seid.

Seid ihr mude?«

»Wovon?«

»Dann gehen wir in die Bar, ja? Es ist doch das erstemal, da? ich hier oben Besuch habe.«

»Gibt's denn hier eine Bar?«

»Ja, eine kleine. Oder wenigstens eine Ecke, die so aussieht. Das gehort zur Behandlung. Alles vermeiden, was nach Krankenhaus aussieht. Man bekommt nichts, wenn man nicht darf.«

Die Bar war voll. Pat begru?te ein paar Leute. Ein Italiener fiel mir auf. Wir setzten uns an einen Tisch, der gerade frei wurde.

»Was willst du denn haben?« fragte ich.

»Einen Cocktail von Rum. So wie wir ihn immer in der Bar getrunken haben. Wei?t du das Rezept?«

»Das ist einfach«, sagte ich zu dem Madchen, das bediente.

»Halb Portwein, halb Jamaika-Rum.«

»Zwei«, rief Pat. »Und einen Spezial.«

Das Madchen brachte zwei Porto-Roncos und ein hellrotes Getrank.

»Das ist fur mich«, sagte Pat. Sie schob uns den Rum zu. »Salute!«

Sie stellte ihr Glas hin, ohne getrunken zu haben, sah sich um, griff dann rasch nach meinem Glas und trank es aus. »Ach«, sagte sie,»wie gut das ist!«

»Was hast du denn da bestellt?« fragte ich und probierte die verdachtig hellrote Sache. Sie schmeckte nach Himbeersaft und Zitrone. Es war kein Tropfen Alkohol drin. »Ganz gut«, sagte ich.

Pat sah mich an. »Gegen den Durst«, fugte ich hinzu.

Sie lachte. »Bestell noch einen Porto-Ronco. Aber fur dich. Ich bekomme keinen.«

Ich winkte dem Madchen. »Einen Porto-Ronco und einen Spezial«, sagte ich. Ich sah, da? an den Tischen ziemlich viel Spezial getrunken wurde.

»Heute darf ich, Robby, ja?« sagte Pat,»nur heute! So wie in den alten Zeiten. Ja, Koster?«

»Der Spezial ist ganz gut«, erwiderte ich und trank das zweite Glas davon aus.

»Ich hasse ihn! Armer Robby, was Schones mu?t du hier trinken!«

»Wenn wir schnell genug bestellen, komme ich schon noch zu meinem Recht«, sagte ich.

Pat lachte. »Nachher zum Essen darf ich etwas trinken. Rotwein.«

Wir bestellten noch ein paar Porto-Roncos, dann gingen wir in den Speisesaal. Pat war wunderschon. Ihr Gesicht leuchtete. Wir setzten uns an einen der kleinen, wei?gedeckten Tische neben den Fenstern. Es war warm, und unten lag das Dorf mit seinen beglanzten Stra?en im Schnee.

»Wo ist denn Helga Guttmann?« fragte ich.

»Abgereist«, sagte Pat nach einer Pause.

»Abgereist? So fruh?«

»Ja«, sagte Pat, und ich begriff, was sie meinte.

Das Madchen brachte den dunkelroten Wein. Koster schenkte die Glaser voll. Die Tische waren jetzt alle besetzt. Uberall sa?en Menschen und plauderten. Ich fuhlte Pats Hand auf meiner. »Liebling«, sagte sie sehr leise und zartlich. »Ich konnte es nicht mehr aushalten.«

XXVI

Ich kam aus dem Zimmer des Chefarztes, Koster wartete auf mich in der Halle. Er stand auf, als er mich sah. Wir gingen nach drau?en und setzten uns auf eine Bank vor dem Sanatorium. »Es ist schlimm, Otto«, sagte ich. »Schlimmer, als ich gefurchtet habe.«

Eine Gruppe Schilaufer zog larmend dicht an uns voruber. Ein paar mit Ol eingeschmierte Frauen mit kraftigen, sonnverbrannten Gesichtern und breiten, wei?en Gebissen waren dabei. Sie schrien sich zu, da? sie Hunger wie die Wolfe hatten. Wir warteten, bis sie vorbei waren. »So was lebt naturlich«, sagte ich. »Lebt und ist gesund bis in die Knochen. Zum Kotzen!«

»Hast du mit dem Chefarzt selbst gesprochen?« fragte Koster.

»Ja. Er hat mir alles sehr verklausuliert erklart, mit vielen Einschrankungen. Aber das Ergebnis ist, da? es schlechter geworden ist. Er behauptet zwar, es sei besser geworden.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Er behauptet, wenn sie unten geblieben ware, wurde langst alle Hoffnung verloren sein. Hier ist es langsamer gegangen. Das nennt er dann besser werden.«

Koster zog mit den Absatzen seiner Schuhe Striche in den harten Schnee. Dann hob er den Kopf. »Er hat also Hoffnung?«

»Ein Arzt hat immer Hoffnung, das gehort zu seinem Beruf. Aber ich habe verdammt wenig mehr. Ich fragte ihn, ob er einen Pneumothorax gemacht hatte. Er sagte, das ginge nicht mehr. Sie hatte vor Jahren schon einen gehabt. Jetzt seien beide Lungen krank. Es ist verflucht, Otto.«

Eine alte Frau mit ausgetretenen Gummischuhen blieb vor unserer Bank stehen. Sie hatte ein blaues, eingefallenes Gesicht und erloschene, schieferfarbene Augen, die aussahen, als waren sie blind. Um den Hals hatte sie eine altmodische Federboa geschlungen. Langsam hob sie ein Lorgnon und betrachtete uns. Dann schlurfte sie weiter.

»Ekelhaftes Gespenst!«

»Was hat er sonst noch gesagt?« fragte Koster.

»Er hat mir erklart, woher es wahrscheinlich kame. Er hatte schon viele Patienten im gleichen Alter gehabt. Es seien Folgen des Krieges. Unterernahrung in den Entwicklungsjahren. Aber was geht mich das alles an? Sie soll gesund werden.« Ich sah ihn an. »Naturlich hat er mir gesagt, da? er oft genug Wunder erlebt hatte. Gerade bei dieser Krankheit kame es vor, da? sie plotzlich stehenbleibe, verkapsele und ausheile, sogar in verzweifelten Fallen. Das hat Jaffe auch gesagt. Aber ich glaube nicht an Wunder.«

Koster antwortete nicht. Wir blieben schweigend nebeneinander sitzen. Was sollten wir auch sagen? Wir hatten beide zuviel mitgemacht, als da? wir mit Trost etwas hatten anfangen konnen.

»Sie darf nichts merken, Robby«, sagte Koster schlie?lich.

»Naturlich nicht«, erwiderte ich.

Wir blieben sitzen, bis Pat kam. Ich dachte nichts; ich war nicht einmal verzweifelt, ich war ganz dumpf und grau und tot.

»Da ist sie«, sagte Koster.

»Ja«, sagte ich und stand auf.

»Hallo!« Pat kam heran und winkte. Sie taumelte etwas und lachte. »Ich bin ein bi?chen betrunken. Von der Sonne.

Immer, wenn ich in der Sonne gelegen habe, schwanke ich wie ein alter Seemann.«

Ich sah sie an, und mit einem Schlage war alles anders. Ich glaubte dem Arzt nicht mehr; ich glaubte an das Wunder. Sie war da; sie lebte; sie stand da und lachte – alles andere versank davor.

»Was macht ihr denn fur Gesichter?« fragte sie.

»Stadtgesichter, die gar nicht hierher passen«, sagte Koster.

»Wir konnen uns an die Sonne noch nicht gewohnen.«

Sie lachte. »Ich habe heute einen guten Tag. Ohne Fieber.

Ich darf 'raus. Wollen wir ins Dorf gehen und einen Aperitif trinken?«

»Naturlich.«

»Also los!«

»Wollen wir nicht lieber einen Schlitten nehmen?« fragte Koster.

»Ich halte es schon aus«, sagte Pat.

»Das wei? ich«, sagte Koster. »Aber ich bin noch nie in so einem Ding gefahren. Ich mochte es mal versuchen.«

Wir winkten einen Kutscher heran und fuhren die Serpentinen hinab ins Dorf. Vor einem Cafe, das eine kleine, sonnige Terrasse hatte, hielten wir und stiegen aus. Es sa?en viele Leute da, und ich erkannte einige aus dem

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