blo?en, dunnen Beinen, eine Kerze in der Hand, steckte den Kopf heraus. »Bist du das?« fragte sie murrisch.
»Nein«, sagte Lenz, der sich erholt hatte. Die Frau warf die Tur zu. Lenz leuchtete mit seiner Taschenlampe die Tur ab. Es war der Maurerpolier Gerhard Peschke, der hier erwartet wurde.
Unten wurde es still. Die Schupo zog ab, und der Hof wurde leer. Wir warteten noch etwas, dann gingen wir die Treppen hinunter. Hinter einer Tur weinte ein Kind. Es weinte leise und klagend im Dunkel.
Wir gingen durch den vorderen Hof. Der Astrologe stand verlassen vor seinen Sternkarten. »Ein Horoskop, die Herrschaften?« rief er. »Oder die Zukunft aus der Hand?«
»Immer los«, sagte Gottfried und hielt ihm die Hand hin.
Der Mann studierte eine Zeitlang. »Sie haben einen Herzfehler«, sagte er dann kategorisch. »Ihr Gefuhl ist stark entwickelt, Ihre Verstandeslinie sehr kurz, dafur sind Sie musikalisch begabt. Sie traumen viel, aber Sie taugen nicht als Ehemann. Trotzdem sehe ich hier drei Kinder. Sie sind eine diplomatische Natur, neigen zur Verschlossenheit und werden etwa achtzig Jahre alt.«
»Stimmt«, erklarte Gottfried. »Das hat mein Fraulein Mutter auch schon immer gesagt: Wer bose ist, wird alt. Moral ist eine Erfindung der Menschen; nicht eine Konsequenz des Lebens.«
Er gab dem Mann sein Geld, und wir gingen weiter. Die Stra?e war leer. Eine schwarze Katze huschte vor uns her. Lenz zeigte hin. »Jetzt mu?ten wir eigentlich umkehren.«
»La? man«, sagte ich,»wir haben vorhin eine wei?e gesehen; das hebt sich auf.«
Wir gingen die Stra?e entlang. Ein paar Leute kamen uns auf der anderen Seite entgegen. Es waren vier junge Burschen. Einer trug hellgelbe, neue Ledergamaschen, die andern eine Art von Militarstiefeln. Sie blieben stehen und sahen zu uns heruber. »Da ist er!« rief plotzlich der mit den Gamaschen und lief schrag uber die Stra?e auf uns zu. Im nachsten Augenblick krachten zwei Schusse, der Bursche sprang weg, und alle vier rissen aus, so schnell sie konnten.
Ich sah, wie Koster zum Sprung ansetzte, aber dann in einer merkwurdigen Drehung abbog, die Arme ausstreckte, einen gepre?ten, wilden Laut ausstie? und Gottfried Lenz aufzufangen versuchte, der schwer aufs Pflaster schlug.
Eine Sekunde dachte ich, er sei nur gefallen; dann sah ich das Blut. Koster ri? ihm die Jacke auf, zerrte das Hemd weg – das Blut quoll dicht hervor. Ich pre?te mein Taschentuch dagegen. »Bleib hier, ich hole den Wagen«, rief Koster und rannte los.
»Gottfried«, sagte ich,»horst du mich?«
Sein Gesicht wurde grau. Die Augen waren halb geschlossen. Die Lider bewegten sich nicht. Ich hielt mit der einen Hand seinen Kopf, mit der anderen druckte ich das Taschentuch auf die blutende Stelle. Ich kniete neben ihm, ich lauschte auf sein Rocheln, seinen Atem, aber ich horte nichts, lautlos war alles, die endlose Stra?e, die endlosen Hauser, die endlose Nacht – ich horte nur leise klatschend das Blut auf das Pflaster fallen und wu?te, da? das schon einmal so gewesen sein mu?te und da? es nicht wahr sein konnte.
Koster raste heran. Er ri? die Lehne des linken Sitzes nach hinten herum. Wir hoben Gottfried vorsichtig hoch und legten ihn auf die beiden Sitze. Ich sprang in den Wagen und Koster scho? los. Wir fuhren zur nachsten Unfallstelle. Koster bremste vorsichtig. »Sieh nach, ob ein Arzt da ist. Sonst mussen wir weiter.«
Ich lief hinein. Ein Sanitater kam mir entgegen. »Ist ein Arzt da?«»Ja. Habt ihr jemand?«»Ja. Kommen Sie mit 'ran! Eine Tragbahre.« Wir hoben Gottfried auf die Bahre und trugen ihn hinein.
Der Arzt stand schon in Hemdsarmeln bereit. »Hierher!« Er zeigte auf einen flachen Tisch. Wir hoben die Bahre hinauf. Der Arzt zog eine Lampe herunter, dicht uber den Korper.
»Was ist es?«-»Revolverschu?.«
Er nahm einen Bausch Watte, wischte das Blut fort, griff nach Gottfrieds Puls, horchte ihn ab und richtete sich auf. »Nichts mehr zu machen.«
Koster starrte ihn an. »Der Schu? sitzt doch ganz seitlich.
Es kann doch nicht schlimm sein!«
»Es sind zwei Schusse!« sagte der Arzt.
Er wischte wieder das Blut weg. Wir beugten uns vor. Da sahen wir, da? schrag unter der stark blutenden Wunde eine zweite war – ein kleines, dunkles Loch in der Herzgegend.
»Er mu? fast augenblicklich tot gewesen sein«, sagte der Arzt. Koster richtete sich auf. Er sah Gottfried an. Der Arzt bedeckte die Wunden mit Tampons und klebte Heftpflasterstreifen daruber. »Wollen Sie sich waschen?« fragte er mich.
»Nein«, sagte ich.
Gottfrieds Gesicht war jetzt gelb und eingefallen. Der Mund war etwas schiefgezogen, die Augen waren halb geschlossen, das eine etwas mehr als das andere. Er sah uns an. Er sah uns immerfort an.
»Wie ist es denn gekommen?« fragte der Arzt.
Niemand antwortete. Gottfried sah uns an. Er sah uns unverwandt an.
»Er kann hierbleiben«, sagte der Arzt.
Koster ruhrte sich. »Nein«, erwiderte er. »Wir nehmen ihn mit!«
»Das geht nicht«, sagte der Arzt. »Wir mussen die Polizei anrufen. Die Kriminalpolizei auch. Es mu? doch sofort alles getan werden, um den Tater zu finden.«
»Den Tater?« Koster blickte den Arzt an, als verstunde er ihn nicht.
»Gut«, sagte er dann,»ich werde hinfahren und die Polizei holen.«
»Sie konnen telefonieren. Dann sind sie schneller hier.«
Koster schuttelte langsam den Kopf. »Nein. Ich werde sie holen.«
Er ging hinaus, und ich horte Karl anspringen. Der Arzt schob mir einen Stuhl hin. »Wollen Sie sich nicht solange setzen?«
»Danke«, sagte ich und blieb stehen. Das helle Licht lag immer noch auf Gottfrieds blutiger Brust. Der Arzt schob die Lampe etwas hoher.
»Wie ist es denn gekommen?« fragte er nochmals.
»Ich wei? nicht. Es mu? eine Verwechslung mit jemand gewesen sein.«
»War er im Krieg?« fragte der Arzt.
Ich nickte.
»Man sieht es an den Narben«, sagte er. »Und an dem zerschossenen Arm. Er ist mehrere Male verwundet worden.«
»Ja. Viermal.«
»Eine Gemeinheit«, sagte der Sanitater. »Sind doch alles Lausebengels, die damals noch in den Windeln lagen.«
Ich erwiderte nichts. Gottfried sah mich an. Immerfort an.
Es dauerte lange, bis Koster wiederkam. Er war allein. Der Arzt legte die Zeitung weg, in der er gelesen hatte. »Sind die Beamten da?« fragte er.
Koster blieb stehen. Er hatte nicht gehort, was der Arzt gesagt hatte.
»Ist die Polizei da?« fragte der Arzt noch einmal.
»Ja«, erwiderte Koster. »Die Polizei. Wir mussen telefonieren, da? sie kommt.«
Der Arzt sah ihn an, sagte aber nichts und ging zum Telefon. Ein paar Minuten spater kamen zwei Beamte. Sie setzten sich an einen Tisch, und einer von ihnen nahm Gottfrieds Personalien auf. Ich wei? nicht, aber es schien mir irrsinnig, zu sagen, wie er hie? und wann er geboren war und wo er wohnte, jetzt, wo er tot war. Ich starrte auf den schwarzlichen Bleistiftstummel, den der Beamte ab und zu mit den Lippen befeuchtete, und gab mechanisch Antwort.
Der andere Beamte begann ein Protokoll aufzusetzen. Koster machte die notwendigen Angaben. »Konnen Sie mir ungefahr sagen, wie der Tater aussah?« fragte der Beamte.
»Nein«, erwiderte Koster. »Ich habe nicht darauf geachtet.«
Ich blickte zu ihm hinuber. Ich dachte an die gelben Gamaschen und die Uniformen.
»Wissen Sie nicht, welcher politischen Partei er angehorte? Haben Sie nicht die Abzeichen oder die Uniform gesehen?«
»Nein«, sagte Koster. »Ich habe nichts gesehen vor den Schussen. Und dann habe ich mich nur um…«, er stockte einen Augenblick,»um meinen Kameraden gekummert.«
»Gehoren Sie einer politischen Partei an?«