«, sagte ich schlie?lich. »Es ist am besten, Sie bleiben nicht hier. Sie wollten doch auch nicht hierbleiben…«
»Das ist doch alles anders nun«, erwiderte sie, ohne aufzusehen. »Was soll ich jetzt nur machen?«
»Sie haben doch sicher jemand, der auf Sie wartet. Gehen Sie zu ihm und besprechen Sie alles mit ihm. Und dann gehen Sie nach Weihnachten zum Polizeirevier. Da sind die Sachen hinterlegt, auch die Bankausweise. Sie mussen sich dort melden, damit Sie das Geld ausgezahlt bekommen.«
»Geld, Geld«, murmelte sie stumpf. »Was fur Geld?«
»Ziemlich viel. Zwolfhundert Mark ungefahr.«
Sie hob den Kopf. Ihre Augen hatten plotzlich einen irrsinnigen Ausdruck. »Nein!« kreischte sie,»das ist nicht