und nicht ofter.«

»Auch fur die Gehalter der Herren Pastoren, Domkapitulare und das des Herrn Bischofs?«frage ich.

»Das wei? ich nicht«, sagt sie und errotet etwas.»Aber ich glaube schon.«

Ich habe inzwischen meinen Entschlu? gefa?t.»Heute abend habe ich keine Zeit«, erklare ich.»Wir haben eine wichtige geschaftliche Sitzung.«

»Heute ist ja noch April. Aber nachsten Sonntag – oder, wenn Sie sonntags nicht konnen, vielleicht einmal in der Woche. Es ware doch schon, ab und zu eine richtige Mai-Andacht zu haben. Die Muttergottes wird es Ihnen sicher lohnen.«

»Das bestimmt. Da ist nur die Schwierigkeit mit dem Abendessen. Acht Uhr liegt gerade so dazwischen. Hinterher ist es zu spat und vorher ist es eine Hetze.«

»Oh, was das betrifft – Sie konnten naturlich hier essen, wenn Sie wollen. Hochwurden i?t ja auch immer hier. Vielleicht ist das ein Ausweg.«

Es ist genau der Ausweg, den ich wollte. Das Essen hier ist fast so gut wie bei Eduard, und wenn ich mit dem Priester zusammen esse, gibt es bestimmt eine Flasche Wein dazu. Da Eduard sonntags das Abonnement gesperrt hat, ist das sogar ein hervorragender Ausweg.

»Gut«, sage ich.»Ich werde es versuchen. Uber das Geld brauchen wir weiter nicht zu reden.«

Die Oberin atmet auf.»Gott wird es Ihnen lohnen.«

Ich gehe zuruck. Die Wege im Garten sind leer. Ich warte noch eine Zeitlang auf das gelbe Segel aus Shantungseide. Dann lauten die Glocken aus der Stadt zu Mittag, und ich wei?, da? jetzt der Schlaf fur Isabelle kommt und dann der Arzt, und vor vier Uhr ist nichts zu machen. Ich gehe durch das gro?e Tor den Hugel hinunter. Unten liegt die Stadt mit ihren grun patinierten Turmen und den rauchenden Schornsteinen. Zu beiden Seiten der Kastanienallee breiten sich die Felder aus, in denen an den Wochentagen die ungefahrlichen Irren arbeiten. Die Anstalt ist zum Teil offentlich, zum Teil privat. Die Privatpatienten brauchen naturlich nicht zu arbeiten. Hinter den Feldern beginnt der Wald mit Bachen, Teichen und Lichtungen. Ich habe dort als Junge Fische, Molche und Schmetterlinge gefangen. Es ist erst zehn Jahre her; aber es scheint in einem anderen Leben gewesen zu sein, in einer verschollenen Zeit, in der das Dasein ruhig ablief und sich organisch entwickelte und in der alles zueinander gehorte, von der Kindheit an. Der Krieg hat das verandert; wir leben seit 1914 Fetzen aus einem und dann Fetzen aus einem zweiten und dritten Leben; sie gehoren nicht zusammen und wir konnen sie auch nicht zusammenbringen. Deshalb ist es nicht einmal zu schwierig, Isabelle mit ihren verschiedenen Leben zu verstehen. Nur ist sie fast besser dran als wir; sie vergi?t, wenn sie in einem ist, alle anderen. Bei uns aber gehen sie durcheinander – die Kindheit, die abgerissen wurde durch den Krieg, die Zeit des Hungers und die desSchwindels, die der Schutzengraben und die der Lebensgier -, von allen ist etwas geblieben und macht unruhig. Man kann es nicht einfach beiseite schieben. Es taucht immer uberraschend wieder auf und steht sich dann unversohnlich gegenuber: der Himmel der Kindheit und die Kenntnis des Totens, die verlorene Jugend und der Zynismus zu fruhen Wissens.

IV

Wir sitzen im Buro und warten auf Riesenfeld. Als Abendessen haben wir eine Erbsensuppe zu uns genommen, die so dick war, da? der Schop?offel aufrecht darin stehenblieb – dazu haben wir das Fleisch gegessen, das hineingekocht worden ist – Schweinepfoten, Schweineohren und fur jeden ein sehr fettes Stuck Schweinebauch. Das Fett brauchen wir, um unsere Magen gegen den Alkohol zu impragnieren – wir durfen heute auf keinen Fall fruher betrunken werden als Riesenfeld. Die alte Frau Kroll hat deshalb selbst fur uns gekocht und uns zum Nachtisch noch eine Portion fetten Hollander Kase aufgedrangt. Die Zukunft der Firma steht auf dem Spiel. Wir mussen Riesenfeld eine Ladung Granit entrei?en, selbst wenn wir dafur auf den Knien vor ihm nach Hause rutschen mussen. Marmor, Muschelkalk und Sandstein haben wir noch – aber Granit, der Kaviar der Trauer, fehlt uns bitter.

Heinrich Kroll ist aus dem Weg geraumt worden. Der Sargtischler Wilke hat uns den Gefallen getan. Wir haben ihm zwei Flaschen Korn gegeben, und er hat Heinrich vor dem Abendessen zu einem Skat mit freiem Schnaps eingeladen. Heinrich ist daraufhereingefallen; er kann nicht widerstehen, wenn er etwas umsonst bekommt, und trinkt dann, so rasch er kann; au?erdem halt er sich, wie jeder nationale Mann, fur einen sehr widerstandsfahigen Zecher. In Wirklichkeit kann er nicht viel vertragen, und der Rausch holt ihn plotzlich. Ein paar Minuten vorher ist er noch bereit, die sozialdemokratische Partei allein aus dem Reichstag zu prugeln – und gleich darauf schnarcht er mit offenem Munde und ist nicht einmal durch das Kommando: Sprung auf, marsch, marsch! mehr zu erwecken, besonders wenn er, wie wir das arrangiert haben, vor dem Essen auf leeren Magen den Schnaps getrunken hat. Er schlaft jetzt unschadlich in Wilkes Werkstatt in einem Sarg aus Eichenholz, weich auf Sagespane gebettet. In sein Bett haben wir ihn, aus au?erster Vorsicht, da er daruber erwachen konnte, nicht gebracht. Wilke aber sitzt eine Etage tiefer im Atelier unseres Bildhauers Kurt Bach und spielt mit ihm Domino, ein Spiel, das beide lieben, weil es soviel freie Zeit zum Denken gibt. Dazu trinken sie die eineinviertel Flaschen Schnaps, die nach Heinrichs Niederlage ubriggeblieben sind und die Wilke als Honorar beansprucht hat.

Die Ladung Granit, die wir Riesenfeld entrei?en wollen, konnen wir ihm naturlich nicht im voraus bezahlen. Soviel Geld haben wir nie zusammen, und es ware auch Irrsinn, es auf der Bank halten zu wollen – es zer?osse wie Schnee im Juni. Wir wollen Riesenfeld deshalb einen Wechsel geben, der in drei Monaten fallig ist. Das hei?t, wir wollen fast umsonst kaufen.

Naturlich kann Riesenfeld dabei nicht der Leidtragende sein. Dieser Hai im Meere menschlicher Tranen will verdienen wie jeder ehrliche Geschaftsmann. Er mu? deshalb den Wechsel am Tage, an dem er ihn von uns erhalt, seiner oder unserer Bank geben und ihn diskontieren lassen. Die Bank stellt dann fest, da? sowohl Riesenfeld als auch wir gut fur den Betrag sind, auf den er lautet, zieht ein paar Prozente fur die Diskontierung ab und zahlt ihn aus. Wir geben Riesenfeld die Prozente fur die Diskontierung sofort zuruck. Er hat damit sein volles Geld fur die Ladung erhalten, als hatten wir es ihm vorausgezahlt. Aber auch die Bank verliert nichts. Sie gibt den Wechsel sofort an die Reichsbank weiter, die ihn ihr ebenso auszahlt, wie sie vorher Riesenfeld. Erst bei der Reichsbank bleibt er liegen, bis er fallig ist und zur Einlosung prasentiert wird. Was er dann noch wert ist, la?t sich denken.

Wir kennen alles dieses erst seit 1922. Bis dahin hatten wir gearbeitet wie Heinrich Kroll und waren daruber fast bankrott gegangen. Als wir beinahe das gesamte Lager ausverkauft hatten und zu unserm Erstaunen nichts dafur besa?en als ein wertloses Bankkonto und ein paar Koffer mit Geldscheinen, die nicht einmal gut genug waren, um unsere Bude damit zu tapezieren, versuchten wir zuerst, so rasch wir konnten, zu verkaufen und wieder einzukaufen – aber die In?ation uberholte uns dabei muhelos. Es dauerte zu lange, bis wir die Denkmaler bezahlt bekamen – in der Zwischenzeit ?el das Geld so rasch, da? selbst der beste Verkauf zum Verlust wurde. Erst als wir an?ngen, mit Wechseln zu zahlen, konnten wir uns halten. Wir verdienen auch jetzt noch nichts Rechtes; aber wir konnen wenigstens leben. Da jedes Unternehmen Deutschlands sich auf diese Weise ?nanziert, mu? die Reichsbank naturlich immer weiter ungedecktes Geld drucken, und der Kurs fallt dadurch immer schneller. Der Regierung ist das scheinbar auch recht; sie verliert auf diese Weise alle ihre Landesschulden. Wer dabei kaputtgeht, sind die Leute, die nicht auf Wechsel kaufen konnen, Leute, die etwas Besitz haben und ihn verkaufen mussen, kleine Ladenbesitzer, Arbeiter, Rentner, die ihre Sparkasseneinlagen und ihre Bankguthaben dahinschmelzen sehen, und Angestellte und Beamte, die ihr Leben von Gehaltern fristen mussen, die ihnen nicht mehr erlauben, auch nur ein Paar neue Schuhe zu kaufen. Wer verdient, sind die Schieber, die Wechselkonige, die Auslander, die fur ein paar Dollars, Kronen oder Zlotys kaufen konnen, was sie wollen, und die gro?en Unternehmer, Fabrikanten und Borsenspekulanten, die ihre Aktien und ihren Besitz ins Ungemessene vergro?ern. Fur sie ist alles beinahe umsonst. Es ist der gro?e Ausverkauf des Sparers, des ehrlichen Einkommens und der Anstandigkeit. Die Geier ?attern von allen Seiten, und nur wer Schulden machen kann, ist fein heraus. Sie verschwinden von selbst.

Riesenfeld war es, der uns alles dies im letzten Augenblick beigebracht und uns zu winzigen Mitschmarotzern an der gro?en Pleite gemacht hat. Er akzeptierte von uns den ersten Dreimonatswechsel, obwohl

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