wahr!«

Ich gab keine Antwort. »Sagen Sie, da? es nicht wahr ist«, flusterte sie.

»Vielleicht ist es nicht wahr. Aber vielleicht hat er es auch heimlich als Notgroschen zuruckgelegt.«

Sie stand auf. Sie war auf einmal vollig verandert. Ihre Bewegungen hatten etwas ruckartig Mechanisches. Sie naherte ihr Gesicht ganz dicht dem meinen. »Ja, es ist wahr«, zischte sie,»ich fuhle, es ist wahr! Dieser Schuft! Oh, dieser Schuft! La?t mich das alles durchmachen, und dann ist es so! Aber ich werde es nehmen und werde es 'rausschmei?en, alles an einem Abend, auf die Stra?e werde ich es schmei?en, damit nichts mehr davon bleibt! Nichts! Nichts!«

Ich schwieg. Ich hatte genug. Sie war uber den Anfang hinweg, sie wu?te, da? Hasse tot war, mit dem andern mu?te sie nun selbst fertig werden. Wahrscheinlich wurde sie noch einmal umkippen, wenn sie horte, da? er sich erhangt hatte, aber das war ihre eigene Sache. Man konnte Hasse ihretwegen nicht wieder lebendig machen.

Sie weinte jetzt. Sie quoll nur so uber von Tranen. Sie weinte hoch und klaglich, wie ein Kind. Es dauerte eine Zeitlang. Ich hatte viel gegeben, wenn ich eine Zigarette hatte rauchen konnen. Ich konnte nicht sehen, wenn jemand weinte.

Endlich horte sie auf. Sie trocknete ihr Gesicht, holte mechanisch ihre Puderdose hervor und puderte sich, ohne in den Spiegel zu schauen. Dann steckte sie die silberne Dose wieder weg, aber sie verga? ihre Handtasche zu schlie?en. »Ich wei? nichts mehr«, sagte sie mit gebrochener Stimme,»ich wei? nichts mehr. Er war wohl ein guter Mann.«

»Das war er.«

Ich sagte ihr noch die Adresse des Polizeireviers und da? es heute schon geschlossen sei. Es schien mir besser, wenn sie nicht gleich hinging. Es war genug fur heute.

Als sie fort war, kam Frau Zalewski aus ihrem Salon. »Ist denn au?er mir kein Mensch hier?« fragte ich, wutend uber mich selbst.

»Nur Herr Georgie. Was hat sie denn gesagt?«-»Nichts.«

»Um so besser.«

»Je nachdem. Manchmal ist es auch nicht besser.«

»Ich habe kein Mitleid mit ihr«, erklarte Frau Zalewski energisch. »Nicht das geringste.«

»Mitleid ist der nutzloseste Artikel, den es auf der Welt gibt«, sagte ich argerlich. »Es ist die Kehrseite der Schadenfreude, das sollten Sie wissen. Wie spat ist es denn jetzt?«

»Dreiviertel sieben.«

»Ich mochte um sieben mit Fraulein Hollmann telefonieren. Aber so, da? keiner zuhort. Geht das?«

»Es ist ja niemand da, au?er Herr Georgie. Frida habe ich schon fortgeschickt. Wenn Sie wollen, konnen Sie sich auch in die Kuche setzen. Das Kabel reicht gerade so weit.«

»Gut.«

Ich klopfte bei Georgie. Es war lange her, da? ich bei ihm gewesen war. Er hockte an seinem Schreibtisch und sah verdammt schlecht aus. Rund um ihn herum lag ein Haufen zerrissenes Papier. »Tag, Georgie«, sagte ich,»was machst du denn da?«

»Inventur«, erwiderte er mit einem matten Lacheln. »Gute Weihnachtsbeschaftigung.«

Ich buckte mich nach einem der Papierfetzen. Es waren Kolleghefte mit chemischen Formeln. »Wozu?« fragte ich.

»Hat keinen Zweck mehr, Robby.«

Er sah ziemlich durchsichtig aus. Die Ohren waren wie aus Wachs. »Was hast du heute gegessen?« fragte ich.

Er wehrte ab. »Das ist ja egal. Das ist es auch nicht. Das Essen nicht. Aber ich kann einfach nicht mehr weiter. Ich mu? es aufgeben.«

»Ist das so schlimm?«

»Ja«, sagte er.

»Georgie«, erwiderte ich ruhig,»sieh mich mal an. Glaubst du nicht, da? ich auch mal was anderes werden wollte als Klavierspieler in der Hurenbude, dem Cafe International?«

Er knetete an seinen Handen herum. »Ich wei? es, Robby. Aber es hilft mir nichts. Fur mich war es alles. Und jetzt habe ich eingesehen, da? es keinen Zweck hat. Da? nichts einen Zweck hat. Wozu lebt man da eigentlich?«

Ich mu?te lachen, so jammerlich er auch dasa?, und so bitterernst es ihm war. »Du kleiner Esel«, sagte ich,»da hast du aber was entdeckt! Glaubst du, du bist allein mit deiner grandiosen Weisheit? Naturlich hat's keinen Zweck. Man lebt auch nicht fur einen Zweck. So einfach ist das nun doch nicht. Komm, zieh dich an. Du gehst mit mir ins International. Wir wollen feiern, da? du ein Mann geworden bist. Bislang warst du ein Schuljunge. Ich hole dich in einer halben Stunde ab.«

»Nein«, sagte er.

Er war verdammt herunter. »Doch«, sagte ich. »Du wirst mir den Gefallen tun. Ich mochte heute nicht allein sein.«

Er blickte mich zweifelnd an. »Meinetwegen«, erwiderte er dann mutlos. »Ist ja schlie?lich egal.«

»Na siehst du«, sagte ich. »Fur den Anfang ist das schon ein ganz hubscher Wahlspruch.«

Um sieben Uhr meldete ich das Gesprach mit Pat an. Von dieser Zeit an kostete es die halbe Taxe, und ich konnte doppelt so lange telefonieren. Ich setzte mich auf den Tisch im Vorzimmer und wartete. In die Kuche wollte ich nicht gehen. Es roch da nach grunen Bohnen, und damit wollte ich Pat nicht einmal beim Telefonieren zusammenbringen. Eine Viertelstunde spater kam das Gesprach. Pat war gleich am Apparat. Als ich ihre warme, dunkle, etwas zogernde Stimme so dicht neben mir horte, wurde ich so aufgeregt, da? ich kaum sprechen konnte. Es war wie ein Zittern, wie ein Beben des Blutes, gegen das man mit allem Willen nichts machen konnte.

»Mein Gott, Pat«, sagte ich,»bist du wirklich da?«

Sie lachte. »Wo bist du denn, Robby? Im Buro?«

»Nein, ich sitze bei Frau Zalewski auf dem Tisch. Wie geht es dir?«

»Gut, Liebling.«

»Bist du auf?«

»Ja. Ich sitze auf der Fensterbank in meinem Zimmer und habe meinen wei?en Bademantel an. Drau?en schneit es.«

Ich sah sie plotzlich deutlich vor mir. Ich sah die Schneeflocken wirbeln, ich sah den schmalen, dunklen Kopf, die geraden, etwas vorgebeugten Schultern, die bronzefarbene Haut.

»Herrgott, Pat«, sagte ich,»das verfluchte Geld! Ich wurde mich sonst auf der Stelle in ein Flugzeug setzen und heute abend noch ankommen.«

»Ach, Liebling…«

Sie schwieg. Ich horchte in das leise Kratzen und Summen der Leitung. »Bist du noch da, Pat?«

»Ja, Robby. Aber du mu?t so etwas nicht sagen. Mir ist ganz schwindlig geworden.«

»Mir ist auch verdammt schwindlig«, sagte ich. »Erzahl mir, was du da oben alles machst.«

Sie begann zu sprechen, aber ich horte bald nicht mehr auf das, was sie sagte. Ich horte nur ihre Stimme, und wahrend ich so auf dem dunklen Vorplatz hockte, zwischen dem Wildschweinschadel und der Kuche mit den grunen Bohnen, schien es mir, als ginge die Tur auf und eine Welle von Warme und Glanz kame herein, schmeichelnd und bunt, voll von Traumen, Sehnsucht und Jugend. Ich stemmte die Fu?e gegen den Tisch, ich stutzte den Kopf in die Hand, ich sah den Wildschweinschadel an und die abgesto?ene Kuchentur, aber ich konnte mir nicht helfen – Sommer war auf einmal da, Wind, Abend uber Ahrenfeldern und das grune Licht der Waldwege. Die Stimme schwieg. Ich atmete tief. »Es ist schon mit dir zu sprechen, Pat. Und heute abend, was tust du da?«

»Heute abend ist ein kleines Fest. Um acht beginnt es. Ich ziehe mich gerade dazu an.«

»Was ziehst du denn dazu an? Das silberne Kleid?«

»Ja, Robby. Das silberne Kleid, in dem du mich durch den Korridor getragen hast.«

»Und mit wem gehst du?«

»Mit niemand. Es ist doch hier im Sanatorium. Unten in der Halle. Da kennen sich alle.«

»Es mu? schwer sein fur dich, mich nicht zu betrugen«, sagte ich. »In dem silbernen Kleid.«

Sie lachte. »In dem schon gar nicht. Da habe ich Erinnerungen.«

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