Gang, und Kurve um Kurve ging es abwarts. Plotzlich glitt das Licht der Scheinwerfer von den Hangen ab, es sturzte ins Leere, die Berge offneten sich, und wir sahen unten das Lichtnetz des Dorfes vor uns liegen.

Der Wagen donnerte zwischen den bunten Laden der Hauptstra?e hindurch. Fu?ganger sprangen beiseite, erschreckt durch den ungewohnten Anblick, Pferde scheuten, ein Schlitten rutschte ab, der Wagen jagte die Kehren zum Sanatorium hinauf und hielt vor dem Portal. Ich sprang hinaus, ich sah wie durch einen Schleier neugierige Gesichter, Leute, das Buro, den Aufzug, dann lief ich durch den wei?en Korridor, ri? die Tur auf und erblickte Pat, wie ich sie hundertmal in Traum und Sehnsucht gesehen hatte, sie kam mir entgegen, und ich hielt sie in den Armen wie das Leben und mehr als das Leben.

»Gott sei Dank!« sagte ich, als ich mich wieder zurechtfand. »Ich glaubte, du lagest im Bett.«

Sie schuttelte den Kopf an meiner Schulter. Dann richtete sie sich auf, nahm mein Gesicht in ihre Hande und sah mich an. »Da? du da bist«, murmelte sie. »Da? du gekommen bist!«

Sie ku?te mich, vorsichtig, ernst und behutsam, wie etwas, das man nicht zerbrechen will. Als ich ihre Lippen fuhlte, begann ich zu zittern. Es war alles zu schnell gegangen, ich fa?te es jetzt doch noch nicht ganz. Ich war noch nicht richtig da; ich war noch voll Fahrt, voll Motorendrohnen und Stra?e. Es ging mir wie jemand, der aus Kalte und Nacht in ein warmes Zimmer tritt – er spurt die Warme auf der Haut, er empfindet sie mit den Augen -, aber er ist noch nicht warm. »Wir sind schnell gefahren«, sagte ich.

Sie antwortete nicht. Sie sah mich noch immer schweigend an. Ihr ernstes Gesicht hatte einen ergreifenden Ausdruck, ihre Augen waren dicht vor mir, und es war, als wolle sie etwas sehr Wichtiges suchen und wiederfinden. Ich wurde verlegen. Ich legte die Hande auf ihre Schultern und senkte den Blick.

»Bleibst du jetzt hier?« fragte sie.

Ich nickte.

»Sag es mir gleich. Sag mir, ob du wieder fortgehst, damit ich es gleich wei?.«

Ich wollte ihr antworten, da? ich es noch nicht wu?te und da? ich wahrscheinlich in ein paar Tagen abfahren mu?te, weil ich kein Geld hatte, um hierzubleiben. Aber ich konnte es nicht. Ich konnte es nicht, wahrend sie mich so ansah. »Ja«, sagte ich,»ich bleibe hier. So lange, bis wir zusammen abreisen.«

Ihr Gesicht bewegte sich nicht. Aber es wurde plotzlich hell, wie von innen her erleuchtet. »Ach«, murmelte sie,»ich hatte es auch nicht ertragen.«

Ich versuchte uber ihre Schulter hinweg die Fieberkurve am Kopfende des Bettes zu lesen. Sie bemerkte es, zog rasch das Blatt aus dem Halter, zerknullte es und warf es unter das Bett.

»Das gilt jetzt nicht mehr«, sagte sie.

Ich merkte mir, wo der Papierknauel lag, und beschlo?, ihn nachher, wenn sie es nicht sah, einzustecken. »Warst du krank?« fragte ich.

»Etwas. Aber das ist jetzt vorbei.«

»Was hat denn der Arzt gesagt?«

Sie lachte. »Frag jetzt nicht nach dem Arzt. Frag uberhaupt nichts mehr. Du bist da, das ist genug!«

Sie war plotzlich verandert. Ich wu?te nicht, ob es daher kam, da? ich sie so lange nicht gesehen hatte, aber sie erschien mir auch anders als fruher. Ihre Bewegungen waren geschmeidiger, ihre Haut war warmer, die Art, wie sie zu mir kam, war anders, sie war nicht mehr nur ein schones, junges Madchen, das beschutzt werden mu?te, es war noch etwas hinzugekommen, und wahrend ich fruher oft nicht gewu?t hatte, ob sie mich liebte, spurte ich es jetzt, sie verbarg nichts mehr, sie war lebendiger und mir naher als je, lebendiger, naher und schoner, begluckender, aber sonderbarerweise auch beunruhigender.

»Pat«, sagte ich. »Ich mu? rasch hinunter. Koster ist unten. Wir mussen sehen, wo wir wohnen.«

»Koster? Und wo ist Lenz?«

»Lenz«, sagte ich,»Lenz ist zu Hause geblieben.«

Sie merkte nichts. »Darfst du hinunter, nachher?« fragte ich. »Oder sollen wir heraufkommen?«

»Ich darf alles. Ich darf jetzt alles. Wir gehen hinunter, und dann trinken wir etwas. Ich werde euch zusehen, wie ihr trinkt.«

»Gut. Wir warten dann unten in der Halle auf dich.«

Sie ging zum Schrank, um ein Kleid herauszunehmen. Ich benutzte die Gelegenheit, die zusammengeknauelten Fieberkurven in die Tasche zu stecken.

»Also bis gleich, Pat.«

»Robby!«

Sie kam mir nach und legte mir die Arme um den Hals.

»Ich wollte dir eigentlich so viel sagen.«

»Ich dir auch, Pat. Aber nun haben wir ja Zeit dazu. Wir werden uns den ganzen Tag etwas erzahlen. Morgen. Zu Anfang geht das nicht gleich so.«

Sie nickte. »Ja, wir wollen uns alles erzahlen. Dann ist diese ganze Zeit, die wir allein waren, keine Zeit mehr, wo wir getrennt waren. Dann wissen wir alles voneinander, und das ist dann, als ob wir immer zusammengewesen sind.«

»Das waren wir auch so«, sagte ich.

Sie lachelte. »Ich nicht. Ich habe nicht so viel Kraft. Fur mich war's schlimmer. Ich kann mich nicht mit Gedanken trosten, wenn ich allein bin. Ich bin dann allein, mehr wei? ich nicht. Es ist leichter, ohne Liebe allein zu sein.« Sie lachelte noch immer. Es war ein glasernes Lacheln, sie hielt es fest, aber man konnte hindurchsehen.

»Pat«, sagte ich. »Alter, tapferer Bursche.«

»Das habe ich lange nicht gehort«, sagte sie, und ihre Augen waren voll Tranen.

Ich ging zu Koster hinunter. Die Koffer waren schon ausgeladen. Man hatte uns zwei Zimmer nebeneinander in der Dependance gegeben.

»Sieh dir das an«, sagte ich und zeigte ihm die Fieberkurven. »Wie das hinauf und herunter geht.«

Wir gingen uber den knirschenden Schnee die Treppen hinauf. »Frag morgen den Arzt«, sagte Koster. »Aus den Fieberkurven allein kann man nichts sehen.«

»Ich sehe genug«, erwiderte ich, zerknullte sie und steckte sie wieder in die Tasche.

Wir wuschen uns. Dann kam Koster zu mir ins Zimmer. Er sah aus, als ware er gerade aufgestanden. »Du mu?t dich anziehen, Robby«, sagte er.

»Ja.« Ich wachte aus meinem Bruten auf und packte den Koffer aus. Wir gingen zum Sanatorium zuruck. Karl stand noch drau?en. Koster hatte ihm eine Decke uber den Kuhler gehangt.

»Wann fahren wir zuruck, Otto?« fragte ich.

Er blieb stehen. »Ich denke, ich fahre morgen abend oder ubermorgen fruh. Du bleibst doch hier…«

»Wie soll ich das denn machen«, erwiderte ich verzweifelt. »Mein Geld reicht hochstens fur zehn Tage. Und fur Pat ist das Sanatorium auch nur bis zum funfzehnten bezahlt. Ich mu? zuruck und verdienen. Hier brauchen sie wahrscheinlich keinen so schlechten Klavierspieler.«

Koster beugte sich uber Karls Kuhler und hob die Decke hoch. »Ich besorge dir Geld«, sagte er und richtete sich auf. »Deshalb kannst du ruhig hierbleiben.«

»Otto«, sagte ich,»ich wei? doch, was du von der ganzen Versteigerung ubrigbehalten hast. Keine dreihundert Mark.«»Das meine ich nicht. Ich kriege welches. Mach dir deswegen keine Sorgen. In acht Tagen hast du es hier.«

»Erbst du?« fragte ich mit trubem Spott.

»So was Ahnliches. Verla? dich auf mich. Du kannst doch jetzt nicht wieder wegfahren.«

»Nein«, sagte ich. »Wu?te nicht, wie ich ihr das beibringen sollte.«

Koster legte die Decke wieder uber den Kuhler Karls. Er strich leicht uber die Haube. Dann gingen wir in die Halle und setzten uns an den Kamin. »Wie spat ist es eigentlich?«

fragte ich.

Koster sah nach der Uhr. »Halb sieben.«

»Merkwurdig«, sagte ich. »Dachte, es ware viel spater.«

Pat kam die Treppe herunter. Sie trug ihre Pelzjacke und ging rasch durch die Halle, um Koster zu begru?en. Ich bemerkte jetzt erst, wie braun sie war. Ihre Haut hatte die Farbe rotlicher Bronze, und sie glich fast einer jungen, sehr hellen Indianerin. Aber ihr Gesicht war schmaler geworden, und die Augen glanzten zu sehr.

»Hast du Fieber?« fragte ich.

»Etwas«, erwiderte sie rasch und ausweichend. »Abends hat hier jeder Fieber. Es ist nur, weil ihr gekommen

Вы читаете Drei Kameraden
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату