»Ich auch. Ich habe gesehen, wie es wirkt. Aber ich will es auch gar nicht so genau wissen. Du kannst mich betrugen, ich will es nur nicht wissen. Nachher, wenn du zuruckkommst, ist es dann nur wie getraumt fur dich und vergessen und vorbei.«

»Ach, Robby«, sagte sie langsam, und ihre Stimme klang tiefer als vorher. »Ich kann dich nicht betrugen. Dafur denke ich viel zuviel an dich. Du wei?t nicht, wie das hier oben ist. Ein strahlendes, schones Gefangnis. Man lenkt sich ab, so gut es geht, das ist alles. Wenn ich an dein Zimmer denke, dann wei? ich manchmal nicht, was ich tun soll, dann gehe ich an den Bahnhof und sehe die Zuge an, die von unten kommen, und denke, da? ich dir dann naher bin, wenn ich in ein Abteil einsteige oder so tue, als ob ich jemand abholen will.«

Ich bi? die Lippen zusammen. Ich hatte sie noch nie so sprechen horen. Sie war immer scheu gewesen, und ihre Zuneigung hatte viel mehr in einer Gebarde, einem Blick gelegen als in Worten.

»Ich werde zusehen, da? ich dich einmal besuchen kann, Pat«, sagte ich.

»Wirklich, Robby?«

»Ja, vielleicht Ende Januar.«

Ich wu?te, da? es kaum moglich war, denn von Februar an mu?ten wir ja auch noch das Geld fur das Sanatorium aufbringen. Aber ich sagte es ihr, damit sie etwas hatte, woran sie denken konnte. Es war dann spater nicht so schwer, es weiter zu verschieben, bis der Tag kam, wo sie wieder herunter konnte.

»Leb wohl, Pat«, sagte ich. »La? es dir gut gehen. Sei froh, dann bin ich auch froh. Sei froh heute abend.«

»Ja, Robby, heute bin ich glucklich.«

Ich holte Georgie ab und ging mit ihm zum Cafe International. Die alte, verraucherte Bude war kaum wiederzuerkennen. Der Weihnachtsbaum brannte, und sein warmes Licht spiegelte sich in allen Flaschen, Glasern und dem Nickel und Kupfer der Theke. Die Huren sa?en in Abendkleidern, mit falschem Schmuck behangen, erwartungsvoll um einen Tisch herum.

Punkt acht Uhr marschierte die Liedertafel der vereinigten Viehkommissionare ein. Sie formierten sich an der Tur nach Stimmen, rechts der erste Tenor, ganz links der zweite Ba?. Stefan Grigoleit, der Witwer und Schweinehandler, zog eine Stimmgabel hervor, verteilte die Tone, und dann ging es vierstimmig los:»Heilige Nacht, o gie?e du – Himmelsfrieden in dies Herz – Schenk dem armen Pilger Ruh – Holde Labung seinem Schmerz – Hell schon ergluhn die Sterne – Leuchten aus blauer Ferne – Mochten zu dir mich gerne ziehn – himmelwarts.«

»Ruhrend«, sagte Rosa und wischte sich die Augen.

Die zweite Strophe verklang. Donnernder Beifall erscholl. Die Liedertafel verbeugte sich dankend. Stefan Grigoleit wischte sich den Schwei? von der Stirn. »Beethoven bleibt Beethoven«, erklarte er.

Niemand widersprach. Stefan steckte das Schnupftuch ein. »Und nun 'ran an die Gewehre!«

Der E?tisch war im gro?en Vereinszimmer gedeckt. In der Mitte prangten auf silbernen Platten uber kleinen Spirituslampchen braun und knusprig die beiden Spanferkel. Sie hatten Zitronen in den Schnauzen, kleine, brennende Tannenbaume auf dem Rucken und wunderten sich uber gar nichts mehr.

Alois erschien in einem neu aufgefarbten Frack, einem Geschenk des Wirts. Er brachte ein halbes Dutzend Kruken mit Steinhager und schenkte ein. Mit ihm kam Potter von der Feuerbestattungsgesellschaft, der noch eine Verbrennung geleitet hatte.

»Friede auf Erden!« sagte er gro?artig, reichte Rosa die Hand und nahm neben ihr Platz. Stefan Grigoleit, der Georgie sofort mit an die Tafel geladen hatte, stand auf und hielt die kurzeste und beste Rede seines Lebens. Er hob sein Glas mit dem glitzernden Wacholderschnaps hoch, sah sich strahlend um und rief:»Prost!«

Dann setzte er sich wieder, und Alois schleppte die Eisbeine, das Sauerkraut und die Salzkartoffeln herein. Der Wirt kam mit gro?en, glasernen Stangen goldgelben Pilseners.

»I? langsam, Georgie«, sagte ich. »Dein Magen mu? sich erst an das fette Fleisch gewohnen.«

»Ich mu? mich uberhaupt erst gewohnen«, erwiderte er und sah mich an.

»Das geht schnell«, sagte ich. »Man darf nur nicht vergleichen. Dann geht's immer.«

Er nickte und beugte sich wieder uber seinen Teller.

Plotzlich entstand am untern Tischende Streit. Potters krahende Stimme war zu horen. Er hatte dem Zigarrenhandler Busch, einem Gast, zutrinken wollen, aber Busch hatte sich geweigert mit der Begrundung, er wolle nicht trinken, um mehr essen zu konnen.

»Das ist Blodsinn«, schimpfte Potter. »Zum Essen mu? man doch trinken! Wer trinkt, kann sogar noch mehr essen.«

»Quatsch!« brummte Busch, ein hagerer, langer Mensch mit platter Nase und Hornbrille.

Potter fuhr hoch. »Quatsch? Das sagst du zu mir, du Tabakeule?«

»Ruhe!« rief Stefan Grigoleit. »Keinen Krach am Weihnachtsabend!«

Er lie? sich erklaren, um was es sich handelte, und fallte ein salomonisches Urteil. Die Sache sollte ausprobiert werden. Vor jeden der beiden Kampfer wurden mehrere gleich gro?e Schusseln aufgestellt mit Fleisch, Kartoffeln und Kraut. Es waren riesenhafte Portionen. Potter durfte dazu trinken, was er wollte, Busch mu?te trocken bleiben. Um dem Ganzen Reiz zu geben, wurde auf beide gewettet. Grigoleit ubernahm den Totalisator.

Potter baute einen Kranz von Bierglasern um sich auf, dazwischen wie Diamanten kleine Glaser mit Steinhager. Die Wetten standen 3:1 fur ihn. Dann startete Grigoleit die beiden.

Busch fra? verbissen, tief uber den Teller geduckt. Potter kampfte in offener, aufrechter Haltung.

Bei jedem Schluck, den er nahm, rief er Busch ein frohlockendes Prost zu, das dieser mit einem gehassigen Blick beantwortete.

»Mir wird schlecht«, sagte Georgie zu mir.

»Komm mit 'raus.«

Ich brachte ihn in den Waschraum und setzte mich dann in den Vorderraum, um auf ihn zu warten.

Der su?e Duft der Kerzen mischte sich mit dem Knistern und dem Geruch verbrennender Tannennadeln. Und plotzlich war es mir, als horte ich leichte, geliebte Schritte, als spurte ich einen warmen Atem und sahe zwei Augen dicht vor mir…

»Verdammt«, sagte ich und stand auf. »Was ist denn mit mir los?«

Im selben Moment horte ich gewaltiges Gebrull. »Potter! Bravo, Aloysius!«

Die Feuerbestattung hatte gesiegt.

Im Hinterzimmer qualmten die Zigarren, und der Kognak wurde aufgefahren. Ich sa? immer noch neben der Theke. Die Madchen kamen nach vorn und tuschelten eifrig.

»Was habt ihr denn?« fragte ich.

»Wir haben doch auch unsere Bescherung«, erwiderte Marion.

»Ach so.« Ich lehnte den Kopf an die Theke und dachte daran, was Pat jetzt wohl tate. Ich stellte mir die Halle des Sanatoriums vor, den brennenden Kamin und Pat an einem der Fenstertische mit Helga Guttmann und irgendwelchen Leuten. Es war alles schon so schrecklich lange her. Manchmal dachte ich, da? man morgens einmal aufwachen konnte und da? dann alles vorbei ware, was fruher gewesen war, vergessen, versunken, ertrunken. Es gab nichts Sicheres – nicht einmal die Erinnerung. Eine Klingel lautete. Die Madchen rannten wie eine Schar aufgescheuchter Huhner zum Billardzimmer hinuber. Da stand Rosa mit der Klingel. Sie winkte mir, auch zu kommen. Unter einer kleinen Tanne stand auf dem Billardtisch eine Anzahl mit Seidenpapier verdeckter Teller. Auf jedem lag ein Zettel mit einem Namen, darunter die Packchen mit den Geschenken, die die Madchen sich gegenseitig machten. Rosa hatte das alles arrangiert. Jede hatte ihr ihre eingepackten Geschenke fur die andern geben mussen, und sie hatte alles auf die Teller geordnet.

Aufgeregt plapperten die Madchen durcheinander, eilig wie Kinder, um so rasch wie moglich zu sehen, was sie bekommen hatten. »Willst du deinen Teller nicht haben?« fragte Rosa.

»Was fur einen Teller?«

»Deinen. Du wirst doch auch beschert.«

Wahrhaftig, da stand mein Name, in zwei Farben, rot und schwarz, in Rundschrift sogar. Apfel, Nusse, Apfelsinen – von Rosa ein selbstgestrickter Pullover, von der Wirtin ein grasgruner Schlips, vom schwulen Kiki ein Paar echt kunstseidene rosa Socken, von Wally, der Schonen, ein Ledergurtel, vom Kellner Alois eine halbe Flasche Rum, von Marion, Lina und Mimi zusammen ein halbes Dutzend Taschentucher, und vom Wirt zwei Flaschen Kognak.

»Kinder«, sagte ich. »Kinder, das ist aber ganz unerwartet.«

»Uberraschung?« rief Rosa.

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