in einer versteckten, dunklen Seitengasse, Ich stieg aus, nahm meinen Schlussel und schaltete die Zundung ein. »Alles in Ordnung, Gustav«, sagte ich. »Danke schon, da? du mich hergebracht hast.«
»Wollen wir nicht noch irgendwo einen trinken?« fragte er.
»Nein, heute nicht. Morgen. Ich mu? jetzt rasch los.«
Ich griff in die Tasche, um ihm die Fahrt zu bezahlen. »Bist du verruckt?« fragte er.
»Also danke, Gustav. La? dich nicht aufhalten. Auf Wiedersehen.«
»Wie war's, wenn wir aufpa?ten, um den Knaben zu schnappen, der ihn geklaut hat?«
»Nein, nein, der ist sicher langst weg.« Ich war auf einmal rasend ungeduldig. »Auf Wiedersehen, Gustav.«
»Hast du auch noch Benzin?«
»Ja, genug. Habe schon nachgesehen. Also gute Nacht.«
Er fuhr ab. Ich wartete eine Weile, dann fuhr ich hinterher, erreichte die Monkestra?e und fuhr sie im dritten Gang langsam hinunter. Als ich wieder heraufkam, stand Koster an der Ecke. »Was soll das?«
»Steig ein«, sagte ich rasch. »Du brauchst nicht mehr hier zu stehen. Alfons wu?te es auch. Er hat – er hat ihn schon getroffen.«
»Und?«
»Ja«, sagte ich.
Koster stieg schweigend ein. Er setzte sich nicht ans Steuer. Er hockte neben mir, etwas zusammengesunken, und ich fuhr.
»Wollen wir zu mir nach Hause?« fragte ich.
Er nickte. Ich gab Gas und nahm die Strecke am Kanal entlang. Das Wasser war ein einziger breiter Silberstreifen. Die Schuppen auf der gegenuberliegenden Seite lagen tiefschwarz im Schatten, aber die Stra?en hatten ein wehendes, fahles Hellblau, uber das die Reifen hinwegglitten wie uber unsichtbaren Schnee. Die breiten Barockturme des Domes ragten hinter den Dacherreihen auf. Sie leuchteten grun und silbern vor dem weit zuruckweichenden, phosphoreszierenden Himmel, in dem der Mond wie eine gro?e Leuchtkugel hing.
»Ich bin froh, Otto, da? es so gekommen ist«, sagte ich.
»Ich nicht«, erwiderte er.
Bei Frau Zalewski war noch Licht. Sie kam aus ihrem Salon, als ich die Tur aufschlo?. »Es ist ein Telegramm fur Sie da«, sagte sie.
»Ein Telegramm?« fragte ich erstaunt. Ich dachte immer noch an den Abend. Dann begriff ich und lief in mein Zimmer. Das Telegramm lag mitten auf dem Tisch, kalkig im grellen Licht. Ich ri? die Verschlu?marke auf, die Brust pre?te sich mir zu, die Buchstaben verschwammen, wichen aus, kamen wieder, ich atmete auf, alles stand still, und ich gab das Telegramm Koster. »Gott sei Dank! Ich dachte schon…«
Es waren nur drei Worte. »Robby, komm bald…«
Ich nahm das Blatt wieder. Die Erleichterung schwand. Die Angst kam zuruck. »Was mag da los sein, Otto? Herrgott, weshalb telefoniert sie nicht mehr? Es mu? doch was los sein!«
Koster legte die Depesche auf den Tisch. »Wann hast du zum letztenmal von ihr gehort?«
»Vor einer Woche. Nein, langer.«
»Melde ein Gesprach an. Wenn etwas ist, fahren wir gleich ab. Mit dem Wagen. Hast du ein Kursbuch?«
Ich meldete die Verbindung mit dem Sanatorium an und holte das Kursbuch aus Frau Zalewskis Salon. Koster schlug es auf, wahrend wir warteten. »Der nachste gute Anschlu?zug fahrt erst morgen mittag«, sagte er. »Es ist besser, wir nehmen den Wagen und fahren so weit heran, wie es geht. Dann konnen wir immer noch den nachsten Anschlu?zug nehmen. Ein paar Stunden sparen wir bestimmt. Was meinst du?«
»Ja, auf jeden Fall.« Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich die untatigen Stunden in der Eisenbahn ertragen sollte.
Das Telefon klingelte. Koster ging mit dem Kursbuch in mein Zimmer. Das Sanatorium meldete sich. Ich fragte nach Pat. Eine Minute spater sagte mir die Stationsschwester, es ware besser, wenn Pat nicht telefoniere.
»Was hat sie?« schrie ich.
»Eine kleine Blutung vor einigen Tagen. Heute etwas Fieber.«
»Sagen Sie ihr, da? ich kame«, rief ich. »Mit Koster und Karl. Wir fahren jetzt ab. Haben Sie verstanden?«
»Mit Koster und Karl«, wiederholte die Stimme.
»Ja. Aber sagen Sie es ihr sofort. Wir fahren jetzt ab.«
»Ich werde es ihr gleich bestellen.«
Ich ging zuruck in mein Zimmer. Meine Beine waren merkwurdig leicht. Koster sa? am Tisch und schrieb die Zuge aus.
»Pack deinen Koffer«, sagte er. »Ich fahre nach Hause und hole meinen auch. In einer halben Stunde bin ich zuruck.«
Ich nahm den Koffer vom Schrank. Es war der von Lenz mit den bunten Hotelschildern. Ich packte rasch und sagte Frau Zalewski und dem Wirt vom International Bescheid. Dann setzte ich mich in mein Zimmer ans Fenster, um auf Koster zu warten. Es war sehr still. Ich dachte daran, da? ich morgen abend bei Pat sein wurde, und plotzlich ergriff mich eine hei?e, wilde Erwartung, vor der alles andere verblich, Angst, Sorge, Trauer, Verzweiflung. Ich wurde morgen abend bei ihr sein – das war ein unvorstellbares Gluck, etwas, an das ich fast nicht mehr geglaubt hatte. Es war so vieles verlorengegangen seitdem.
Ich nahm meinen Koffer und ging hinunter. Alles war auf einmal nah und warm, die Treppe, der abgestandene Geruch des Hausflurs, das kalte, blinkende Gummigrau des Asphalts, uber den Karl soeben heranscho?.
»Ich habe ein paar Decken mitgebracht«, sagte Koster. »Es wird kalt werden. Wickle dich ordentlich ein.«
»Wir fahren abwechselnd, was?« fragte ich.
»Ja. Aber vorlaufig fahre ich. Ich habe ja nachmittags geschlafen.«
Eine halbe Stunde spater hatten wir die Stadt hinter uns, und das ungeheure Schweigen der klaren Mondnacht nahm uns auf. Die Stra?e lief wei? vor uns her bis zum Horizont. Es war so hell, da? wir ohne Scheinwerfer fahren konnten. Der Klang des Motors war wie ein dunkler Orgelton; er unterbrach die Stille nicht, er machte sie nur noch fuhlbarer.
»Du solltest etwas schlafen«, sagte Koster.
Ich schuttelte den Kopf. »Kann ich nicht, Otto.«
»Dann leg dich wenigstens hin, damit du morgen fruh frisch bist. Wir mussen noch durch ganz Deutschland.«
»Ich ruhe mich auch so aus.«
Ich blieb neben Koster sitzen. Der Mond glitt langsam uber den Himmel. Die Felder glanzten wie Perlmutter. Ab und zu flogen Dorfer voruber, manchmal eine Stadt, verschlafen, leer, die Stra?enschluchten zwischen den Hauserreihen angefullt mit geisterhaftem, stofflosem Mondlicht, das die Nacht zu einem unwirklichen Film werden lie?.
Gegen Morgen wurde es kalt. Die Wiesen schimmerten plotzlich von Reif, die Baume standen wie aus Stahl gegossen vor dem fahler werdenden Himmel, in den Waldern begann es zu wehen, und aus den Schornsteinen der Hauser stieg vereinzelt Rauch auf. Wir wechselten das Steuer, und ich fuhr bis zehn Uhr. Dann fruhstuckten wir rasch in einem Wirtshaus am Wege, und ich fuhr weiter bis zwolf. Von da an blieb Koster am Steuer. Es ging schneller, wenn er allein fuhr.
Nachmittags, als es zu dammern anfing, kamen wir an das Gebirge. Wir hatten Schneeketten und eine Schaufel bei uns und erkundigten uns, wie weit wir kommen konnten.
»Sie konnen es mit Ketten versuchen«, sagte der Sekretar des Autoklubs. »Es ist dieses Jahr sehr wenig Schnee. Nur wie es die letzten Kilometer ist, wei? ich nicht genau. Kann sein, da? Sie da steckenbleiben.«
Wir hatten einen gro?en Vorsprung vor dem Zug und beschlossen, zu versuchen, ganz hinaufzukommen. Es war kalt, und Nebel war nicht zu befurchten. Der Wagen ging die Serpentinen wie eine Uhr hinauf. Auf halber Hohe montierten wir die Schneeketten. Die Stra?e war ausgeschaufelt, aber an vielen Stellen vereist, und der Wagen tanzte und rutschte. Manchmal mu?ten wir heraus und ihn schieben. Zweimal versanken wir und mu?ten ihn ausschaufeln. Im letzten Dorf lie?en wir uns einen Eimer Sand geben, weil wir jetzt sehr hoch waren und Sorge hatten, beim Abwartsfahren vereiste Kurven vor uns zu haben. Es war ganz dunkel geworden, die Bergwande ragten steil und kahl uber uns in den Abgrund, der Pa? verengte sich, der Motor brullte im ersten