»Nein.«

»Ich meinte, weil Sie sagten, er ware Ihr Kamerad…«

»Er ist mein Kamerad aus dem Krieg«, sagte Koster.

Der Beamte wandte sich mir zu. »Konnen Sie den Tater beschreiben?«

Koster sah mich fest an. »Nein«, sagte ich. »Ich habe auch nichts gesehen.«

»Merkwurdig«, sagte der Beamte.

»Wir waren im Gesprach und haben auf nichts geachtet. Es ging auch alles sehr schnell.«

Der Beamte seufzte. »Da ist wenig Aussicht, da? wir die Kerle kriegen.«

Er machte das Protokoll fertig. »Konnen wir ihn mitnehmen?« fragte Koster.

»Eigentlich…« Der Beamte blickte den Arzt an. »Die Todesursache ist einwandfrei festgestellt?«

Der Arzt nickte. »Ich habe den Schein schon ausgeschrieben.«

»Und wo ist das Gescho?? Ich mu? das Gescho? mitnehmen.«

»Es sind zwei Steckschusse. Ich mu?te…« Der Arzt zogerte.

»Ich mu? beide haben«, sagte der Beamte. »Ich mu? sehen, ob sie aus der gleichen Waffe sind.«

»Ja«, erwiderte Koster auf einen Blick des Arztes.

Der Sanitater ruckte die Bahre zurecht und zog das Licht herunter. Der Arzt nahm seine Werkzeuge und fuhr mit einer Pinzette in die Wunden. Die erste Kugel fand er rasch; sie war nicht sehr tief. Bei der zweiten mu?te er schneiden. Er zog die Gummihandschuhe ganz herauf und griff nach den Klammern und dem Messer. Koster trat rasch an die Bahre und druckte Gottfrieds Augen zu, die immer noch halb offenstanden. Ich wandte mich ab, als ich das leise Zischen des Messers horte. Einen Augenblick lang wollte ich zuspringen und den Arzt beiseite sto?en, weil es in mir aufzuckte, Gottfried sei nur bewu?tlos und der Arzt tote ihn jetzt erst wirklich – aber dann wu?te ich es wieder. Wir hatten genug Tote gesehen, um es zu wissen.

»Das ist sie«, sagte der Arzt und richtete sich auf. Er wischte das Gescho? ab und gab es dem Beamten.

»Es ist das gleiche. Aus derselben Waffe, nicht wahr?«

Koster beugte sich vor und sah die kleinen, stumpfschimmernden Geschosse, die in der Hand des Beamten hin und her rollten, genau an.

»Ja«, sagte er.

Der Beamte wickelte sie in Papier und steckte sie in die Tasche.

»Es ist eigentlich nicht erlaubt«, sagte er dann,»aber wenn Sie ihn nach Hause nehmen wollen – der Tatbestand ist ja klar, nicht wahr, Herr Doktor?« Der Arzt nickte. »Sie sind ja auch Gerichtsarzt«, fuhr der Beamte fort,»also dann – wie Sie wollen – Sie mussen nur – es konnte sein, da? morgen noch eine Kommission kommt…«

»Ich wei?«, sagte Koster. »Wir werden alles genauso lassen.« Die Beamten gingen.

Der Arzt hatte die Wunden Gottfrieds wieder bedeckt und verklebt. »Wie wollen Sie es machen?« fragte er. »Sie konnen die Bahre mitnehmen. Sie brauchen sie morgen nur im Laufe des Tages hierher zuruckzuschicken.«

»Ja, danke«, sagte Koster. »Komm, Robby.«

»Ich kann Ihnen helfen«, sagte der Sanitater.

Ich schuttelte den Kopf. »Es geht schon.«

Wir nahmen die Bahre, trugen sie hinaus und legten sie auf die beiden linken Sitze, die mit der heruntergeklappten Lehne eine Ebene bildeten. Der Sanitater und der Arzt kamen heraus und sahen zu. Wir deckten Gottfrieds Mantel uber ihn und fuhren ab. Nach einer Weile wandte sich Koster zu mir um. »Wir fahren die Stra?e noch einmal ab. Ich habe es vorhin schon getan. Aber da war es zu fruh. Vielleicht sind sie jetzt unterwegs.«

Es fing langsam an zu schneien. Koster fuhr den Wagen fast unhorbar. Er kuppelte aus, und oft stellte er auch die Zundung ab. Er wollte nicht gehort werden, obschon die vier, die wir suchten, ja nicht wu?ten, da? wir den Wagen hatten. Dann glitten wir lautlos wie ein wei?es Gespenst durch den immer starker fallenden Schnee. Ich holte mir aus dem Werkzeug einen Hammer heraus und legte ihn neben mich, um sofort aus dem Wagen springen und zuschlagen zu konnen. Wir kamen die Stra?e entlang, in der es passiert war. Unter der Laterne war noch der schwarze Fleck des Blutes. Koster schaltete das Licht aus. Wir glitten dicht an der Bordkante entlang und beobachteten die Stra?e. Niemand war zu sehen. Nur aus einer erleuchteten Kneipe horten wir Stimmen.

Koster hielt an der Kreuzung. »Bleib hier«, sagte er,»ich will in der Kneipe nachsehen.«

»Ich gehe mit«, erwiderte ich.

Er sah mich mit einem Blick an, wie ich ihn aus der Zeit kannte, als er allein auf Patrouille ging. »Ich werde es nicht in der Kneipe abmachen«, sagte er. »Da kann er mir doch noch entwischen. Ich will nur sehen, ob er da ist. Dann werden wir auf ihn warten. Bleib du hier bei Gottfried.«

Ich nickte, und er verschwand im Schneegestober. Die Flocken flogen mir ins Gesicht und schmolzen auf der Haut. Ich konnte es plotzlich nicht ertragen, da? Gottfried zugedeckt war, als ob er nicht mehr zu uns gehorte, und ich schob den Mantel von seinem Kopf fort. Der Schnee fiel jetzt auch auf sein Gesicht, auf seine Augen und seinen Mund, aber er schmolz nicht. Ich nahm mein Taschentuch, wischte ihn weg und deckte den Mantel wieder daruber.

Koster kam zuruck. »Nichts gewesen?«-»Nein«, sagte er.

Er stieg ein. »Wir fahren jetzt noch die andern Stra?en ab. Ich habe das Gefuhl, da? wir ihnen jeden Moment begegnen mussen.«

Der Wagen brullte auf und wurde sofort wieder abgedrosselt. Leise schlichen wir durch die wei?e, wirbelnde Nacht, von Stra?e zu Stra?e, in den Kurven hielt ich Gottfried fest, damit er nicht herunterrutschte, und ab und zu hielten wir hundert Meter hinter einer Kneipe, und Koster lief in langen Sprungen zuruck, um hineinzusehen. Er war von einer finsteren, kalten Besessenheit, er dachte nicht daran, Gottfried erst fortzubringen, zweimal setzte er dazu an; aber dann kehrte er wieder um, weil er glaubte, gerade in diesem Augenblick konnten die vier unterwegs sein.

Plotzlich sahen wir weit vor uns, auf einer langen, kahlen Stra?e, eine dunkle Gruppe von Menschen. Koster schaltete sofort die Zundung ab, und lautlos, ohne Licht, kamen wir heran. Die Leute horten uns nicht. Sie sprachen miteinander. »Es sind vier«, flusterte ich Koster zu. Im gleichen Moment brullte der Wagen auf, durchraste die letzten zweihundert Meter, sprang halb auf das Trottoir und hielt knirschend und schleudernd einen Meter neben den vier aufschreienden Leuten. Koster hing halb aus dem Wagen, sein Korper war ein Stahlbogen, bereit, loszuspringen, und sein Gesicht war unerbittlich wie der Tod.

Es waren vier harmlose, altere Leute. Einer von ihnen war betrunken. Sie begannen zu schimpfen. Koster erwiderte nichts. Wir fuhren weiter. »Otto«, sagte ich,»wir werden ihn heute nicht kriegen. Ich glaube nicht, da? er sich auf die Stra?e traut.«

»Ja, vielleicht«, erwiderte er nach einer Weile und wendete den Wagen. Wir fuhren zu Kosters Wohnung. Sein Zimmer hatte einen eigenen Eingang, so da? wir niemand zu wecken brauchten. Als wir ausstiegen, sagte ich:»Weshalb wolltest du der Polizei nicht sagen, wie er aussah? Wir hatten doch Hilfe beim Suchen gehabt. Und gesehen haben wir ihn doch ziemlich genau.«

Koster blickte mich an. »Weil wir das allein abmachen werden, ohne Polizei. Glaubst du denn«- seine Stimme wurde ganz leise, unterdruckt und schrecklich -,»ich werde ihn der Polizei ubergeben? Damit er ein paar Jahre Gefangnis bekommt? Du wei?t doch, wie alle diese Prozesse enden! Diese Burschen wissen, da? sie milde Richter finden! Das gibt es nicht! Ich sage dir, und wenn die Polizei ihn fande, ich wurde erklaren, er ware es nicht, damit ich ihn wiederbekame! Gottfried tot und der am Leben! Das gibt es nicht!«

Wir nahmen die Bahre von den Sitzen und trugen sie durch das Schneegestober und den Wind hinein, und es war, als waren wir in Flandern und brachten einen toten Kameraden aus dem Schutzengraben zuruck nach hinten.

Wir kauften einen Sarg und ein Grab auf dem Gemeindefriedhof. Es war ein klarer, sonniger Tag, als er beerdigt wurde. Wir machten den Sarg selbst zu und trugen ihn die Treppen hinunter. Es gingen nicht viele Leute mit. Ferdinand, Valentin, Alfons, der Barmixer Fred, Georgie, Jupp, Frau Sto?, Gustav, Stefan Grigoleit und Rosa. Vor dem Friedhofstor mu?ten wir eine Zeitlang warten. Es waren noch zwei Trauerzuge vor uns da, die durchgelassen werden mu?ten. Einer mit einem schwarzen Beerdigungsauto, ein anderer mit schwarz und silbern behangenen Pferden und einer endlosen Reihe von Leidtragenden, die sich lebhaft unterhielten.

Wir hoben den Sarg vom Wagen und lie?en ihn selbst mit den Seilen hinunter. Der Totengraber war zufrieden damit, denn er hatte bei den andern Grabern genug zu tun. Wir hatten auch einen Geistlichen bestellt. Wir wu?ten

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