»Nicht mehr da«, sagte er.
Ich stand auf und blickte durch den Saal. Koster hatte recht.
»Glaubst du, da? er mich erkannt hat?« fragte ich.
Koster zuckte die Achseln. Er bemerkte jetzt erst die Papiermutze auf seinem Kopf und streifte sie ab. »Ich verstehe das nicht«, sagte ich. »Ich bin doch hochstens ein, zwei Minuten im Waschraum gewesen.«
»Du warst uber eine Viertelstunde weg.«
»Was?« Ich sah noch einmal zu dem Tisch hinuber. »Die andern sind auch weg. Da war noch ein Madchen mit ihnen, das ist auch nicht mehr da. Wenn er mich erkannt hatte, ware er doch bestimmt allein verschwunden.«
Koster winkte dem Kellner. »Gibt es hier noch einen zweiten Ausgang?«
»Ja, druben, auf der andern Seite, nach der Hardenbergstra?e.«
Koster zog ein Geldstuck aus der Tasche und gab es dem Kellner. »Komm«, sagte er.
»Schade«, sagte das blonde Madchen am Nebentisch und lachelte. »So ernste Kavaliere.«
Der Wind drau?en schlug uns entgegen. Er schien eisig zu sein nach dem hei?en Qualm des Cafes. »Geh nach Hause«, sagte Koster.
»Es waren mehrere«, erwiderte ich und stieg zu ihm ein.
Der Wagen scho? los. Wir kammten rund um das Cafe samtliche Stra?en durch, immer weiter, aber wir sahen nichts. Endlich hielt Koster an. »Entwischt«, sagte er. »Aber das macht nichts. Wir werden ihn jetzt irgendwann kriegen.«
»Otto«, sagte ich. »Wir sollten es lassen.«
Er sah mich an. »Gottfried ist tot«, sagte ich und wunderte mich selbst daruber, was ich redete. »Er wird nicht wieder lebendig davon.«
Koster sah mich immer noch an. »Robby«, erwiderte er langsam,»ich wei? nicht mehr, wieviel Menschen ich getotet habe. Aber ich wei? noch, wie ich einen jungen Englander abgeschossen habe. Er hatte eine Ladehemmung und konnte nichts mehr machen. Ich war mit meiner Maschine ein paar Meter hinter ihm und sah sein erschrockenes, kindliches Gesicht mit der Angst in den Augen ganz genau, es war sein erster Flug, das stellten wir nachher fest, und er war knapp achtzehn Jahre alt, und in dieses erschrockene, hilflose, hubsche Kindergesicht habe ich auf ein paar Meter Entfernung eine Garbe mit meinem Maschinengewehr gejagt, da? der Schadel platzte wie ein Huhnerei. Ich kannte den Jungen nicht, und er hatte mir nichts getan. Es hat damals langer gedauert als sonst, bis ich daruber weggekommen bin und bis ich mein Gewissen zugestampft hatte mit diesem verdammten: Krieg ist Krieg. Aber ich sage dir, wenn ich den, der Gottfried umgebracht hat, der ihn wie einen Hund niedergeschossen hat ohne Grund, nicht auch umbringe, dann war das mit dem Englander ein furchtbares Verbrechen, verstehst du das?«
»Ja«, sagte ich.
»Und jetzt geh nach Hause. Ich mu? sehen, da? es zu Ende kommt. Es ist wie eine Mauer. Ich kann nicht weiter, ehe sie nicht weg ist.«
»Ich gehe nicht nach Hause, Otto. Wenn es so ist, wollen wir zusammenbleiben.«
»Unsinn«, sagte er ungeduldig. »Ich kann dich nicht brauchen.« Er hob die Hand, als er sah, da? ich reden wollte. »Ich werde schon aufpassen! Ich werde ihn allein treffen, ohne die andern, ganz allein! Hab keine Angst.«
Er schob mich ungeduldig vom Sitz und raste sofort davon. Ich wu?te, da? ihn nichts mehr aufhalten konnte. Ich wu?te auch, weshalb er mich nicht mitgenommen hatte. Wegen Pat. Gottfried hatte er mitgenommen.
Ich ging zu Alfons. Er war der einzige, mit dem ich sprechen konnte. Ich wollte mit ihm beraten, ob wir etwas tun konnten. Aber Alfons war nicht da. Ein verschlafenes Madchen sagte mir, er sei vor einer Stunde zu einer Versammlung gegangen. Ich setzte mich an einen Tisch, um zu warten.
Das Lokal war leer. Nur eine kleine Birne brannte uber dem Schanktisch. Das Madchen hatte sich wieder hingesetzt und schlief weiter. Ich dachte an Otto und an Gottfried, ich blickte aus dem Fenster auf die Stra?e, die jetzt vom langsam uber die Dacher steigenden Vollmond erhellt wurde, ich dachte an das Grab mit dem schwarzen Holzkreuz und dem Stahlhelm daruber, und plotzlich merkte ich, da? ich weinte. Ich wischte die Tropfen weg. Nach einiger Zeit horte ich rasche, leise Schritte im Hause. Die Tur, die zum Hof fuhrte, offnete sich, und Alfons trat herein. Sein Gesicht glanzte von Schwei?.
»Ich bin's, Alfons«, sagte ich.
»Komm her, rasch!«
Ich folgte ihm in das Zimmer rechts hinter dem Schankraum. Alfons ging an einen Schrank und holte zwei alte Militarverbandspackchen heraus. »Kannst mich mal verbinden«, sagte er und zog gerauschlos die Hose aus.
Er hatte einen Ri? am Oberschenkel. »Das sieht aus wie ein Streifschu?«, sagte ich.
»Ist es auch«, knurrte Alfons. »Los, verbinde schon!«
»Alfons«, sagte ich und richtete mich auf. »Wo ist Otto?«
»Wie soll ich wissen, wo Otto ist«, murrte er und pre?te die Wunde aus.
»Wart ihr nicht zusammen?«
»Nein.«
»Du hast ihn nicht gesehen?«
»Keine Ahnung. Fasere das zweite Packchen auseinander und leg es drauf. Ist nur 'ne Schramme.«
Er beschaftigte sich weiter brummend mit seiner Wunde.
»Alfons«, sagte ich,»wir haben den – du wei?t schon, mit Gottfried -, wir haben ihn heute abend gesehen, und Otto ist hinter ihm her.«
»Was? Otto?« Er wurde sofort aufmerksam. »Wo ist er denn? Hat doch keinen Sinn mehr! Er mu? weg!«
»Er geht nicht weg.«
Alfons warf die Schere beiseite. »Fahr hin! Wei?t du, wo er ist? Er soll verschwinden. Sag ihm, da? das mit Gottfried fertig ist. Habe fruher Bescheid gewu?t als ihr! Siehst es ja! Hat geschossen, aber ich habe ihm die Hand 'runtergeschlagen. Dann habe ich geschossen. Wo ist Otto?«
»Irgendwo um die Monkestra?e 'rum.«
»Gott sei Dank! Da wohnt er ja langst nicht mehr. Aber schaff Otto trotzdem weg.«
Ich ging zum Telefon und rief den Taxistand an, wo Gustav sich gewohnlich aufhielt. Er war da. »Gustav«, sagte ich,»kannst du mal zur Ecke Wiesenstra?e und Bellevueplatz kommen? Schnell? Ich warte da.«
»Gemacht. Bin in zehn Minuten da.«
Ich hangte den Horer ein und ging zu Alfons zuruck. Er zog sich eine andere Hose an. »Habe nicht gewu?t, da? ihr unterwegs wart«, sagte er. Sein Gesicht war immer noch na?.
»Ware besser gewesen, ihr hattet irgendwo gesessen. Wegen des Alibis. Konnte ja sein, da? sie euch danach fragen. Man wei? nie…«
»Denk lieber an dich«, sagte ich.
»Ach wo!« Er sprach schneller als sonst. »War allein mit ihm. Habe im Zimmer auf ihn gewartet. War in einer Wohnlaube. Ringsum keine Nachbarn. Au?erdem Notwehr. Er scho? sofort, als er 'reinkam. Brauche kein Alibi. Kann ein Dutzend haben, wenn ich will.« Er sah mich an. Er sa? auf einem Stuhl, das nasse, breite Gesicht mir zugewandt, die Haare verschwitzt, den gro?en Mund schief verzogen, und seine Augen waren fast unertraglich, so viel Qual, Schmerz und Liebe lagen plotzlich nackt und hoffnungslos darin. »Nun wird Gottfried Ruhe haben«, sagte er leise und heiser. »Hatte das Gefuhl, da? er keine Ruhe hatte vorher.«
Ich stand stumm vor ihm. »Geh jetzt«, sagte er.
Ich ging durch die Wirtsstube hinaus. Das Madchen schlief immer noch. Es atmete laut. Drau?en war der Mond hochgestiegen, und es war sehr hell. Ich ging zum Bellevueplatz. Die Fenster der Hauser glanzten im Mondlicht wie silberne Spiegel. Der Wind hatte sich gelegt. Es war ganz still.
Gustav kam ein paar Minuten spater. »Was ist los, Robert?« fragte er.
»Unser Wagen ist uns gestohlen worden heute abend. Jetzt habe ich gehort, er ware in der Gegend der Monkestra?e gesehen worden. Wollen wir mal hinfahren?«
»Aber klar!« Gustav wurde eifrig. »Was da augenblicklich alles geklaut wird! Jeden Tag ein paar Wagen. Aber meistens fahren sie ja nur damit 'rum, bis das Benzin zu Ende ist, und lassen sie dann stehen.«
»Ja, so wird's mit unserm auch wohl sein.«
Gustav erzahlte mir, da? er bald heiraten wolle. Es sei was Kleines unterwegs, da helfe alles nichts. Wir fuhren durch die Monkestra?e und dann durch die Querstra?en. »Da ist er!« rief Gustav plotzlich. Der Wagen stand