»Total!«

Ich stand beschamt da, und, verdammt, ich war geruhrt bis auf die Knochen. »Kinder«, sagte ich,»wi?t ihr, wann ich zum letztenmal beschert worden bin? Ich wei? es gar nicht mehr. Es mu? vor dem Kriege gewesen sein. Aber nun habe ich gar nichts fur euch.«

Eine gewaltige Freude brach los, weil ich so glanzend uberrumpelt worden war. »Weil du uns immer was vorgespielt hast«, sagte Lina errotend.

»Ja, du spielst uns was vor, das ist dein Geschenk«, erklarte Rosa.

»Was ihr wollt«, sagte ich. »Alles, was ihr wollt.«

»Aus der Jugendzeit«, rief Marion.

»Nein, was Lustiges«, widersprach Kiki.

Er wurde uberstimmt. Als Homo wurde er ohnehin nicht ganz fur voll genommen. Ich setzte mich ans Klavier und begann. Alle sangen mit.

»Aus der Jugendzeit – klingt ein Lied mir immerdar – O wie liegt so weit – was mein einst war…«

Die Wirtin drehte alles elektrische Licht aus. Nur noch das milde Licht der Kerzen war da. Leise platscherte der Bierhahn wie eine ferne Quelle im Walde, und der plattfu?ige Alois geisterte im Hintergrunde wie ein schwarzer Pan hin und her. Ich fing die zweite Strophe an. Mit glanzenden Augen und guten Kleinburgerinnengesichtern standen die Madchen um das Klavier herum – aber sieh da, wer heulte Rotz und Tranen? Kiki, Salzbrezelkiki aus Luckenwalde.

Leise offnete sich die Tur des gro?en Vereinszimmers. Melodisch brummend zog im Gansemarsch die Liedertafel herein und stellte sich hinter den Madchen auf. Grigoleit mit einer schwarzen Brasilzigarre an der Spitze.

»Als ich Abschied nahm – war die Welt mir voll so sehr – Als ich wiederkam – war alles leer…«

Leise verhallte der gemischte Chor. »Schon«, sagte Lina.

Rosa zundete die Wunderkerzen an. Sie zischten und spruhten. »So, und nun was Lustiges!« rief sie. »Kiki mu? aufgeheitert werden.«

»Ich auch«, sagte Stefan Grigoleit.

Um elf Uhr kamen Koster und Lenz. Wir setzten uns mit dem blassen Georgie an einen Tisch neben der Theke. Georgie bekam ein paar Schnitten trockenes Brot zu essen, damit er wieder taktfest wurde. Bald darauf war Lenz im Tumult der Viehkommissionare verschwunden. Eine Viertelstunde spater sahen wir ihn mit Grigoleit an der Theke auftauchen. Beide schlangen die Arme ineinander und tranken Bruderschaft.

»Stefan!« sagte Grigoleit.

»Gottfried!« erwiderte Lenz, und beide schutteten den Kognak hinunter.

»Ich schicke dir morgen ein Paket Blut- und Leberwurst, Gottfried. In Ordnung?«

»In bester Ordnung!« Lenz schlug ihm auf die Schulter. »Alter, guter Stefan!«

Stefan strahlte. »Du kannst so schon lachen«, sagte er begeistert. »Ich habe gern, wenn einer gut lachen kann. Ich werde zu leicht traurig, das ist mein Fehler.«

»Meiner auch«, erwiderte Lenz,»deshalb lache ich ja. Komm, Robby, trink einen mit auf das endlose Weltgelachter!«

Ich ging zu ihnen hin. »Was hat denn der Kleine da?« fragte Stefan und zeigte auf Georgie. »Der sieht machtig traurig aus.«

»Der ist leicht glucklich zu machen«, sagte ich. »Der braucht nur etwas Arbeit.«

»Kunststuck«, antwortete Stefan. »Heutzutage.«

»Er macht alles.«

»Machen alle alles heutzutage.« Stefan wurde nuchterner.

»Der Junge braucht funfundsiebzig Mark im Monat.«

»Unsinn. Damit kommt er nicht aus.«

»Der kommt damit aus«, sagte Lenz.

»Gottfried«, erwiderte Grigoleit,»ich bin ein alter Saufer.

Gut. Aber Arbeit ist etwas Ernstes. Kann man jemand nicht heute geben und morgen wieder wegnehmen. So was ist schlimmer als heiraten lassen und morgen die Frau wieder wegnehmen. Aber wenn der Junge ehrlich ist und mit funfundsiebzig Mark auskommt, hat er Schwein gehabt. Kann sich Dienstag acht Uhr bei mir melden. Brauche eine Hilfe fur meine Laufereien mit dem Verein und so. Ab und zu ein Paket mit Geschlachtetem gibt's extra. Scheint was in die Rippen haben zu mussen.«

»Ist das ein Wort?« fragte Lenz.

»Es ist ein Wort von Stefan Grigoleit.«

»Georgie«, rief ich,»komm mal her.«

Er begann zu zittern, als er es horte. Ich ging zu Koster zuruck. »Hor mal, Otto«, sagte ich,»wenn du dein Leben noch einmal von vorn leben konntest, mochtest du das?«»Genauso, wie es war?«»Ja.«»Nein«, sagte Koster. »Ich auch nicht«, sagte ich.

XXIV

Es war drei Wochen spater, an einem kalten Abend im Januar. Ich sa? im International und spielte mit dem Wirt »Siebzehn und vier«. Das Lokal war leer, nicht einmal die Huren waren gekommen. Die Stadt war unruhig. Drau?en marschierten alle Augenblicke Kolonnen voruber, manche mit schmetternden Militarmarschen, andere mit der Internationale, und dann wieder schweigende, lange Zuge, denen Schilder vorangetragen wurden mit Forderungen nach Arbeit und Brot. Man horte die vielen Schritte auf dem Pflaster wie das Gehen einer riesigen, unerbittlichen Uhr. Nachmittags war es zwischen Streikenden und der Polizei bereits zu einem Zusammensto? gekommen, bei dem zwolf Leute verletzt worden waren, und die ganze Polizei stand seit Stunden unter Alarm. Die Pfiffe der Uberfallautos gellten durch die Stra?en.

»Es gibt keine Ruhe«, sagte der Wirt und zeigte eine Sechzehn vor.

»Seit dem Krieg hat's keine Ruhe mehr gegeben. Und damals haben wir doch alle nichts anderes gewollt als Ruhe. Verruckte Welt!«

Ich zeigte Siebzehn vor und strich den Pott ein. »Die Welt ist nicht verruckt«, sagte ich. »Nur die Menschen.«

Alois, der hinter dem Stuhl des Wirtes stand und kiebitzte, erhob Einspruch. »Verruckt sind die nicht. Blo? habgierig. Einer gonnt dem andern nischt. Und weil zuviel von allem da ist, haben die meisten gar nischt. Es liegt blo? an der Verteilung.«

»Klar«, sagte ich und pa?te bei zwei Karten. »Daran liegt's aber seit ein paar tausend Jahren.«

Der Wirt deckte auf. Er hatte funfzehn und sah mich zweifelnd an. Dann kaufte er weiter ein, ein As, und war kaputt. Ich zeigte meine Karten vor. Es waren nur zwolf Augen, und er hatte mit funfzehn gewonnen gehabt. »Verdammt, jetzt hore ich auf«, fluchte er. »So was an gemeinem Bluff! Ich dachte, Sie hatten mindestens achtzehn.«

Alois meckerte. Ich strich das Geld ein. Der Wirt gahnte und sah nach der Uhr:»Fast elf. Ich glaube, wir machen Schlu?. Kommt doch keiner mehr.«

»Da kommt noch einer«, sagte Alois.

Die Tur ging auf. Es war Koster. »Gibt's was Neues drau?en, Otto?«

Er nickte. »Eine Saalschlacht in den Borussiasalen. Zwei Schwerverletzte, ein paar Dutzend Leichtverletzte und ungefahr hundert Verhaftungen. Zwei Schie?ereien im Norden. Ein Schupo tot. Wei? nicht, wieviel Verletzte. Na, und jetzt geht's ja wohl erst noch los, wenn die gro?en Versammlungen zu Ende sind. Bist du hier fertig?«

»Ja«, sagte ich. »Wir wollten gerade Schlu? machen.«

»Dann komm mit.«

Ich sah zum Wirt hinuber. Er nickte. »Also, Servus«, sagte ich.

»Servus«, erwiderte der Wirt trage. »Nehmt euch in acht.«

Wir gingen hinaus. Drau?en roch es nach Schnee. Flugblatter lagen wie gro?e, tote, wei?e Schmetterlinge auf der Stra?e.

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